EU-Staatsbürgerschaft:Zypern - Insel der goldenen Pässe

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Parade in der zyprischen Hauptstadt Nicosia: Für das Land ist der Handel mit Staatsbürgerschaften ein bedeutender Wirtschaftsfaktor (Foto: imago stock&people)

Das EU-Land verkauft für viel Geld die Staatsbürgerschaft und damit den Eintritt nach Europa. Nach neuen Enthüllungen zu den fragwürdigen Geschäften lässt der zyprische Parlamentspräsident nun sein Amt ruhen.

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Tobias Zick, München/Brüssel

Es sind entlarvende Szenen, die Reporter von Al-Jazeera bei einer verdeckten Recherche in Hinterzimmern auf Zypern gefilmt haben. Sie erhärten den seit langem erhobenen Vorwurf, das EU-Mitgliedsland im östlichen Mittelmeer verschleudere Staatsbürgerschaften an Investoren aus dem Ausland, ohne deren Hintergrund sorgfältig zu prüfen - etwa auf Vorstrafen wegen Korruption oder Geldwäsche. Nach Veröffentlichung des Beitrags kündigte Zyperns Parlamentspräsident an, sein Amt ruhen zu lassen, und die Regierung erklärt, ihren umstrittenen Handel mit den EU-Pässen "in der bisherigen Form" zum 1. November einstellen zu wollen.

Erst im August hatte der Fernsehsender aus Katar auf Grundlage eines Datenlecks berichtet, wie zwischen 2017 und 2019 etwa 1400 Bewerber aus dem Ausland sich und ihren Angehörigen EU-Pässe gekauft hatten, indem sie, wie im offiziellen Staatsbürgerschaftsprogramm vorgesehen, mindestens zwei Millionen Euro in Zypern investierten. Für das Land ist der Handel mit Staatsbürgerschaften ein bedeutender Wirtschaftsfaktor: Etwa sieben Milliarden Euro hat es mit damit seit 2013 eingenommen - das entspricht etwa einem Viertel des jährlichen Bruttoinlandsprodukts.

Doch unter den neuen Staatsbürgern waren laut Al-Jazeera-Recherchen mindestens 30 Personen mit Vorstrafen oder laufenden Strafverfahren, sowie 40 politisch exponierte Personen. So hat sich demnach ein früherer hochrangiger Mitarbeiter des russischen Konzerns Gazprom, der in Russland wegen Korruptionsvorwürfen gesucht wurde, 2019 die zyprische Staatsbürgerschaft erworben - und damit einen Pass, mit dem er auch in allen anderen Ländern der Europäischen Union das Recht hat, sich niederzulassen, zu arbeiten, Geschäfte zu machen. Und in viele Länder ohne Visum einzureisen.

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"Was Al-Jazeera macht, ist nicht investigativer Journalismus, sondern Propaganda gegen Zypern", sagte der zyprische Innenminister Nicos Nouris nach Veröffentlichung der ersten Enthüllung im August. Doch der neue Dokumentarfilm, den der Sender am Montag ausgestrahlt hat, setzt die Regierung zusätzlich unter Druck. Für die Dreharbeiten gaben sich zwei Reporter des Senders als Beauftragte eines Mannes aus, für den sie angeblich sondieren, wie dieser ins EU-Land Zypern einwandern könne. Sie kontaktieren eine Agentur in London, die damit wirbt, Immobilien-Investments auf Zypern zu vermarkten, in Verbindung mit dem Erwerb der dortigen Staatsbürgerschaft. In einem Hotelzimmer - im Hintergrund läuft heimlich die Kamera - schildern sie den Gründern der Agentur den Fall: Ihr Klient sei "eine erfolgreiche Person" aus China, habe jedoch dort ein paar "issues", Probleme. Der Mann sei wegen Korruption angeklagt worden, habe sich aber rechtzeitig nach Hongkong absetzen können; in Abwesenheit sei er zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sein Vermögen habe er über Casinos in Macau außer Landes geschafft.

"Problematische Kunden"? Auch denen helfen wir sehr schnell, versichern die Mittelsmänner

Ein makelloses polizeiliches Führungszeugnis, wie es offiziell Bedingung zum Erwerb der zyprischen Staatsbürgerschaft ist, dürfte also schwer bis unmöglich zu beschaffen sein. Kein Grund für die Immobilienagenten aufzugeben. Sie hätten eine "Erfolgsquote von 100 Prozent", sagen sie. Und erwähnen einen Abgeordneten im zyprischen Parlament, zugleich Betreiber einer der größten Immobilien-Entwicklungsfirmen. Dank dessen hervorragender Beziehungen habe man schon einigen "problematischen" Kunden geholfen, den Pass "sehr, sehr schnell" zu erhalten.

