Whistleblower:Die wichtigsten Enthüller vor und nach Chelsea Manning

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Whistleblower-Collage: Daniel Ellsberg, Edward Snowden, Mark Felt und Antoine Deltour (Foto: AFP, dpa)

Immer wieder gelangen wichtige Informationen an die Öffentlichkeit, von denen sie ohne Whistleblower nie erfahren hätte. Eine Auswahl der bekanntesten Hinweisgeber.

Der Begriff Whistleblower kommt vom englischen Ausdruck "to blow the whistle", also "in die Warnpfeife blasen". Im Deutschen würde man Whistleblower mit Enthüller oder Hinweisgeber übersetzen.

Schon vor und auch nach Chelsea Manning gab und gibt es Menschen, die ihr Leben oder ihre Freiheit dafür einsetzten, die Öffentlichkeit über Misstände zu informieren. Auch in Deutschland sind Whistleblower nach wie vor vom Gesetz weitgehend ungeschützt.

Nicht allen gelten Whistleblower als Helden. Kritiker argumentieren, zunächst müssten die Hinweisgeber intern in ihren Behörden oder Unternehmen für Abhilfe sorgen. Kritisiert werden auch Whistleblower, die Informationen nur herausgeben, um sich dadurch einen eigenen Vorteil zu verschaffen.

Ein Auswahl der wichtigsten Whistleblower:

Daniel Ellsberg (1971)

Was wurde enthüllt: US-Präsident Nixon und seine Vorgänger hatten die amerikanische Bevölkerung darüber belogen, warum die USA in Vietnam Krieg führten.

Wer ist der Whistleblower: Daniel Ellsberg arbeitete seit 1964 im Pentagon, dann für das US-Außenministerium in Vietnam. Als Mitarbeiter der RAND Corporation - einer Denkfabrik mit der Aufgabe, die US-Streitkräfte zu beraten - erhielt er ab 1969 Zugang zu streng geheimen Dokumenten zum Vietnamkrieg. Er kopierte etwa 7000 Seiten davon, die belegten, dass die US-Regierung unter Präsident Richard Nixon und auch die Vorgängerregierrungen die Öffentlichkeit über Jahre gezielt über den Vietnamkrieg belogen hatten. Ellsberg gab die Papiere 1971 an die New York Times und die Washington Post.

Was waren die Konsequenzen: Ellsberg und sein Helfer Anthony Russo wurden der Spionage angeklagt, ihnen drohten 115 Jahre Haft. Als herauskam, dass Präsident Nixon ehemalige und aktive Mitarbeiter des FBI und der CIA auf ihn angesetzt hatte, die ihn abhörten und sogar in die Praxis von Ellsbergs Psychiater eingebrachen, wurde das Verfahren eingestellt. Ellsberg engagiert sich bis heute gegen Kriegseinsätze der USA und unterstützt WikiLeaks.

William Mark Felt alias Deep Throat (1972)

Was wurde enthüllt: Aus dem unmittelbaren Umfeld von US-Präsident Nixon wurde in Auftrag gegeben, die Zentrale der Demokratischen Partei (im Watergate-Gebäudekomplex) auszuspionieren.

Wer ist der Whistleblower: Mark Felt war Vize-Direktor des FBI, als er nach dem Watergate-Einbruch 1972 den Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post Informationen über die Ermittlungen weitergab. Es kam heraus, dass die Auftraggeber der Einbrecher, die den von den Demokraten genutzten Watergate-Komplex verwanzen wollten, aus dem direkten Umfeld von Präsident Richard Nixon kamen. Der Skandal führte 1974 zum bislang einzigen Rücktritt eines Präsidenten in der Geschichte der USA.

Was waren die Konsequenzen: Felt arbeitete weiterhin beim FBI. Denn dass er der Informant der Washington Post war, wusste jahrelang niemand. Erst 2005 gab Felt zu, dass er die als "Deep Throat" bezeichnete Quelle der Reporter war. 2008 starb er nach schwerer Krankheit.

