Auslandsdeutsche:Ungehört in der Ferne

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Süßes Strandleben? Auch Auslandsdeutsche wollen wählen. (Foto: Chris Emil Janssen/Imago)

Bei der Bundestagswahl sind deutsche Emigranten stimmberechtigt. Doch das Verfahren ist kompliziert, sodass nur wenige von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.

Von Sara Maria Behbehani und Jonah Wermter, Berlin

Julian Möhlen ist aufgebracht. "Meine Stimme für die Bundestagswahl nimmt der Bundeswahlleiter nur, wenn ich über eine hohe Latte springe", sagt er. "Ich fühle mich als Wähler zweiter Klasse." Möhlen ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, lebt aber seit seinem 14. Lebensjahr in Österreich.

Wählen darf in Deutschland unterdessen nur, wer nach der Vollendung seines 14. Lebensjahres mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik gelebt hat. Oder aber wer aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar von den politischen Verhältnissen in Deutschland betroffen ist. Warum Letzteres bei ihm der Fall sein soll, musste Möhlen in einem Antrag schriftlich begründen. Der "Konsum deutschsprachiger Medien im Ausland genügt nicht", teilt eine Sprecherin des Bundeswahlleiters hierzu mit.

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Dabei dürfte nicht jeder stimmberechtigte Wähler im Ausland bereit sein, den Aufwand zu betreiben, den Möhlen in Kauf nimmt, um am 26. September wählen zu dürfen. Sein Fall liegt allemal im Grenzbereich dessen, was Auslandsdeutsche bei der Stimmabgabe erleben. Etwa drei bis vier Millionen Deutsche leben im Ausland. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht. Wer aus Deutschland wegzieht, wird nicht registriert. Sicher ist: Nur ein Bruchteil von ihnen nimmt überhaupt an der Bundestagswahl teil. 2013 haben etwa 67 000 Auslandsdeutsche einen Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis gestellt, 2017 knapp 113 000. Wie viele von ihnen letztlich ihre Stimme abgegeben haben, ist ebenfalls nicht bekannt.

Die bürokratischen Hürden fangen beim Eintrag ins Wahlregister an: In welcher Gemeinde die Auslandsdeutschen wählen dürfen, hängt vom letzten gemeldeten Wohnort ab oder aber von einem relevanten Anknüpfungspunkt an das politische Geschehen in Deutschland. Wer beispielsweise für eine deutsche Firma längere Zeit im Ausland arbeitet, kann am Stammsitz des Arbeitgebers wählen - vorausgesetzt, die Argumentation im formalen Antrag an das entsprechende Wahlamt wird akzeptiert.

Versandzeit der Unterlagen: bis zu vier Wochen pro Strecke

Nach der Bürokratie kommt die Logistik: Denn wählen ist nur per Briefwahl möglich. Wer aber beispielsweise aus Südkorea, Australien oder Israel wählen möchte, muss mit einer Versandzeit von bis zu vier Wochen rechnen - pro Strecke. Die Wahllisten allerdings werden erst sechs Wochen vor der Wahl gedruckt. Eine Briefwahl wäre so schon rein rechnerisch nicht möglich. Die Botschaft in Seoul bietet deshalb an, abgegebene Briefwahlunterlagen mit der konsularischen Post nach Deutschland zu transportieren.

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Andere Nationen bieten in ihren Konsulaten und Botschaften eine direkte Urnenwahl an - Deutschland nicht. Die Stabsstelle des Bundeswahlleiters verweist neben rechtlichen Problemen auf logistische Hürden: "Problematisch wäre dabei, dass alle mehr als 220 Auslandsvertretungen genügend Stimmzettel für alle 299 Wahlkreise und darüber hinaus aktuelle Wählerverzeichnisse bereithalten müssten."

Die meisten Deutschen, die 2017 dennoch gewählt haben, lebten wie Julian Möhlen in Europa - laut Bundeswahlleiter kamen knapp 50 Prozent der Stimmen aus EU-Mitgliedsstaaten und knapp 31 Prozent aus den übrigen Staaten Europas. Etwa 11 Prozent wählten aus den USA.

Grenzfälle wie Möhlen beschäftigen die Wahlbeauftragten schon lange. Möhlen kann nicht nachvollziehen, warum er seine Berechtigung schriftlich begründen muss. "Wir haben in Deutschland keinen Wählertest, der die Spreu vom Weizen trennt - und das aus gutem demokratischem Grund", sagt er. Dabei ist die Einführung dieses Betroffenheitskriteriums schon ein politischer Kompromiss, erklärt Sophie Schönberger, Professorin und Mitglied der vom Bundestag eingesetzten Kommission, die das Bundeswahlrecht bis 2023 reformieren soll. Denn so werde das Wahlrecht auch auf Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ausgeweitet, die nie in Deutschland gemeldet waren. Zuvor war diese Gruppe von der Wahl ausgeschlossen, was das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig einstufte.

Eine Kommission arbeitet - aber der politische Wille fehlt

Andere Staaten machen es ihren im Ausland lebenden Bürgern deutlich leichter. Wahlberechtigte Schweizerinnen und Schweizer erhalten ohne vorherige Registrierung die nötigen Wahlunterlagen sowie ein eigenes Magazin, das über die Debatten in der Heimat informiert. In Italien und Frankreich können Staatsangehörige im Ausland sogar eigens für sie zuständige Abgeordnete wählen. In Polen und Großbritannien ist zumindest die Eintragung ins Wählerregister online möglich. Und die USA stellen online einen Notfall-Blanko-Wahlschein zum Ausdrucken zur Verfügung, sollten die Briefwahlunterlagen nicht rechtzeitig ankommen.

"Rein rechtlich wären viele Vereinfachungen auch in Deutschland möglich", sagt Schönberger. Aber: "Das ist kein Teil des derzeitigen Mandats der Reformkommission. Wir dürfen uns damit also nicht befassen." All das zeigt: In Deutschland fehlte bisher der politische Wille, die Wahl aus dem Ausland zu vereinfachen. Die neue Bundesregierung könnte das ändern - sie muss das Mandat für die Reformkommission ohnehin erneuern.

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