Die beiden verdeckten Reporter reisen nach Zypern, treffen einen Anwalt, der alles Nötige vermitteln soll. Vorstrafen wegen Korruption? Da sei der vorgebliche Kunde aus China nicht der Erste, sagt der Anwalt, aber "in den allermeisten Fällen" gebe es Lösungen. In jedem Ministerium gebe es Beamte und Direktoren, die nicht wechseln, wenn die Regierung wechselt. "Wenn du die Engel kennst", so der Anwalt, "brauchst du Gott nicht zu kennen." Dann erläutert er, welche Wege es gebe, auch mit Vorstrafenregister in Zypern Geld anzulegen: Etwa, indem man eine Strohfirma zwischenschaltet. Oder den Ehepartner investieren lässt. Zudem könne man im neuen Pass den Namen ändern: Dazu müsse man nur ein Dokument unterschreiben, das dauere fünf Minuten. Ob er das schon öfter getan habe? "Na klar", sagt der Anwalt mit jovialem Lachen, "das hier ist Zypern." Er habe etliche "Joes" und "Sams" unter seinen Klienten.

Schließlich treffen die Reporter Zyperns Parlamentspräsidenten, Demetris Syllouris. Ehe man aktiv werde, sagt der, müsse der Bewerber aus China Geld herschicken, "damit wir sichergehen, dass er es sich nicht anders überlegt". Da ein Treffen in Hongkong nicht infrage komme, weil der Bewerber dort möglicherweise vom chinesischen Geheimdienst überwacht werde, solle er nach Zypern kommen, man werde ihn zwei Tage beherbergen, und: "Ich werde ihn treffen, um ihm jede Unterstützung zu geben, die ich kann." Er werde seine Beziehungen ins Innenministerium spielen lassen, so Syllouris.

Zyperns Parlamentspräsident Demetris Syllouris hat sich persönlich für die Pass-Bewerber engagiert. (Foto: Iakovos Hatzistavrou/AFP/Iakovos Hatzistavrou/AFP)

Von Al Jazeera mit den heimlich gefilmten Aussagen konfrontiert, bestritten alle Beteiligten erst jedes Fehlverhalten. Parlamentspräsident Syllouris ließ mitteilen, er habe keinerlei Dienstleistungen für die verdeckten Reporter erbracht; vielmehr habe er sie den "zuständigen Behörden der Republik Zypern" gemeldet. Der Anwalt, der den Kontakt zu Syllouris vermittelt hatte, erklärte, er habe von Anfang an Verdacht geschöpft und die angeblichen Vermittler des Chinesen nur deshalb immer wieder getroffen, um nach "Details zu fischen"; schließlich habe er sie der Anti-Geldwäsche-Einheit der zyprischen Polizei gemeldet.

Doch am Tag nach Veröffentlichung des Al-Jazeera-Films, erklärte Parlamentspräsident Syllouris, er lasse sein Amt ruhen, bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind. Was die Ankündigung der zyprischen Regierung wert ist, ihr Staatsbürgerschaftsprogramm zu beenden, bleibt abzuwarten. Ein Regierungssprecher sprach von "missbräuchlicher Ausbeutung des Programms", der Generalstaatsanwalt ermittle. Die EU-Kommission reagierte am Dienstag ungewohnt scharf. Man habe "ungläubig" die Aufnahmen gesehen, "in denen hochrangige Politiker zu ihrem finanziellen Vorteil mit EU-Staatsbürgerschaften" gehandelt hätten, so ein Sprecher. Die Kommission habe die "ernsten Bedenken" mehrmals mit Zyperns Behörden besprochen und prüfe ein Vertragsverletzungsverfahren. Seit längerem gilt es als wahrscheinlich, dass die Kommission wegen der Visa-Programme Verfahren gegen Zypern, Malta und Bulgarien einleitet. Alle wussten, wen sie meinte, als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im September in der "Rede zur Lage der Union" davon sprach, Rechtsstaatlichkeitsverstöße nicht mehr hinzunehmen. "Egal ob es um den Vorrang des Unionsrechts, die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz oder den Verkauf "Goldener Pässe" geht", sagte von der Leyen: "Unsere europäischen Werte stehen nicht zum Verkauf!"

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