Zweiter Weltkrieg:Kampf um Kreta - Tod aus der Luft

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Deutsche Fallschirmjäger springen über Kreta ab, eine Ju 52-Transportmaschine brennt, vom britischen Abwehrfeuer getroffen. (Foto: SZ Photo)

Vor 75 Jahren eroberte Hitlers Wehrmacht die griechische Insel. Fehleinschätzungen alliierter Soldaten entschieden eine der härtesten Schlachten des Zweiten Weltkrieges.

Von Kurt Kister

Es gibt Hügel, die in die Geschichte eingegangen sind. Bevor dies geschah, waren sie namenlos, oder sie wurden nach alltäglichen Merkmalen benannt: der Mühlenhügel, die Schafshöhe, der Olivenberg.

Wurden sie aber, und sei es nur für ein paar Stunden, zu einem umkämpften Geländepunkt, einer natürlichen Festung, einer beherrschenden Stellung in einer Schlacht, starben Dutzende oder Hunderte bei ihrer Verteidigung oder beim Sturm, dann bleiben sie oft mit ihrer geografischen Höhe oder unter dem Namen eines Offiziers, der dort fiel, in Erinnerung.

So findet man in den Geschichtsbüchern die Höhe 304 bei Verdun, 1916 von Granaten zerpflügt, oder, ein anderer Krieg, Custer's Last Stand, den Hügel, auf dem ein Teil der 7. US-Kavallerie oberhalb des Little-Bighorn-Flusses in Montana unter Oberstleutnant Custer 1876 ausgelöscht wurde.

Manche der Toten waren erst 17

Ein solcher Hügel, blutschwer und eingegraben in die Geschichte mehrerer Nationen, ist auch die Höhe 107. Sie erhebt sich über dem noch heute von der griechischen Armee genutzten Flugfeld von Maleme, das etwas westlich der Stadt Chania auf Kreta liegt. Rund um Maleme landeten vor 75 Jahren, am 20. Mai 1941, von 8 Uhr morgens an deutsche Fallschirmjäger.

Die meisten von ihnen sprangen aus den Wellblech-Transportflugzeugen des Typs Ju 52 aus geringer Höhe ab, oft keine 200 Meter (je kürzer ein Fallschirmjäger in der Luft ist, desto weniger lang bietet er für Soldaten auf dem Boden ein leichtes Ziel). Andere landeten in Gleitern, großen Segelflugzeugen, die zehn bis zwölf Mann aufnehmen konnten und relativ kurz vor dem Ziel von den Schleppmaschinen, zumeist Ju 52, ausgeklinkt wurden.

Auf der Höhe 107 liegt heute ein großer deutscher Soldatenfriedhof. Reihe um Reihe grauer flacher Grabsteine mit jeweils zwei Namen (oder der Aufschrift "Unbekannt") ziehen sich durch die Vegetation.

Knapp 4500 Tote sind auf der Höhe 107 begraben; die meisten von ihnen kamen zwischen dem 20. Mai und dem 1. Juni 1941 ums Leben. Sehr viele waren nicht älter als 18 oder 20 Jahre, auch 17-jährige sind unter den Gefallenen. Ihnen allen wurde Kreta, das sie auf Geheiß der Wehrmachtsführung und ihres Oberbefehlshabers Adolf Hitler angriffen, zum Grab.

Auf Kreta wurden, abgesehen von anderen Truppenteilen, drei Fallschirm-Regimenter und das sogenannte Luftlande-Sturmregiment eingesetzt, alles in allem rund 11 000 gut ausgebildete Freiwillige. Gut die Hälfte von ihnen, an die 5500 Fallschirmjäger, wurde in jenen zehn Tagen verwundet oder getötet, die meisten wiederum an den ersten beiden Tagen.

Deswegen gilt die griechische Insel auch als das Grab der deutschen Fallschirmtruppe. Es war Hitler selbst, der angesichts dieser Verluste dem Fallschirmjäger-General Kurt Student im Juli 1941 sagte, die Tage der Fallschirmjäger seien vorbei.

