Zum Tod von Helmut Schmidt:Mehr als ein Jahrhundert-Kanzler

Zum Tod von Helmut Schmidt: Helmut Schmidt im Jahr 2010

Helmut Schmidt im Jahr 2010

(Foto: Regina Schmeken)

Als Politiker gab Helmut Schmidt den Krisenmanager und Weltökonomen. Als Pensionär den Publizisten und Elder Statesman. Seine Popularität stieg nach seiner Abwahl als Kanzler von Jahr zu Jahr.

Thorsten Denkler, Berlin

Er hat sich nicht davor gefürchtet. Davor, "endgültig die Adresse zu wechseln", wie er das mal genannt hat. Nun ist Helmut Schmidt tot. Er starb im Alter von 96 Jahren. Er starb als ein Mann, den die Deutschen verehrten. In den vergangenen Jahren mehr als je zuvor.

Bücher hat er geschrieben, nahezu jedes wurde ein Bestseller. Filme wurden über ihn, sein Leben gedreht. Allesamt Quotenhits.

Es soll Menschen geben, die kauften Die Zeit, deren Herausgeber er war, allein um im beiliegenden Zeit-Magazin die letzte Seite zu lesen. "Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt" hieß das wöchentliche Kurz-Interview mit Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Nach den Terminen musste di Lorenzo sein Büro in der Hamburger Redaktion ausgiebig lüften, weil es Schmidt selten bei nur einer Zigarette beließ.

Was die Menschen an ihm mochten, ist das, was sie an ihm hassten, als er Bundeskanzler war in diesen knapp acht Jahren von 1974 bis 1982. Direkt, schroff, eitel: Das sind Attribute, die mit ihm in Verbindung gebracht werden.

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(Foto: dpa)

Im Krieg aber sagt Schmidt jedem, wie widerwärtig ihm das NS-Regime ist

Als die SZ-Redakteurin Evelyn Roll Schmidt 2008 anlässlich seines 90. Geburtstages in Hamburg besuchte, stellte sie ihm folgende Frage: Ob angesichts der Weltfinanzkrise die Bildung einer Art Weltregierung möglich sei, die die großen Probleme angehe. Schmidt antwortete: "Das kommt mir ein bisschen optimistisch vor." Roll bedankte sich, dass er statt optimistisch nicht naiv gesagt habe. Schmidt: "Das ist es aber, was ich gedacht habe."

Einem schon greisen Mann wird das verziehen. Einem Kanzler eher nicht.

Es war die "Scheiße des Krieges" die ihn geprägt hat, sagte Schmidt immer wieder. Im Dezember 1918 im Hamburg-Barmbek als Sohn eines Lehrers geboren, ist er bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 20 Jahre alt. In den Jahren 1941 bis 1942 kämpft er in einer Panzerdivision an der Ostfront, später an der Westfront.

Schmidt, der einen jüdischen Großvater hat, marschiert zwar in den dreißiger Jahren schon mal mit der Marine-Hitlerjugend. Im Krieg aber sagt er jedem, wie widerwärtig ihm das NS-Regime ist. Nur der Einsatz vorgesetzter Generäle bewahrt ihn vor einem Prozess. 1945 gerät Oberleutnant Schmidt für kurze Zeit in britische Kriegsgefangenschaft.

Schmidt hat die Menschen um sich herum bis zum Schluss in zwei Kategorien eingeteilt. In die, die den Krieg erlebt haben. Und jene, die "mit größter Unbefangenheit und Naivität an die politischen Aufgaben rangehen".

Die Kriegsgefangenschaft erst hat ihn politisiert, dort ist er Sozialdemokrat geworden, sagt er später. 1946 tritt er in die SPD ein. Nach dem Krieg legt er eine Blitzkarriere hin, studiert Staatswissenschaften und Volkswirtschaft, wird schnell Verkehrsdezernent in Hamburg. 1953 zieht er in den Deutschen Bundestag ein. Damals schon macht er sich als "Schmidt-Schnauze" einen Namen.

Später geht er zurück in die Heimat. Schmidt will mitregieren in Hamburg, als Innensenator. Die Bewährung kommt 1962: Die große Flut bricht über Hamburg herein. Das Wasser überrascht alle. Schmidt bleibt besonnen, zieht in einem halblegalen Akt die Kommandogewalt im Lagezentrum an sich, das ihm wie ein Hühnerhaufen vorkommt. Er koordiniert die Rettungskräfte, befehligt Bundeswehrsoldaten, fordert Nato-Hubschrauber an.

Nach der Flut ist Schmidt der Macher, der Krisenmanager. Er wird diesen Ruf nicht mehr verlieren.

Schmidt wechselt wieder nach Bonn, wird erst Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, dann Verteidigungsminister unter Bundeskanzler Willy Brandt. Er krempelt die Streitkräfte um: Schmidt entstaubt die zwar noch junge aber in überkommenen Traditionen verhaftete Armee, setzt die Prinzipien der inneren Führung und des Bürgers in Uniform durch. Die Bundeswehr-Universität in Hamburg trägt heute den Namen Helmut Schmidts.

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