Eine Partei, die dem Teufel abschwören muss. Das war der französische Front National (FN) 2011 - zumindest Marine Le Pen dürfte das so gesehen haben. Sie startete damals, bei ihrer Übernahme der väterlichen Partei, einen Prozess der "Entdiabolisierung". Die Partei sollte gemäßigter werden, sich von der rechtsradikalen, antisemitischen Protestgruppierung zu einer nationalistischen Volkspartei entwickeln.
Die Außenwahrnehmung drehte Le Pen tatsächlich. Heute erreicht sie deutlich mehr Franzosen als ihr Vater und FN-Parteigründer Jean-Marie Le Pen. Sie kam in die Stichwahl um die Präsidentschaft, an diesem Sonntag wurde sie erstmals in die Nationalversammlung gewählt. Damit hat sie eine prominente Bühne in Paris, um sich als Alternative gegen Präsident Emmanuel Macron zu inszenieren.
Aber hat Le Pen mit ihrer "Entdiabolisierung" tatsächlich einen neuen Front National geschaffen? Oder zieht mit ihr eine Rechtsradikale ins Parlament ein? Vier Hinweise auf ihre Gesinnung.
1. Die Ideologie ist genauso rechtsradikal wie zu Vaters Zeiten
Marine Le Pen hat große Teile des früheren Jargons des Front National gestrichen, explizit rechtsextremes Ideengut zumindest nach außen hin verbannt. Schlüsselbegriffe sind nun 'Souveränität' und 'Identität', statt 'Rasse' wird 'Kultur' gesagt. Wer aber das heutige Programm der Partei mit dem zu Zeiten ihres Vaters Jean-Marie Le Pen vergleicht, erkennt: Die Änderungen sind höchstens oberflächlich.
Neu ist zwar das Wirtschafts- und Sozialprogramm, aber: "Was die rechtsradikale Politik angeht, vertritt Marine Le Pen dasselbe Programm wie unter dem Vater. Die Ideologie ist dieselbe", erklärt Tanja Kuchenbecker, Autorin der deutschsprachigen Biographie über Marine Le Pen ( "Tochter des Teufels"). "Es geht weiter um Rassismus, um Ausgrenzung und darum, Angst zu verbreiten." So will der FN als einzige Partei in Frankreich einen kompletten Stopp der Zuwanderung, die Religionsfreiheit einschränken und unterschiedliche Rechte für Franzosen und Ausländer einführen.
Die politische DNA der Partei sei zweifellos in der historischen Rechtsextremen verankert, schreibt der französische Extremismusexperte Jean-Yves Camus in einer Studie. Mittlerweile habe sich der FN den populistischen Rechtsparteien wie der italienischen Lega Nord oder der Schweizer SVP angenähert, allerdings sei dieser Prozess nicht abgeschlossen. Bei den Themen Zuwanderung und Identität werden die alten Ansichten ihm zufolge immer wieder deutlich.
Selbst wenn wirtschaftliche und soziale Themen heute das Programm der einstigen Nischenpartei dominieren, der rechtsextreme Markenkern scheine immer noch durch, schreibt dazu auch Ronja Kempin in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik.
2. Weiterhin umstrittene Parteigenossen im Front National
Seit der Machtübernahme Marine Le Pens hat sich das Personal des FN geändert. Sie setzt vor allem auf junge Mitstreiter, viele auffällige Weggenossen ihres Vaters mussten die Partei verlassen. "Sobald sich jemand antisemitisch geäußert hat, wurde er ausgeschlossen. Le Pen hat ihr eigenes Team eingeführt: hübsche junge Menschen, die sich alle ordentlich benehmen und aussehen", erklärt Tanja Kuchenbecker. Aber das sei zum Teil auch Fassade, denn die Parteichefin pflege weiterhin Kontakte in einschlägige Milieus, sagt die Autorin.
Dass auch in den jungen Reihen des FN nicht alles sauber abläuft, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Recherche der französischen Seite Buzzfeed: Dutzende FN-Kandidaten für die Nationalversammlung setzen klar rassistische und islamfeindliche Postings auf Facebook und Twitter ab, dokumentieren die zusammengestellten Screenshots. Le Pen kommentierte den Medienbericht trotz der Belege als "nicht seriös". Konsequenzen blieben aus.