Deutsche Fallschirmjäger erschießen als "Vergeltung" kretische Zivilisten im Dorf Kondomari, Juni 1941. Das Bild gehört zu einer Serie, die der Wehrmachtsfotograf Franz Peter Weixler von dem Massaker - gegen das er vergeblich protestierte - aufnahm, um die Täter zu belangen. Die NS-Justiz ließ ihn inhaftieren, die Täter blieben unbehelligt. Der Balken vor dem Gesicht des vorderen Schützen befand sich bereits auf der hier verwendeten Vorlage. (Foto: SZ Photo)

Zwar gab es im Laufe des Krieges noch einige Sprungeinsätze deutscher Fallschirmjäger, zum Beispiel auf Sizilien, in Bosnien und bei der Ardennenoffensive. Das waren aber eher Kommandoaktionen von maximal ein paar Hundert Soldaten.

Während die Alliierten bei der Invasion im Juni 1944 und später in Holland sowie am Rhein Fallschirmjäger strategisch und in großer Zahl aus der Luft absetzten, dienten die deutschen Fallschirmsoldaten von 1941 bis Kriegsende in Russland, Nordafrika, Italien und an der Westfront zumeist als besonders ausgebildete Infanterie.

In der NS-Propaganda wurde dennoch die Eroberung der Insel Kreta aus der Luft als "Sieg der Kühnsten" gefeiert. Für das britische Empire war der deutsche Angriff auf Kreta eine weitere herbe Niederlage nach dem Fall Frankreichs, der Vertreibung aus Norwegen und der Einnahme Griechenlands.

Für Kreta aber begann im Mai 1941 eine Besatzungszeit, die von entschlossenem Widerstand vieler Kreter und grausamen Vergeltungsmaßnahmen der deutschen Besatzer gekennzeichnet war. Zwar waren die Guerilla-Gruppen auf der Insel (wie auch die auf dem Festland) oft uneins und politisch zerstritten, was sich im griechischen Bürgerkrieg nach der Befreiung von den Deutschen gewalttätig entlud.

Dennoch war Kreta für die Besatzer gefährliches Territorium, und entsprechend schlugen sie zu: Bis zur Kapitulation der Deutschen im Mai 1945 wurden Dutzende Dörfer bei sogenannten Vergeltungsmaßnahmen zerstört, Tausende Kreter starben.

SZ-Karte (Foto: SZ-Grafik)

Angesichts dieser Geschichte ist es erstaunlich, wie freundlich die meisten Kreter den nach dem Krieg als Touristen zurückkehrenden Deutschen begegneten. Und es ist manchmal beschämend, wenn man auf Kreta erlebt, wie wenig viele Touristen von der blutigen deutsch-kretischen Geschichte wissen - oder wissen wollen. Dass viele Griechen und manche Kreter bei politischen Konflikten, in denen Berlin eine Rolle spielt - Stichwort Euro-Krise - auch heute auf die Jahre nach 1941 verweisen, kommt nicht von ungefähr.

Zurück nach Maleme und zur Höhe 107. Maleme war eines der drei Flugfelder, von deren Eroberung abhing, ob die Deutschen die Insel würden einnehmen können. Zwar gab es in der deutschen Führung Unstimmigkeiten darüber, ob es militärisch nicht sinnvoller wäre, sich auf nur ein Ziel zu konzentrieren, dieses mit überlegenen Kräften anzugreifen und von dort aus die Eroberung der Insel zu beginnen.

"Gelöst" wurde dieser Konflikt von Hermann Göring, dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe (die Fallschirmtruppe gehörte zur Luftwaffe). Göring entschied sich für den Angriff auf mehrere Ziele zur gleichen Zeit. Die Fallschirmjäger sollten Briten und Griechen von den Flugplätzen vertreiben, sodass sie für Transportflugzeuge nutzbar würden. Mit den Transportern wiederum wollte man Verstärkung, vor allem Gebirgsjäger, aber auch Fahrzeuge einfliegen.

Geknackter deutscher Funkcode

Östlich von Maleme lagen nahe der Städte Rethymnon und Heraklion die anderen beiden Flugplätze; auch sie waren Ziele für den Absprung je einer Kampfgruppe der Luftlander. Wer heute als Urlauber nach Kreta fliegt, wird auf dem Flugplatz Heraklion landen. Es ist das modernisierte Flugfeld, das Ende Mai 1941 von schottischen, englischen und australischen Regimentern gegen die Deutschen verteidigt wurde. In Heraklion selbst waren griechische Soldaten in Stellung gegangen.