Joseph Wilson und die Plame-Affäre (2003)

Was wurde enthüllt: Um einen militärischen Angriff zu rechtfertigen, behauptete die US-Regierung wider besseres Wissen, der Irak würde an Atomwaffen arbeiten.

Joseph Wilson und Valerie Plame 2006 (Foto: REUTERS)

Wer ist der Whistleblower: Der ehemalige Diplomat und frühere Botschafter Joseph C. Wilson war von der CIA 2002 in den Niger gesandt worden. Er sollte für die US-Regierung unter Präsident George W. Bush überprüfen, ob der Irak dort Uranoxid gekauft hatte, das sich zum Bau von Atomwaffen geeignet hätte. Wilson informierte die US-Regierung darüber, dass dies nicht zutraf. Die Regierung ignorierte Wilsons Bericht und rechtfertigte den folgenden Angriff auf den Irak weiterhin völkerrechtlich auch mit der Behauptung, Iraks Diktator Saddam Hussein würde an Atomwaffen arbeiten. Nach der Besetzung des Irak durch eine militärische Allianz unter der Führung der USA veröffentlichte Wilson in der New York Times einen Artikel, in dem er seine Erkenntnisse offenlegte. Die US-Regierung hatte die Bevölkerung demnach auch mit Fehlinformationen von der Notwendigkeit des Krieges überzeugt.

Was waren die Konsequenzen: Nach der Veröffentlichung wurde Journalisten aus Regierungskreisen gesteckt, dass Wilsons Frau Valerie Plame eine CIA-Agentin war - deren Tarnung dadurch aufflog (Plame-Affäre).

Chelsea Manning und Wikileaks (2010)

Was wurde enthüllt: Videos belegten, dass die US-Armee irakische Zivilisten und Journalisten getötet hatte. Hunderte Fälle von Folter wurden aufgedeckt.

Wer ist die Whistleblowerin: Chelsea Manning, die damals Bradley hieß, war Ende 2009 als US-Soldat im Irak stationiert und hatte dort Zugang zu einem Computernetzwerk des US-Militärs mit vertraulichen Unterlagen. Sie kopierte Hunderttausende diplomatische Depeschen sowie Videos und Dokumente der US-Behörden und spielte sie 2010 der Enthüllungsplattform Wikileaks zu, die so weltberühmt wurde. Manning kam schnell unter Verdacht und wurde im Mai 2010 in Militärhaft genommen. Für weltweite Kritik sorgte damals vor allem ein Video aus einem US-Helikopter im Irak, das zeigt, wie US-Soldaten aus der Luft mit Bordkanonen zahlreiche, vermeintlich bewaffnete Personen und zwei Reuters-Reporter unter Beschuss nehmen und töten.

Was waren die Konsequenzen: Manning wurde im Juli 2013 von einem Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt, was ihr Anwalt als Erfolg wertete: Als Höchststrafe standen 136 Jahre im Raum. Die Richterin sprach die Angeklagte vom Hauptvorwurf der "Feindesunterstützung" jedoch frei. Dies ersparte ihr eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung. Nach dem Urteil outete sich Bradley Manning als transsexuell und sagte, sie wolle künftig unter dem Namen Chelsea Manning als Frau leben. Seit ihrer Verurteilung befindet sich Chelsea Manning im Armeegefängnis Fort Leavenworth in Kansas. Dort ist sie Häftling 89289, die einzige Frau unter Hunderten Männern. 2016 versuchte sie zweimal, sich das Leben zu nehmen. Wegen Barack Obamas Begnadigung kommt Manning statt 2045 im Mai 2017 frei. Die Entscheidung ist endgültig, Bald-Präsident Donald Trump kann sie nicht mehr revidieren.

Was wurde enthüllt: US-amerikanische und britische Geheimdienste überwachen mit dem Spionagesystem Prism die Onlinekommunikation von Menschen auf der ganzen Welt.