Aber auch unter den hochrangigen Politikern des Front National sind weiterhin einige sehr umstritten. Zum Beispiel Bruno Gollnisch, gegen den bereits wegen des Verdachts der Holocaustleugnung ermittelt wurde. Oder Jean-François Jalkh, dem vorgeworfen wird, 2005 in einem Interview Zweifel daran geäußert zu haben, dass Zyklon B zum Massenmord in Gaskammern genutzt werden kann. Er übernahm 2017 interimistisch den Parteivorsitz, damit sich Le Pen auf den Wahlkampf konzentrieren konnte - legte die Funktion aber nach Bekanntwerden der Vorwürfe nieder. Le Pen sprach von "Verleumdung".
Der prominenteste Ausschluss umstrittener FN-Figuren war der ihres Vaters 2015, aber auch hier überwiegt wohl eher Kalkül als überzeugte Distanzierung.
Schließlich ist Jean-Marie Le Pen immer noch Ehrenpräsident des FN, zudem großzügiger Geldgeber. Für den Präsidentschaftswahlkampf seiner Tochter 2017 spendierte er sechs Millionen Euro. "Der Vatermord war ganz klar eine strategische Entscheidung. Sie wurden von allen Seiten bedrängt, sich von ihm zu distanzieren - das hat sie dann auch getan, um der Welt zu beweisen, dass sie einen neuen FN geschaffen hat. Aber es ist klar, dass der Vater immer noch präsent ist, sowohl ideologisch als auch finanziell", sagt Kuchenbecker.
Jean-Marie Le Pen hat die Gaskammern der Nationalsozialisten wiederholt als Detail der Geschichte des Zweiten Weltkrieges bezeichnet. Er ist dafür und wegen anderer rassistischer und antisemitischer Beleidigungen verurteilt worden, unter anderem wegen öffentlicher Äußerungen, wonach die deutsche Besatzung Frankreichs nicht "besonders unmenschlich" gewesen sei.
4. Le Pen selbst spart nicht mit radikalen Aussagen
Aber auch Marine Le Pen selbst fiel mehrfach mit radikalen Aussagen auf. 2010 verglich sie öffentliche Gebete von Muslimen mit der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. Sie sagte in Anspielung auf die Probleme in französischen Vorstädten, es gebe Orte, an denen es nicht gut sei, eine "Frau zu sein, homosexuell oder Jude, nicht einmal französisch oder weiß". Das Europaparlament beschloss daraufhin 2013 die Aufhebung ihrer Immunität, um Strafermittlungen zu ermöglichen. Das Strafgericht in Lyon sprach sie 2015 unter Anführung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung aber frei.
Wäre es ein Kompliment für sie, als "Totengräberin der EU" bezeichnet zu werden, wurde sie zudem 2016 einmal im Schweizer Fernsehen gefragt. Aber ja, natürlich, antwortete Le Pen.
Im Wahlkampf 2017 stellte sie außerdem Frankreichs Mitverantwortung für die Verschleppung Tausender Juden während des Zweiten Weltkriegs in Abrede. "Wenn sich Le Pen so äußert, ist das kein Ausrutscher, sondern immer Strategie, um hartgesottene Anhänger und interne Kritiker nochmal zu überzeugen", erklärt Kuchenbecker.
Der Teufel liegt im Detail
Die "Entdiabolisierung" hat den Front National nach außen hin durchaus erfolgreich verändert - hinter der Fassade ist er allerdings fast genauso rechtsradikal wie unter Jean-Marie Le Pen. Die Partei will dasselbe, sagt es aber mit anderen Worten - es geht weniger um Überzeugung, als darum, neue Wähler aus der Mitte zu erreichen. "Es ist vor allem Kosmetik. Marine Le Pens Vater schlug mit der Faust auf den Tisch, sie hingegen ist ruhiger, benutzt ein anderes Vokabular", führt Kuchenbecker aus.
Der Front National ist also weiterhin deutlich weiter rechts der Mitte anzusiedeln, als nach außen hin verkauft wird. Oder in der Terminologie Le Pens: Der Teufel liegt im Detail.