Auf der Insel waren im Mai 1941 viel mehr britische und griechische Truppen als die Deutschen annahmen. Zu ihnen zählten kampfstarke Verbände vom anderen Ende des Empire, aus Neuseeland und Australien. Zwar hatten die Angreifer die Luftüberlegenheit, die sie für Angriffe mit Sturzkampfbombern und anderen Flugzeugen nutzten.

Auf dem Boden aber verfügten die Verteidiger über Geschütze, gepanzerte Fahrzeuge und einige Kampfpanzer. Ende April waren zudem rund 25 000 britische und griechische Soldaten vom Festland, das die Deutschen erobert hatten, nach Kreta verschifft worden. Und die Briten wussten bereits Wochen vor Beginn des Angriffs, dass Luftlandungen auf Kreta drohten. Die Operation Ultra, die Entschlüsselung der deutschen geheimen Funksprüche, verschaffte den Briten unschätzbare Informationen.

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Von den Inseln im Mittelmeer waren im Frühsommer 1941 noch drei unter englischer Kontrolle: Malta, Zypern und Kreta. Vor allem Malta und Kreta galten als britische Festungen, beide bedrohten in den Augen der Italiener und der Deutschen außerdem die Kriegsführung in Afrika.

Im Februar 1941 waren unter General Erwin Rommel deutsche Truppen in Libyen gelandet, sie kamen den Italienern zu Hilfe, die von den Briten fast geschlagen worden wären. Auch der deutsche Angriff auf Griechenland war zum Teil dadurch bedingt, dass Mussolinis Armee in Albanien und an der griechischen Nordgrenze festsaß.

Nach der verlustreichen Eroberung Kretas war Malta zwar ständigen Luftangriffen ausgesetzt; der Plan einer Landung allerdings wurde fallen gelassen. Neben den britischen Seestreitkräften spielte Malta als ortsfester Flugzeugträger bei der Bekämpfung des deutschen und italienischen Nachschubs über das Mittelmeer tatsächlich eine immer größere Rolle.

Der Angriff auf Kreta hing auch indirekt mit den deutschen Planungen für die "Operation Barbarossa", die Invasion der Sowjetunion, zusammen. Der Balkan und Griechenland galten als "Südflanke", deren militärische Eroberung vor dem Angriff auf Russland abgeschlossen sein sollte.

Bis heute gibt es nicht nur unter Historikern die Debatte, ob der Balkan-Feldzug möglicherweise verhindert hat, dass die Deutschen etliche Wochen früher die Sowjetunion angegriffen hätten und so vielleicht vor dem Winter 1941 bis nach Moskau ... Aber es kam eben anders.

Als sich jedenfalls am 20. Mai 1941 die Nacht über Kreta senkte, waren die Briten optimistisch: Die Verluste der Deutschen waren sehr hoch, viele Fallschirmjäger waren inmitten feindlicher Stellungen gelandet, viele waren bereits in der Luft getötet worden. Die meisten Verwundeten konnten nur notdürftig oder gar nicht versorgt werden, Verstärkungen kamen zu wenige, weil auf den Feldflugplätzen des Peloponnes die Staubentwicklung durch den starken Flugverkehr so groß war, dass viele der Ju 52 nicht oder nur viel später als geplant starten konnten.

Immer mehr Kreter, die nicht dem Militär angehörten, kämpften gegen die Invasoren. Bei Maleme saßen die Angreifer fest; die Neuseeländer auf der Höhe 107 wiesen alle Attacken ab. Bei Heraklion und um Rethymnon sah es am ersten Tag genauso schlecht für die dort de facto eingekesselten Deutschen aus.

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Der 21. Mai brachte die Wende für die Angreifer. Die Neuseeländer zogen sich von der Höhe 107 und vom Flugfeld Maleme weitgehend zurück; sie befürchteten in Verkennung der tatsächlichen Schwäche der deutschen Fallschirmjäger eine Umzingelung. Im Laufe des Nachmittags landeten dann die ersten Transportflugzeuge auf dem immer noch umkämpften und beschossenen Flugfeld Maleme; sie luden Munition und Gebirgsjäger aus und nahmen Verwundete mit. Nach einer neuerlichen Verstärkung durch mehrere Kompanien Fallschirmjäger im Sprungeinsatz war Maleme nach zwei Tagen in der Hand der Deutschen.

