Whistleblower:Gnade gibt es nicht für alle

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Der Australier Julian Assange (links) und die Amerikaner Edward Snowden und Chelsea Manning gehören zu den international bekanntesten Whistleblowern. (Foto: Dpa (2), AP, Collage: SZ)

US-Präsident Obama hat das Strafmaß der Whistleblowerin Chelsea Manning drastisch verkürzt. Was bedeutet das für die Zukunft von Edward Snowden und Julian Assange?

Von Silke Bigalke, Stockholm

Vor etwa einem Jahr sah es schon einmal so aus, als würde Julian Assange sein Botschaftsexil verlassen. Damals entschied eine Expertengruppe des UN-Menschenrechtsrats über seinen Fall. Julian Assange versprach, sich der britischen Polizei zu stellen, sollte das Urteil der Menschenrechtsexperten gegen ihn ausfallen. Er wusste damals wahrscheinlich längst, dass die Gruppe zu seinen Gunsten entscheiden würde. Sie erklärte, Assange sitze in der Botschaft unrechtmäßig in Haft. Dort blieb Assange dann auch, und hatte es durch seinen Trick geschafft, viel Aufmerksamkeit auf das Urteil zu ziehen.

Nun hat der Wikileaks-Gründer wieder versprochen, die ecuadorianische Botschaft in London zu verlassen, in der er seit viereinhalb Jahren lebt. "Wenn Obama Manning begnadigt, wird Assange einer Auslieferung an die USA zustimmen", hatte Wikileaks vergangene Woche über Twitter mitgeteilt. Im Juli 2010 hatte Wikileaks geheime US-Dokumente über den Afghanistan-Krieg veröffentlich. Die Quelle: Chelsea Manning, die damals noch als Mann lebte, Bradley Manning hieß und im US-Militär diente, unter anderem als Geheimdienstanalyst in Bagdad.

Dass Edward Snowden nun auch begnadigt wird, gilt als unwahrscheinlich

Die heute 29-jährige Manning hatte mehr als 700 000 vertrauliche Kriegsaufzeichnungen und diplomatische Depeschen an Wikileaks weitergegeben. Darunter war auch ein Videoclip aus dem Jahr 2007: Er zeigt, wie die Besatzung eines US-Militärhubschraubers mindestens neun Menschen tötet, darunter einen Reuters-Fotografen. Während Assange in seinem Exil saß, verurteilte ein US-Militärgericht Manning 2013 zu 35 Jahren Haft, unter anderem wegen Verstoßes gegen Spionagegesetze, wegen Diebstahls und Computerkriminalität. US-Präsident Barack Obama hat die Whistleblowerin nun begnadigt, Chelsea Manning soll im Mai dieses Jahres freikommen.

Und Assange? "Er sieht das als großen Teilerfolg, um nicht nur Manning, sondern auch Wikileaks und sich selbst zu rehabilitieren", sagte sein Anwalt Per Samuelson. Es sei jedoch zu früh, um zu sagen, ob sich Assange tatsächlich an die USA ausliefern lasse: "Solange es die Bedrohung aus den USA gegen Assange gibt, wird er sein politisches Asyl genießen." Melinda Tayler, ebenfalls in Assanges Juristenteam, schrieb dagegen auf Twitter: "Er steht zu allem, was er gesagt hat." Wikileaks hat das retweetet.

Das amerikanische Justizministerium hat bislang öffentlich keine Anklage gegen Julian Assange erhoben. Es ist jedoch unklar, ob es eine versiegelte und damit geheime Anklage gibt. Ein weiterer Assange-Anwalt, Barry Pollack, reagierte zurückhaltend auf die Manning-Begnadigung. Er habe das US-Justizministerium vor Monaten darum gebeten, den juristischen Status Assanges zu klären, sagte er in einem Statement: "Ich hoffe, das wird es bald." Obamas Entscheidung, Manning zu begnadigen, habe mit Assanges Ankündigung nichts zu tun, zitiert der britische Guardian einen Sprecher des Weißen Hauses.

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Das Weiße Haus wurde auch nach einem weiteren Whistleblower, Edward Snowden, gefragt. Snowden hatte Details über das Abhörprogramm der US-Geheimdienste veröffentlicht und 2013 in Russland um Asyl gebeten. Es gilt als unwahrscheinlich, dass er wie Manning verschont wird. Er dürfe noch "einige Jahre" in Russland bleiben, teilte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Dienstagabend auf Facebook mit.

Es gebe entscheidende Unterschiede zwischen Manning und Snowden, zitiert die New York Times einen Sprecher des Weißen Hauses. Während sich Chelsea Manning der amerikanischen Justiz gestellt habe, hätte Snowden Zuflucht in einem Land gesucht, das erst kürzlich Anstrengungen unternommen habe, "das Vertrauen in unsere Demokratie zu untergraben". Damit dürfte ein Bericht der US-Geheimdienste gemeint sein, demzufolge Moskau den Wahlkampf Donald Trumps unterstützte.

Wikileaks hat während des Wahlkampfs E-Mails der demokratischen Partei veröffentlicht und dadurch deren Kandidatin Hillary Clinton geschadet. Assange bestreitet, diese E-Mails von der russischen Regierung erhalten zu haben.

Dass Assange seit vier Jahren in einer Botschaft lebt, hat nur indirekt mit den USA zu tun: Kurz nachdem Wikileaks die Manning-Dokumente im Sommer 2010 veröffentlich hatte, verdächtigte die schwedische Staatsanwaltschaft Julian Assange, in Stockholm zwei Frauen belästigt und vergewaltigt zu haben. Assange hat diese Vorwürfe stets bestritten, weigerte sich jedoch, zur Befragung nach Schweden zurückzukehren. Die Stockholmer Staatsanwaltschaft sprach einen europäischen Haftbefehl aus, im Sommer 2012 flüchtete sich Assange dann in die ecuadorianische Botschaft in London. Die Schweden, befürchtet er, würden ihn an die USA ausliefern. Womöglich hofft er, diese Sorge unter einem Präsidenten Donald Trump loszuwerden.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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