Wer ist der Whistleblower: Es ist der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der im Jahr 2013 die umfassende Überwachung von Privatpersonen und Regierungen (auch Angela Merkels Handy wurde abgehört) durch den US-Geheimdienst NSA und dessen britischen Partner GCHQ bekannt gemacht hat. Fast zehn Jahre arbeitete Snowden als IT-Spezialist für US-Geheimdienste oder private Dienstleister der Sicherheitsbranche. Zuletzt kümmerte er sich um Projekte des mächtigen Auslandsgeheimdienstes National Security Agency (NSA). Über Monate kopierte er dort hochsensible Daten, um sie zu veröffentlichen. Dafür nahm er im Januar 2013 Kontakt zu der Dokumentarfilmerin Laura Poitras auf, kurz darauf meldete er sich beim Guardian-Journalisten Glenn Greenwald.

Was waren die Konsequenzen: US-Präsident Obama verteidigte Prism stets mit der Begründung, ein geheimes Gericht habe das Überwachungsprogramm genehmigt. Die NSA-Datensammlung folge rechtstaatlichen Prinzipien und sei verfassungskonform. Das FBI fahndet nach Snowden deshalb wegen Geheimnisverrats. Bei einer Rückkehr in die USA drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft. Snowden flüchtete aus den USA, tauchte zunächst in Hongkong unter und lebt seit 2013 in Russland im Exil, wo ihm Asyl gewährt wurde.

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Kommentar von Hans Leyendecker

Lux-Leaks: Raphaël Halet, Antoine Deltour und Edouard Perrin (2014)

Was wurde enthülllt: Die Behörden in Luxemburg ermöglichten internationalen Unternehmen, sich um Steuerzahlungen in Milliardenhöhe zu drücken.

Wer sind die Whistleblower: Deltour und Halet waren Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) und gaben unzählige Dokumente an den Journalisten Perrin weiter. Ein Aktenberg aus 28 000 Seiten ermöglichte so einen bisher einmaligen Blick hinter die Kulissen der Steueroase Luxemburg: Die Behörden sind wohlwollend, und eine ganze Heerschar findiger Berater steht bereit, die Abgabenlast für Konzerne mit Hilfe umstrittener Steuerkonstruktionen kleinzurechnen - nicht selten auf weniger als ein Prozent. Ändern müsste das ausgerechnet der Mann, der dieses System jahrzehntelang selbst verantwortete: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Was waren die Konsequenzen: Halet, Deltour und Perrin wurden von der luxemburgischen Staatsanwaltschaft angeklagt. Journalist Perrin wurde in einem ersten Prozess freigesprochen, die Staatsanwaltschaft ging jedoch in Berufung. Perrin steht nun also erneut vor Gericht. Die ehemaligen PwC-Mitarbeiter Deltour und Halet wurden im Juni 2016 zu neun beziehungsweise zwölf Monaten auf Bewährung verurteilt. Dazu kommen Strafzahlungen in Höhe von 1000 beziehungsweise 1500 Euro. Beide müssen außerdem gemeinsam einen Euro als symbolischen Schadenersatz an PwC zahlen. Halet und Deltour sind bereits in Berufung gegangen, ihre Verteidiger fordern Freisprüche.

Swiss-Leaks: Hervé Falciani (2015)

Was wurde enthüllt: Die britische Bank HSBC half weltweit Despoten, Ministern, Waffenhändlern und Drogenschmugglern bei Geldwäsche und Steuerhinterziehung.

Wer ist der Whistleblower: Der riesige Datensatz, den der Whistleblower Hervé Falciani bei der Schweizer Tochter der HSBC entwendete, belegte: Das Institut war weltweit Tausenden zu Diensten, die gute Gründe hatten, ihr Geld zu verstecken - vor Steuerbehörden oder Ermittlern. Wie es aussieht, wurden im Schutz des Schweizer Bankgeheimnisses insgeheim etliche Straftaten begangen. Falciani, ein italienisch-französischer Doppelbürger, hatte als Informatiker bei HSBC gearbeitet und die Informationen an die französischen Behörden weitergegeben. Es konnte nie ganz geklärt werden, ob Falciani aus moralischen Beweggründen handelte, oder ob er mit den Daten Geld verdienen wollte.