Zwar glich der Flugplatz bald einer Schrotthalde zerstörter Maschinen, aber dennoch riss der Strom der einfliegenden Ju 52 nicht mehr ab. Weil die Situation insgesamt chaotisch war, wussten die britischen Truppen in der Mitte der Insel nicht so recht, was sich im Osten rund um Maleme und Chania ereignete.

Hinzu kam, dass das britische Oberkommando unter dem neuseeländischen General Freyberg noch auf deutsche Landungen von See her wartete, während Fallschirmjäger und Gebirgsjäger am 26. Mai bereits die britischen Linien bei Chania durchbrachen. Von da an begann der zum Teil geordnete, zum Teil unorganisierte Rückzug der Verteidiger zur kretischen Südküste. Ziel tausender Briten, Neuseeländer, Australier und Griechen war der kleine Hafen Chora Sfakion, von wo aus die Royal Navy eine Evakuierungsaktion Richtung Ägypten gestartet hatte.

Die kretischen Juden ertranken im Mittelmeer

Chora Sfakion ist heute ein beliebter Ausflugsort. Eine mittlerweile gut ausgebaute Straße führt quer über die Insel zu dem kleinen Hafen; die Fahrt geht durch eine wildromantische Berglandschaft. Wenn man an den Scheitel des Gebirgszugs kommt, blickt man auf das tiefblaue Mittelmeer, bevor man auf sich schlängelnden Serpentinen hinunterfährt zu den Tavernen und den eigentlich ganz unkretisch weiß gestrichenen Häusern.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie es vor 75 Jahren hier ausgesehen haben mag. Die Straße nach Sphakia, wie es die Briten nannten, war gesäumt von weggeworfener Ausrüstung, Fahrzeuge waren die Hänge hinuntergestürzt, Verwundete schleppten sich dahin, aus Richtung der über die Berge nachdrängenden Deutschen war Gefechtslärm zu hören.

Der grandiose englische Schriftsteller Evelyn Waugh, der als Offizier den Rückzug mitmachte, hat in seinem Buch "Ohne Furcht und Tadel" eine bedrückende, ironische, allemal lesenswerte Darstellung der letzten Tage auf Kreta gegeben. Am 27. Mai 1941 beschloss die britische Regierung die Räumung der Insel.

Britische Soldaten in deutscher Gefangenschaft. (Foto: SZ Photo)

In den letzten Mai-Tagen schaffte die Navy unter stetigen Angriffen der deutschen Luftwaffe um die 15 000 Soldaten und Zivilisten von der Insel, unter ihnen waren der griechische König und der Ministerpräsident, die sich mit ihrer Entourage durch die malerische Samaria-Schlucht an die Südküste geflüchtet hatten.

Am 1. Juni ergaben sich rund um Chora Sfakion an die zehntausend Briten und Griechen den Deutschen. Die Schlacht um Kreta war geschlagen. Nachdem die Kampfhandlungen beendet waren, wurde der Ostteil der Insel von italienischen Soldaten besetzt.

Für die Kreter ging die Schlacht jahrelang weiter, in Form des Kleinkriegs, der Repressalien, des Versteckens. Auf der Insel blieben zahlreiche Soldaten des Commonwealth zurück, manche lebten Jahre in den Bergen, andere wurden im Lauf der Zeit zumeist nachts von britischen Booten und Schiffen aufgenommen und nach Ägypten gebracht.

Die kretischen Guerilleros wurden von britischen Kommandosoldaten und Agenten unterstützt; einer kleinen Gruppe unter dem Schriftsteller und Major Patrick Leigh Fermor gelang im April 1944 die spektakuläre Entführung des deutschen Generals Kreipe von der Insel nach Ägypten.

Auf Kreta lebten übrigens auch 341 Juden. Einige von ihnen wurden als Geiseln erschossen; die meisten anderen wurden im Mai 1944 per Schiff deportiert, weil sie, wie sehr viele griechische Juden vom Festland und von anderen Inseln in Auschwitz ermordet werden sollten. (Von den etwa 77 000 Juden, die vor dem Krieg in Griechenland lebten, wurden nach Angaben von Yad Vashem an die 60 000 im Holocaust getötet.)

Bei der Fahrt von Kreta nach Piräus wurde das Schiff torpediert, ein alliiertes U-Boot hatte es für einen deutschen Truppentransporter gehalten. Gemeinsam mit 600 Kriegsgefangenen starben die kretischen Juden im Mittelmeer.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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