Wikileaks-Enthüllungen:Spione und Diplomaten beim Kindergeburtstag

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Der FDP-Mann, der in der US-Botschaft wohl Details ausplauderte, muss keine Ermittlungen fürchten. Schon im Kalten Krieg sprachen deutsche Parteichargen gerne mit ausländischen Diplomaten.

Hans Leyendecker

Der Informant saß an der Quelle. Er war Protokollant wichtiger Verhandlungen und konnte deshalb, ohne aufzufallen, alles aufschreiben, was ihm wichtig war. Geheimdienstler schätzen Schriftführer ganz außerordentlich. Besonders dann, wenn diese jung, unerfahren und vielleicht auch deshalb ganz besonders eifrig und ehrgeizig sind. Zu Treffen brachte der Protokollant reichlich internes Material mit. Vertrauliche Papiere. Alles ganz diskret, versteht sich.

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Sein professioneller Gegenüber nahm die Unterlagen dankend entgegen und sagte Vertraulichkeit zu. Es kam häufiger - dann noch häufiger - zu Begegnungen, und der Gegenüber berichtete seinem fernen Auftraggeber, stolz, er habe da eine wirklich "gut platzierte Quelle" in Berlin.

Dieser in Kabelberichten nach Washington dokumentierte Ablauf der Gespräche zwischen dem amerikanischen Botschafter in Deutschland, Philip Murphy, und einem angeblichen Mitarbeiter der FDP, der 2009 für die Liberalen bei den Koalitionsverhandlungen Protokoll geführt haben soll, klingt wie ein Fall aus dem Agenten-Lehrbuch. Genauso ging es Hunderte Male im Kalten Krieg zu. Wegen solch ähnlicher Geschichten wurden früher Protokollanten, die für eine fremde Macht mitgeschrieben hatten, von der Strafverfolgungsbehörden wegen geheimdienstlicher Tätigkeit angeklagt und meist auch verurteilt.

"Wir nehmen die Berichte zur Kenntnis"

Bekommt Murphys FDP-Quelle jetzt ein Aktenzeichen der Karlsruher Bundesanwaltschaft, die solche Delikte verfolgt? Die Formulierung, die Quelle sei "gut platziert" klingt verräterisch.

Ein Vertrauensbruch war es allemal, aber nach der gängigen Rechtsprechung handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht um Spionage und schon gar nicht um Verrat. "Wir nehmen die Berichte über den Fall zur Kenntnis" sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Von einer "Prüfung" der Vorwürfe, was ein bisschen weitgehender wäre, mag er nicht sprechen.

Der einschlägige Paragraph 99 des Strafgesetzbuches setzt bei der geheimdienstlichen Tätigkeit ein "aktives Verhalten" voraus. Das könnte bei dem vermeintlichen liberalen Ehrgeizling möglicherweise vorliegen. Konspirative Methoden und Heimlichkeiten gelten als Indiz für Spionagetätigkeiten. Und darunter könnte ja auch fallen, das der Botschafter die Identität des Informanten sogar den eigenen Leuten vorenthielt. Der Diplomat Murphy hantierte ähnlich wie ein Agentenführer, der eine nachrichtendienstliche Quelle schützt.

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Wesentlicher aber ist, dass die geheimdienstliche Tätigkeit "für den Geheimdienst einer fremden Macht" ausgeübt werden muss. Zwar ist nach dem Gesetz dafür "eine Eingliederung in die Organisation des Geheimdienstes nicht unbedingt erforderlich", doch ein Botschafter ist in der Regel kein Agent. Auch dann nicht, wenn er aus China oder Pakistan stammt. Es kommt nicht darauf an, ob er Amerikaner ist oder nicht. Vor dem Gesetz sind, zumindest auf dem Papier, alle fremden Mächte gleich.

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Traditionell gibt es neben der offiziellen Diplomatie geheime Kanäle. Die hießen früher bei der SPD back channels; die Union unterhielt black channels. Die Beteiligten trafen auch mit führenden Mitarbeitern des sowjetischen Geheimdienstes KGB zusammen, und sie redeten über ernsthafte Angelegenheiten, bei denen es manchmal buchstäblich um Leben und Tod ging. Die nun in Rede stehenden Plaudereien der Koalitionsrunde sind damit verglichen Geschichten vom Kindergeburtstag.

Klassenkeile statt Strafverfolgung

Die Abgrenzung von Diplomatie und Spionagetätigkeit hat der Sozialdemokrat Egon Bahr, der seit 1969 im Auftrag von Willy Brandt und später von Helmut Schmidt einen Kanal nach Moskau gebaggert hatte, mal so beschrieben: Wer heimlich für eine fremde Macht tätig sei, mache sich strafbar. Wer heimlich mit einer fremden Macht spreche, nutze sie als Boten für die Politik und sondiere die Absichten der anderen Seite. Das sei kein Verrat an deutschen Interessen - im Gegenteil.

Rau ging es damals zu, und an echten Sotissen war kein Mangel. Von einem Gespräch mit dem früheren CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß nahm ein Oberst des Ostberliner Ministeriums für Staatssicherheit folgende Einschätzung über den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl mit nach Hause: "Er ist etwas feige und ein Spießbürger." Und über Kohls damaligen Staatsminister Philipp Jenninger notierte er: "Für diese Sache der ungeeignetste Mann." Als der Monolog Mitte der neunziger Jahre bekannt wurde, war das keine Sensation.

Dass amerikanische Diplomaten und ihre deutschen Zuträger bei Staatsschützern eine Art Sonderstatus hätten, wird gerne und oft behauptet. Aber Belege dafür gibt es nicht. Es steht also zu erwarten, dass die Bundesanwaltschaft gegen den Protokollführer kein Verfahren einleiten wird. Er könnte, theoretisch, von einer gewöhnlichen Staatsanwaltschaft wegen der Verletzung von Privat- oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (Paragraph 203) oder wegen "Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht" (Paragraph 353 b) verfolgt werden. Aber er ist kein Amtsträger und gehört auch nicht dem öffentlichen Dienst an. Strafrechtlich muss Murphys Quelle wenig befürchten - mit Klassenkeile hingegen muss er schon rechnen.

© SZ vom 30.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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