Westaustralien:Zurück zur Natur von 1801

Lesezeit: 5 Min.

In einem australischen Nationalpark versuchen Wissenschaftler, die Natur in den Zustand vor der Ankunft der Europäer zurückzuversetzen. Doch das "Project Eden" ist ein mühsames Unterfangen.

Von  Ingrid Brunner

Stop and go. Wer mit Capes im Busch unterwegs ist, muss sich darauf einstellen, dass dieser Mann unvermittelt auf die Bremse steigt. Das tut er immer dann, wenn er etwas sieht. Und er sieht mehr als unsereiner. Aus einem Schatten, einem Busch oder auch nur einer Spur im Sand materialisiert sich dann wie aus dem Nichts ein Dornteufel, ein Blauzungenskink, ein Wallaby. Wie er das hinkriegt? Eine Antwort ist: Capes ist ein Aborigine, und er stammt aus der westaustralischen Region Shark Bay. Er ist somit Teil der ältesten Kultur der Welt. Und die ersten Australier, wie sich die Aborigines selbst auch nennen, haben eine sehr enge Beziehung zur Natur. Eine andere Antwort: Es ist sein Job. Capes ist Guide, er führt Gäste ins Outback von Shark Bay.

Aber bevor es auf den "red carpet"geht, wie er die rote Sandpiste des François-Péron-Nationalparks nennt, heißt es erst einmal Luft aus den Reifen lassen. Capes bricht ein paar dürre Zweige von einem Busch, damit drückt er das Reifenventil nach innen, bis der Reifen breit aufliegt. "So gräbt sich der Jeep nicht so leicht ein", erklärt er. Capes heißt eigentlich Darren Capewell, aber das steht nur auf offiziellen Schriftstücken. Für alle anderen heißt er einfach Capes. In seinen Jeep hat er alles geladen, was der Mensch im Outback zum Überleben braucht. Trinkwasser, Werkzeug, Tisch, Stühle, Eisboxen voller Essen. Und natürlich die Swags, eine Mischung aus Ein-Mann-Zelt und Schlafsack.

1 / 4
(Foto: imago)

Der Strand ist im François-Péron-Nationalpark nie weit.

2 / 4
(Foto: Ingrid Brunner)

Hinter jeder Kurve wartet eine Überraschung. Zum Beispiel ein Dornenteufel ...

3 / 4
(Foto: N/A)

... oder erfinderische Delfine.

4 / 4
(Foto: Ingrid Brunner)

Campen kann man auch im Schutzgebiet. Allerdings nur mit Vierradantrieb - und besser mit einem ortskundigen Guide wie dem Aborigine "Capes" Darren Capewell.

Der François-Péron-Nationalpark ist nicht irgendein Park, vielmehr ist er Schauplatz eines seit 1995 laufenden wissenschaftlichen Experiments: Project Eden. Und weil schon das Paradies von einer Mauer umgeben war, trennt ein elektrischer Zaun den Park vom Rest der Péron-Halbinsel ab. Der Zaun kann nicht untergraben, überklettert, umschwommen werden. Anders als mit dem Eisernen Vorhang während des Kalten Kriegs oder womöglich bald an der US-Grenze zu Mexiko sollen dort nicht Menschen, sondern Tiere an der Migration gehindert werden.

Ziel ist es, dieses 525 Quadratkilometer große Stück Land in den Zustand des Jahres 1801 zurückzuversetzen, als der französische Biologe François Péron während der Baudin-Expedition die Halbinsel erkundete. Wie dieser Urzustand aussah, weiß keiner mit letzter Sicherheit. Doch Pérons Aufzeichnungen dienen heutigen Wissenschaftlern als Grundlage für ihre Arbeit. Péron hat damals 23 Säugetierarten auf der Halbinsel beschrieben. Davon war 1990 nur noch die Hälfte übrig.

Capes kennt das Projekt seit seinen Anfängen. "Zunächst ging es darum, die Ziegen, Schafe, Ratten, Füchse, Wildkatzen zu eliminieren", erklärt er. Invasive Arten, die Siedler mitgebracht und die im Laufe der Jahrhunderte die heimische Flora und Fauna an den Rand der Auslöschung gebracht hatten. Schafe und Ziegen fraßen nach und nach alles kahl, Wildkatzen, Ratten und Füchse jagten kleine Nager, fraßen Vogeleier und Jungvögel. Bisher, schätzt Capes, seien an die 5000 Wildkatzen und 4000 Füchse abgeschossen oder mit Fallen gefangen worden. "Jetzt müssen die Leute ihre Katzen in den Häusern halten, das gefällt natürlich nicht allen."

Wer sich nicht dran hält, setzt sein Haustier einer neuen Gefahr aus: Poison 1080, oder Natriumflouracetat. Es ist ein Gift, das in etwa 40 australischen Wildpflanzen vorkommt. Heimische Arten sind dagegen immun, invasive Arten nicht. Die Giftköder sollen die restlichen Katzen töten oder zumindest deren Zahl in Schach halten. "Die Fauna erholt sich langsam. Plötzlich wachsen hier Pflanzen, die ich nur vom Hörensagen von den Großeltern kannte", sagt Capes. Früher, sagt er, standen die Dingos und die Adler an der Spitze der Nahrungskette. Die Dingos sind verschwunden aus der Region. Adler finden nun wieder Beute. "Einige kleine Reptilien und Beuteltiere sind zurückgekommen", sagt Capes. Andere versucht man wieder einzuführen. Den Bilby und das Thermometerhuhn hat man aus anderen Gegenden Westaustraliens erfolgreich umgesiedelt. Hingegen schlugen Versuche mit dem Nasenbeutler und dem Kleinen Pinselschwanzbeutler fehl. Die Natur lässt sich eben nicht so einfach reparieren wie eine kaputte Uhr.