Was waren die Konsequenzen: Während Falciani in Frankreich eher als Held gilt, da er dem französischen Fiskus durch die Enthüllungen Rückzahlungen in Milliardenhöhe bescherte, wurde ihm in der Schweiz der Prozess gemacht. Im November wurde er in Abwesenheit wegen Wirtschaftsspionage zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Panama Papers: unbekannt (2016)

Was wurde enthüllt: 2,6 Terabyte Daten, ​11,5 Millionen Dokumente, Informationen über 214 000 Briefkastenfirmen zeigen, wie Staatschefs, Diktatoren und Sportstars weltweit ihr Vermögen verschleiern.

Wer ist der Whistleblower: Eine anonyme Quelle kontaktierte unter dem Namen "John Doe" die Süddeutsche Zeitung und übermittelte auf verschlüsseltem Weg 2,6 Terabyte Daten mit internen Dokumenten der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca. Die Kanzlei richtet für Politiker, Diktatoren, reiche Sportler und auch vermögende Privatpersonen anonyme Briefkastenfirmen ein, mit deren Hilfe sich auch schmutzige Geschäfte verschleiern lassen.Die Panama Papers sind quantitativ das größte Leak, mit dem Journalisten je gearbeitet haben. Die Quelle verlangte dafür kein Geld und keine Gegenleistung, sie forderte lediglich ein paar Maßnahmen zur eigenen Sicherheit.

Was waren die Konsequenzen: Wie es dem Whistleblower nach den Enthüllungen ergangen ist, ist nicht bekannt. Über die Identität der Quelle gibt es keine Informationen. Nur so viel: Sein Leben sei in Gefahr, erfuhr man von der anonymen Quelle selbst. Der SZ lies der Whistleblower ein Manifest zukommen, in der seine Beweggründe dargelegt werden. Für die Kunden der Kanzlei Massack Fonseca tat sich allerdings so einiges: Die Enthüllungen führten beispielsweise zum Rücktritt des isländischen Ministerpräsidenten, zu Tausenden Ermittlungen weltweit und zu Anstrengungen in vielen Ländern, die Gesetzeslage zu ändern, um Steuerflucht und Geldwäsche zu erschweren.

Die Stepanows und der russische Doping-Skandal (2016)

Was wurde enthüllt: Der russische Staat betreibt systematisch Doping seiner Sportler.

Die Läuferin Julia Stepanowa (Foto: AP)

Wer sind die Whistleblower: Die russische Athletin Julia Stepanowa und ihr Mann Witali Stepanow, ein ehemaliger Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Behörde, waren maßgeblich bei der Aufdeckung des Staatsdopingsystems beteiligt. Die Informationen der Stepanows riefen die Welt-Anti-Dopingagentur (Wada) auf den Plan. In ihrem Bericht kam die Wada zu dem Schluss, dass in Russland auf Anweisung der Regierung systematisch gedopt wurde. Das beträfe beispielsweise 15 der russischen Medaillengewinner bei den Winterspielen in Sotschi. Daraufhin wurden alle Athleten des russischen Leichtathletik-Verbandes für die Olympischen Spiele in Rio gesperrt. Das IOC lockerte diese Entscheidung später, viele russische Athleten konnten doch starten - außer Whistleblowerin Stepanowa.

Was sind die Konsequenzen: Die Stepanows und ihr kleiner Sohn gingen in die USA, wo sie einen Asylantrag gestellt haben. Wo genau sie sich befinden, halten sie aus Sicherheitsgründen geheim. Mindestens neun Mal habe das Paar eigenen Angaben zufolge in den vergangenen eineinhalb Jahren umziehen müssen.

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