Waffen für den Irak:Wenn Gewissheiten kippen

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Anfangs skeptisch, jetzt voll dabei: CDU-Fraktionschef Volker Kauder, hier bei einem Besuch in Erbil, Irak, ist für die Waffenlieferungen. (Foto: Ulrich Scharlack/dpa)

Volker Kauder hat sich entschieden, seine Skepsis gegenüber Waffenlieferungen an die Kurden aufzugeben. Die Not Hunderttausender Flüchtlinge im Irak hat den Unionsfraktionschef beeindruckt - und zum Handeln gezwungen.

Von Stefan Braun und Mike Szymanski, Berlin

Die politische Welt dreht sich derzeit schnell. Und Volker Kauder, der Unionsfraktionschef, dreht sich mit. Als sein verteidigungspolitischer Sprecher Karl-Georg Wellmann vor zwei Wochen in einem flammenden Appell Waffenlieferungen für die kurdischen Peschmerga forderte, blieb Kauder erst mal skeptisch. Inzwischen gehört er zu den Verfechtern solcher Lieferungen.

Und als vor einigen Tagen eine Debatte losbrach, ob nicht auch der Bundestag darüber entscheiden sollte, nannte Kauder das eine "akademische Debatte". Trotzdem steht seit Donnerstag fest, dass der Bundestag am kommenden Montag über einen Entschließungsantrag abstimmen wird. An Kauder lässt sich also sehr gut beobachten, wie die dramatischen Ereignisse im Nordirak derzeit manche Gewissheit über den Haufen werfen.

Kauder sah im Irak, wie groß die Not der Flüchtlinge ist

Das konnte bei Kauder auch deshalb passieren, weil er sehr bald entschied, sich in Erbil selbst ein Bild von der Lage zu machen. Diese Reise vor einer Woche dürfte ihn erheblich beeindruckt haben. Mitreisende jedenfalls berichten mit eindrücklichen Beispielen, wie groß die Not der Flüchtlinge ist, egal, ob es sich um Christen oder Jesiden oder Menschen anderer Religion handelt. Sie berichten davon, wie groß das Sicherheitsbedürfnis dieser Menschen ist.

Immer wieder hätten sie darum gebeten, den kurdischen Peschmerga mit Waffen zu helfen; immer wieder hätten sie geschildert, dass für sie jetzt nichts wichtiger sei als ein sicherer Zufluchtsort bei den Kurden. Und dazu erzählten Flüchtlinge wie Kurden unisono, wie knapp Erbil und das kurdische Autonomiegebiet am 8. August der Katastrophe entkommen sei. An jenem Tag also, an dem sich die US-Regierung zu einer Bombardierung der Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates (IS) entschlossen hatte, nachdem ebendiese Milizen bis auf wenige Kilometer an Erbil herangerückt waren.

Islamistische Miliz im Irak
:Merkel nennt IS-Terror "Völkermord"

"Es ist ein schreckliches Gräuel": Bundeskanzlerin Merkel hat das Vorgehen der Terrormiliz "Islamischer Staat" im Irak scharf verurteilt. Am Sonntag will die Bundesregierung abschließend über Waffenlieferungen an IS-Gegner entscheiden.

Konfrontiert mit diesen Berichten hat sich Kauder entscheiden, seine Skepsis gegenüber Waffenlieferungen aufzugeben. Zumal seine Delegation, so wird im Rückblick erzählt, bei den Kurden nicht das Gefühl hatte, diese würden ein "doppeltes Spiel" spielen. Also um Waffen bitten, die sie für etwas anderes verwenden wollten.

Dass der Bundestag am Montag nicht nur debattieren, sondern auch über Entschließungsanträge abstimmen wird (die Grünen bereiteten am Donnerstag einen eigenen vor), entspricht nicht Kauders Wunsch. Es entspringt aber der politischen Vernunft der Koalitionsspitze. So soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass in den Reihen der Unionsfraktion und noch mehr bei den Sozialdemokraten das Bedürfnis groß ist, nicht nur per Rede, sondern auch per Abstimmung wenigstens ein Wörtchen mitreden zu dürfen.

Allerdings legt Kauder großen Wert darauf, dass der Antrag auf keinen Fall den Charakter einer Quasi-Mandatierung durch den Bundestag bekommt. Deswegen wird der Antrag ausdrücklich betonen, dass die Entscheidung über deutsche Waffenlieferungen an die Kurden eine Entscheidung der Regierung ist. Und als Begründung für die Lieferung wird der Antrag vor allem die außergewöhnliche Situation im Nordirak und das Schutzbedürfnis der Flüchtlinge anführen. Christ- wie Sozialdemokraten hoffen, auf diese Weise auch die Kritiker in den eigenen Reihen für eine Zustimmung zu gewinnen.

Inzwischen fast 150 Tonnen Hilfsgüter aus Deutschland

Für Unruhe sorgten in diesem Zusammenhang Meldungen, die Bundeswehr habe sechs Soldaten nach Erbil geschickt. Wer wollte, konnte darin am Donnerstag die Befürchtung bestätigt sehen, dass die Regierung sogar einen Militäreinsatz erwäge. Doch nur wenige Stunden nach der ersten Meldung wurde deutlich, dass die sechs Soldaten, die in Erbil nur in Zivil auftreten, zuallererst dorthin geschickt wurden, um dem deutschen Generalkonsulat bei der Organisation und Verteilung der Hilfsgüter und später der Rüstungsgüter zu helfen.

Das Konsulat gilt seit dem Start der humanitären Hilfsflüge vor anderthalb Wochen als überlastet. Denn Deutschlands humanitäre Hilfe für Region ist längst angelaufen. Fast 150 Tonnen Hilfsgüter sind inzwischen angekommen. Vieles davon muss noch an Hilfsorganisationen weiterverteilt werden. "Alle Welt tut so, als würden wir nur über Waffen nachdenken. Dabei liefern wir nach wie vor vor allem Lebensmittel und Decken", heißt es inzwischen angesäuert aus der Bundesregierung.

Immerhin muss sie nicht mehr befürchten, dass die gerne rebellische CSU bei der endgültigen Entscheidung Nein ruft. Parteichef Horst Seehofer sagte der SZ: "Dieser Fall ist für uns ein absoluter Ausnahmefall der Notwehr, wo man zum Schutz der Bevölkerung dort auch Waffenexporte machen kann." Im Grunde handele es sich um eine erweiterte humanitäre Maßnahme. "Es geht darum, die Menschen in die Lage zu versetzen, ihr eigenes Leben zu verteidigen." Sie mögen sich nicht sonderlich, aber hier sind Kauder und Seehofer mal ganz einer Meinung.

© SZ vom 29.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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