Ja, und vielleicht entspricht die Landschaft auch nicht ganz der gängigen Vorstellung vom Garten Eden: Salzpfannen wechseln sich ab mit höher gelegenem Buschland, Dünen und Steilklippen. Doch der Strand ist hier nie weit - und der darf durchaus paradiesisch genannt werden. Auf einer Steilklippe geht Capes in die Hocke und blickt hinunter aufs Wasser. Tiefroter Sandstein, leuchtend blaues Wasser, blendend weißer Korallenstrand. Die Augen müssen sich hier ständig neu justieren. Capes sieht etwas da unten: "Tigerhai, drei Meter" - er erkennt ihn an der Art, wie sich der Hai bewegt, an der gelassenen Art, wie er im Wasser patrouilliert. Kaum ist der Räuber zurück ins tiefe Wasser geschwommen, kommen Delfine - sprichwörtlich an den Strand.

Die Meeressäuger haben hier in der Shark Bay neue Jagdtechniken entwickelt, die Biologen wie Simon Allen von der Universität von Westaustralien in Perth elektrisieren: Sie durchpflügen mit Schwämmen den Meeresboden nach Beutetieren. Mit leeren Schneckengehäusen fangen sie Fisch, bringen ihn an die Oberfläche und lassen sich den Fisch direkt ins Maul fallen. Sie jagen fliehende Fische im flachen Wasser, stranden dabei absichtlich und rollen sich zurück ins Meer. Sponging, Shelling und Stranding nennt Simon Allen diese neuen Verhaltensweisen. "Das ist weltweit einmalig, wir diskutieren derzeit, ob es sich bei den Delfinen der Shark Bay nicht um eine neue Subspezies handelt."

Das alte Wissen geht verloren. Nur noch wenige Aborigines kennen essbare oder heilende Pflanzen

Man traut dennoch seinen Augen kaum, als ein Delfin sich fast vor die Füße der Strandspaziergänger wuchtet. Beinahe ist man versucht, ihn wie einen Wal ins Wasser zu schieben, da robbt er, einen Fisch im Maul, von selbst zurück in die Brandung. Capes und Allen sind Freunde, sie kennen sich von Allens Feldforschung in Monkey Mia und schätzen sich gegenseitig. Wer viele Delfine von ganz nah sehen will, ist in Monkey Mia richtig. Am Strand dieses Ferienresorts werden dreimal am Tag Delfine gefüttert. Zwar ist die Fütterung streng kontrolliert von Park Rangers, aber dennoch ist es ein fragwürdiges Spektakel. Simon Allen erklärt, dass einige Delfine Anfang der Achtzigerjahre mit dieser "sozialen Interaktion zwischen Mensch und Tier" begonnen hätten. Sie seien wohl Fischern gefolgt, die ihnen etwas von ihrem Fang zugeworfen haben, vermutet Allen.

Reisequiz der Woche
:Was wissen Sie wirklich über Australien?

Warum ging es an den berühmten Stränden früher gar nicht so locker zu? Und ist Bier in der australischen Politik tatsächlich ein Erfolgsgarant? Testen Sie sich auf die Schnelle in sieben Fragen.

Von Irene Helmes

Am Campground an der Big Lagoon erzählt Capes seine Version vom Beginn der Delfin-Mensch-Beziehung. "Mein Onkel, war es, der die Delfine auf der Heimfahrt vom Fischen gefüttert hat. Er ärgert mich, dass keiner seinen Namen erwähnt", sagt er. Capes spielt Didgeridoo am Lagerfeuer, erzählt, wie sich sein Volk einst von Bush Tucker, also von Nahrung aus dem Busch, ernährt, wie es Pflanzenmedizin hergestellt hat. Nur noch wenige lebten heute nach den Traditionen, aber immerhin, das Wissen und die Sprache würden nun wieder weitergegeben. Auch in der Schule.

"Ökotourismus ist wichtig", sagt er - als Einkommensquelle für die Aborigines, und um Besuchern ihre Kultur zu erklären. Noch wichtiger aber sei es, mit Kindern und Jugendlichen egal welcher Herkunft hierherzukommen, zu angeln, zu campen. Seine Frau ist Polin, die kleine Tochter hat Wurzeln in beiden Welten. Auch seine Welt soll sie einmal verstehen. "Unsere Kinder sollen wieder lernen, wie hier draußen alles zusammenhängt." Die ersten Australier hatten dieses Wissen. Hätte man sie gefragt, wer bräuchte heute Project Eden?

© SZ vom 10.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Neuseeland
:Steil, steiler, Baldwin Street

Die steilste Straße der Welt im neuseeländischen Dunedin zieht leichtsinnige Touristen aus aller Welt an.

Von Lenz Koppelstätter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: