Griechenland im Zweiten Weltkrieg:Leid und Leidenschaft

Griechenland im Zweiten Weltkrieg: Brutalität vor antiker Kulisse: Deutsche Panzer (Sturmgeschütze IV) 1944 am Galerius-Bogen in Thessaloniki.

Brutalität vor antiker Kulisse: Deutsche Panzer (Sturmgeschütze IV) 1944 am Galerius-Bogen in Thessaloniki.

(Foto: Scherl/SZ Photo)
  • Die Griechen leisteten im Zweiten Weltkrieg erst der italienischen, dann der deutschen Invasion tapferen Widerstand.
  • Nach der Kapitulation Griechenlands verübten Deutsche entsetzliche Gräueltaten an der griechischen Bevölkerung.
  • Auch die italienischen Truppen mordeten und vergewaltigten. Das Ausmaß der deutschen Schuld ist jedoch ungleich größer.

Von Stefan Ulrich

Die Begeisterung könnte schwärmerischer nicht sein: "Von nun an werden wir nicht mehr sagen, dass die Griechen wie Helden kämpfen, sondern dass Helden wie Griechen kämpfen", meint der eine. "Seit der Schlacht von Salamis hat Griechenland nicht mehr so viel Größe und Ruhm erreicht wie heute", findet der andere. Das Lob gilt nicht dem Kampf der griechischen Regierung gegen Angela Merkel und die Troika. Es entspringt der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Das erste Zitat stammt von Winston Churchill, das zweite von Charles De Gaulle.

Europa im Herbst 1940. Der Kontinent ächzt unter den Stiefeln der Faschisten. Nazi-Deutschland hat militärische Erfolge im Westen und Norden des Kontinents vorzuweisen. Da will der italienische Diktator Benito Mussolini nicht nachstehen. Hat das antike Rom nicht einst den Mittelmeerraum beherrscht?

Italienische, griechische und deutsche Geschichte vermischen sich

Mussolini hat 1939 bereits Albanien annektieren lassen. Nun wirft er ein Auge auf Griechenland, das ebenfalls von einem faschistischen Diktator, Ioannis Metaxas, beherrscht wird. Die italienische Propaganda verleumdet die modernen Griechen als verkommenes Volk, das nichts mehr mit den alten Griechen gemein habe. Von Außenminister Galeazzo Ciano stammt der Satz: "Wenn du einen Wolf und einen Griechen triffst, töte den Griechen und lass den Wolf in Ruhe."

So beginnt ein Kapitel des Zweiten Weltkriegs, in dem sich italienische, griechische und deutsche Geschichte mischen. Die Folgen beschäftigen diese Staaten bis heute. Die Griechen fordern für Krieg und Besatzung Entschädigung von den Deutschen. Die Italiener fühlen mit den Griechen. Die italienische Justiz möchte es sogar zulassen, dass griechische Opfer ihre Ansprüche an deutsches Vermögen in Italien vollstrecken. In Deutschland wiederum heißt es, Italien möge aufpassen, nicht selbst wegen einstiger Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Das griechische "Nein" geht in die Geschichte ein

Rom, 15. Oktober 1940. Mussolini hat seine Generäle in den Palazzo Venezia einbestellt. Der Duce eröffnet ihnen den Plan, Griechenland anzugreifen und zu besetzen, "um sicherzustellen, dass es unter allen Umständen in unserem politischen und wirtschaftlichen Herrschaftsbereich bleibt". Einwände der Generäle, Italien habe gerade einen großen Teil seiner Truppen demobilisiert und sei nicht bereit für so einen Krieg, weist er brüsk zurück. Auch den Rat Adolf Hitlers, den Balkan erst einmal in Ruhe zu lassen, beachtet er nicht.

Am frühen Morgen des 28. Oktober verkündet der italienische Gesandte in Athen dem Diktator Metaxas ein Ultimatum. Italien wolle strategisch wichtige Punkte auf griechischem Gebiet besetzen. "Falls die italienischen Truppen auf Widerstand stoßen sollten, wird dieser Widerstand mit Waffengewalt gebrochen." Metaxas antwortet: "Nun, Monsieur, dann wird es Krieg geben." Seine Worte gehen als "Ochi", als "Nein", in die griechische Geschichte ein. Eine Welle patriotischen Kampfgeistes ergreift die Bürger. Neben Großbritannien ist es nun dieses kleine Volk, das sich den Angriffen der Achsenmächte Deutschland und Italien entgegenstemmt und der Welt ein Beispiel gibt.

Mussolini hat etliche Divisionen an der albanischen Grenze zu Griechenland zusammengezogen. Als Metaxas sein Nein spricht, greifen sie bereits an. Stunden später trifft Hitler im Zug in Florenz ein. Mussolini empfängt ihn mit den Worten: "Heute früh im Morgengrauen haben die siegreichen italienischen Truppen die albanisch-griechische Grenze überschritten."

Siegreich? Der Diktator nimmt den Mund zu voll.

Erst Widerstand, dann Leid unter italienischer und deutscher Besatzung

Ende Oktober und Anfang November dringen die Italiener von Albanien aus nach Griechenland vor. Doch der "Spaziergang nach Athen" wird härter als erwartet. Das gebirgige Grenzland ist mühsam zu durchqueren. Schnee und Regen lassen die wenigen Straßen verschlammen. Zudem verhindert das schlechte Wetter, dass die Italiener ihre Luftüberlegenheit ausnutzen.

Die Truppen des Duce sind mäßig motiviert und schlecht gerüstet. Indro Montanelli, der Korrespondent des Corriere della Sera, berichtet von Soldaten, die am ersten Kriegstag nicht schießen, weil die Kanonen noch nicht da sind. Zudem leisten die Griechen unerwartet heftigen Widerstand. Der Vormarsch der Italiener stockt.

Griechenland

SZ-Karte

Mitte November starten die griechischen Einheiten die Gegenoffensive. Sie durchbrechen die italienischen Linien und dringen nach Albanien vor. Bis Ende des Jahres haben sie den Süden Albaniens erobert.

Gleichzeitig greifen die Briten ein. Sie landen auf Kreta und bringen Truppen aufs griechische Festland. Der Duce ist verzweifelt und klagt: "Das Menschenmaterial, mit dem ich arbeite, taugt nichts." Die Front kommt zum Stehen. Zwischen Ende Dezember 1940 und März 1941 wogen die Kämpfe hin und her, ohne dass eine Seite entscheidende Erfolge erringen kann.

Deutsche Truppen fallen ein, Griechenland kapituliert

Hitler ist zu dieser Zeit auf seinen geplanten Überfall auf die Sowjetunion fixiert. Doch die drohende italienische Niederlage macht ihm Sorgen. Er hat kein Interesse an einem Desaster seines Verbündeten Mussolini. Und er will den Briten nicht das strategisch wichtige Griechenland überlassen. Anfang April lässt Hitler das "Unternehmen Marita" starten. Seine 12. Armee fällt vom verbündeten Bulgarien aus in Griechenland ein.

Am 23. April kapitulieren die erschöpften griechischen Truppen vor deutschen und italienischen Vertretern in Saloniki. Großbritannien bringt seine Soldaten rasch in Sicherheit. Am 3. Mai veranstalten Deutsche und Italiener eine Siegesparade in Athen. Bald darauf erobern die Deutschen auch Kreta.

Griechenland ist besiegt. Italien besetzt einen großen Teil des Landes und annektiert einige Gebiete. Deutschland kontrolliert Saloniki, einen Streifen an der Grenze zur Türkei, den Westteil Kretas und einige Inseln. Auch Bulgarien besetzt Gebiete Griechenlands.

Haben die Griechen nicht auch von Italien etwas zu fordern?

Für die Griechen beginnt bis zur Befreiung im Jahr 1944 eine extrem harte Zeit. Sie werden ausgebeutet, ausgehungert und bei Massakern erschossen. Ihre Infrastruktur wird zerstört. Die Leiden sind nicht vergessen. Und sie führen bis zu den Entschädigungsforderungen, die die griechische Regierung heute wieder gegenüber Deutschland geltend macht.

Der Streit zwischen Athen und Berlin um Reparationen und die Rückzahlung eines Zwangskredits wurde in den vergangenen Wochen in allen Details in der Öffentlichkeit ausgebreitet. Doch haben die Griechen nicht auch von Italien etwas zu fordern, das den Krieg begann?

Die italienische Öffentlichkeit hat italienische Kriegsverbrechen in Griechenland und anderen Staaten lange Zeit verdrängt. "Italiani brava gente", "die Italiener sind gute Leute" - das war das Selbstbild. Die Besetzung Griechenlands wurde quasi als humanitäre Intervention verklärt. Dies spiegelt etwa der Spielfilm "Mediterraneo" aus dem Jahr 1991 wider. Die italienische Herrschaft über eine griechische Insel wird als Komödie präsentiert.

Auch italienische Truppen verübten Gräueltaten

Die Wirklichkeit war anders. Unter italienischer Besatzung und Ausbeutung verhungerten unzählige Griechen - wobei daran auch die britische Seeblockade ihren Anteil hatte. Italienische Truppen plünderten, vergewaltigten und verübten Massaker nach Partisanenangriffen, zum Beispiel in dem Dorf Domenikon, wo am 16. Februar 1943 Soldaten der 24. Infanteriedivision Pinerolo 150 Zivilisten ermordeten.

Die breite italienische Öffentlichkeit mag sich dessen auch heute noch nicht voll bewusst sein. Ein Tabu ist das Massaker aber längst nicht mehr. Etliche jüngere italienische Historiker konfrontieren ihr Land schonungslos mit den Weltkriegsverbrechen. Und das große Polit-Magazin Espresso schrieb im Jahr 2008: "An jenem Tag verwandelten sich die italiani brava gente in Bestien." Das Massaker steht auch im Mittelpunkt des Dokumentarfilms "La guerra sporca di Mussolini" (Der schmutzige Krieg Mussolinis).

Schlimmer als die Italiener wüteten die Deutschen

Tobten die Italiener in Griechenland also genauso wüst wie die Deutschen, deren Untaten bei der Unterdrückung der Griechen, zum Beispiel beim Massaker von Distomo, gut dokumentiert sind? Nein. "Die italienischen Verbrechen kommen weder quantitativ noch qualitativ an die deutsche Vernichtungsintensität heran", sagt Lutz Klinkhammer vom Deutschen Historischen Institut in Rom, der sich intensiv mit den Entschädigungsfragen aus dem Zweiten Weltkrieg befasst hat. "Die Zahl der Opfer der Italiener ist nicht annähernd so hoch wie die der Deutschen. Und es waren die Deutschen, die die griechischen Juden vernichteten."

Zudem begingen Wehrmachtssoldaten in Griechenland auch noch ein furchtbares Kriegsverbrechen an ihren ehemaligen Kameraden, den Italienern. Nachdem Italien im September 1943 einen separaten Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen hatte, forderten die Deutschen die Kapitulation aller italienischer Soldaten. Auf der Insel Kefalonia weigerten sich die Italiener, ihre Waffen abzugeben. Sie kämpften, wurden von deutschen Gebirgsjägern besiegt, entwaffnet und niedergemetzelt.

Ungefähr 5000 Italiener sollen getötet worden sein. Der frühere Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi sagte einmal bei einem Besuch auf der Insel: "Die auf Kefalonia gefallenen Soldaten stehen für die erste Tat des italienischen Widerstands."

Italien hat keine juristische Schuld - aber eine moralische

Zurück zu den Griechen: Die deutsche Schuld ihnen gegenüber wiegt deutlich schwerer als die italienische. Auch juristisch sind die Italiener in einer besseren Position. Im Gegensatz zu Deutschland schloss Italien einen Friedensvertrag mit Griechenland, der 1948 ratifiziert wurde. Darin verpflichtete sich Italien, die Inseln des Dodekanes, zu der Rhodos gehört, an Griechenland abzutreten und Reparationen in Höhe von 105 Millionen Dollar zu bezahlen.

"Italien ist aufgrund des Friedensvertrags juristisch auf der sicheren Seite", sagt der Historiker Klinkhammer. Moralisch aber habe auch Rom seinen Anteil an den griechischen Leiden der Besatzungszeit.

Aktuell mag Griechenland ein Problemstaat sein. Historisch hat es sich große Verdienste im Kampf für ein freies Europa erworben. Das bleibt unvergessen.

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