EU-Kommissionspräsidentschaft:Sieben Tage für 376 Stimmen

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Ursula von der Leyen soll am 16. Juli zur neuen Präsidentin der EU-Kommission gewählt werden, im Europaparlament gibt es Widerstand. (Foto: Vincent Kessler/Reuters)
  • Bundesverteidigungsministerin von der Leyen will am 16. Juli vom Europäischen Parlament zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt werden.
  • Weil die Kandidatin sich um die nötige Mehrheit von 376 Stimmen sorgt, nutzt sie die Zeit bis zur Wahl für eine Charmeoffensive.
  • Die Unterstützung der EVP ist ihr sicher, außerdem dürften rechtsnationale Fraktionen für sie stimmen.
  • Wie die Abgeordneten der Liberalen, der Grünen und vor allem der Sozialdemokraten entscheiden, ist noch unsicher.

Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Ursula von der Leyen ist zurück in Brüssel, und das lässt sie alle wissen. Via Twitter und in drei Sprachen teilte sie am Montag mit, dass "eine Woche harter Arbeit" vor ihr liege mit "vielen intensiven, politischen Gesprächen über die nächsten fünf Jahre für unser Europa". Am 16. Juli will sie vom Europäischen Parlament zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt werden. So bleiben der Bundesverteidigungsministerin, von einem siebenköpfigen Übergangsteam unterstützt, nur noch sieben Tage, um für sich zu werben.

Vor allem bei den Sozialdemokraten rumort es

Die entscheidende Zahl lautet 376, denn von der Leyen muss mehr als die Hälfte der 751 Abgeordneten davon überzeugen, für sie zu stimmen. Keine leichte Aufgabe, denn im Vergleich zur Wahl 2014 haben Christ- und Sozialdemokraten deutlich verloren, wodurch das Parlament viel zersplitterter und vielfältiger geworden ist. Die CDU-Politikerin dürfte Stimmen aus mehr als drei Parteienfamilien brauchen, um Jean-Claude Juncker an der Spitze der Europäischen Kommission nachzufolgen.

Erste Station ihrer parteiübergreifenden Charmeoffensive waren am Montag die Grünen. 80 Minuten dauerte das Kennenlernen mit den Fraktionschefs Ska Keller und Philippe Lamberts - und damit fast doppelt so lang wie geplant. Keller berichtete anschließend, dass von der Leyen in eine Sitzung der 74-köpfigen Gruppe eingeladen worden sei; dieses Gespräch werde via Webstream live übertragen. Keller sprach von einem "netten Treffen", das aber nicht für grüne Stimmen reiche. Die Grünen hatten das Spitzenkandidatenprinzip vehement verteidigt, um den Einfluss des Europaparlaments zu vergrößern - und dieser "demokratische Rückschritt" müsse überwunden werden.

Konkrete Vorschläge habe von der Leyen nicht unterbreitet, so Keller: "Wir wollen Angebote sehen." Als Knackpunkte gelten neben der Seenotrettung ("das ist das Mindeste, das wir von den Mitgliedstaaten erwarten") vor allem sozialer Zusammenhalt, Rechtsstaatlichkeit sowie Klimaschutz. Auf die Frage, ob ein grüner Kommissar nötig für die Unterstützung von der Leyens wäre, sagte Keller: "Für uns steht das Programm zuerst. Aber natürlich braucht es Personen, die es ernst meinen damit und das umsetzen."

Von der Leyen hatte ihre eigene Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) sowie die deutsche CDU/CSU-Gruppe bereits in der vergangenen Woche besucht: Hier gilt die Zustimmung als gesichert, zumal mit Manfred Weber der gestrauchelte EVP-Spitzenkandidat selbst für sie wirbt. Am Mittwoch folgen Treffen mit den Sozialdemokraten und den Liberalen, die mit der En-Marche-Bewegung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Fraktionsgemeinschaft Renew Europe bilden.

Rechnerisch würde es für von der Leyen genügen, die Fraktionen von EVP, Sozialdemokraten und Liberalen hinter sich zu bringen. Das wären 444 Stimmen und damit deutlich mehr als sie für ihre Wahl zur Kommissionspräsidentin benötigt. Doch verlassen sollte sie sich darauf nicht. Vor allem bei den Sozialdemokraten rumort es. Als Wortführer agieren die SPD-Abgeordneten, die alle gegen sie stimmen wollen: "16 zu Null" stehe es in dieser Hinsicht, sagte Jens Geier, Chef der Europa-SPD, dem Spiegel. Widerstand gibt es auch aus Österreich, Frankreich und den Benelux-Staaten. Allerdings gibt es mit den Sozialdemokraten aus Spanien und Italien die beiden größten Gruppen in der Fraktion, die von der Leyen nicht von vorneherein ablehnen und 39 Stimmen haben. Die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, Iratxe Garcia, hat klargestellt, dass von der Leyen zunächst angehört werden sollte. Von der Leyen stößt bei Spaniern und Italienern auf offene Ohren, denn beide Länder sind in dem EU-Personalpaket gut vertreten. Aus Madrid kommt der neue Außenbeauftragte, aus Rom der neue Parlamentspräsident.

Zudem dürfte die Deutsche Unterstützung aus anderen Ecken erhalten. Da sich Ungarns Premier Viktor Orbán als angeblicher Kopf der Von-der-Leyen-Lösung inszeniert, dürften die 13 Abgeordneten seiner Fidesz-Partei, die gerade von der EVP suspendiert ist, mit "Ja" votieren. Gleiches gilt für die 27 Vertreter der rechtsnationalen PiS, deren Regierung beim Gipfel den Sozialdemokraten Frans Timmermans als Kommissionschef verhinderte. Die PiS gehörte zur Gruppe der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die von der Leyen am Dienstagnachmittag treffen wird. Weil auch Italien das Kompromisspaket gutheißt, wird erwartet, dass viele der 29 Abgeordneten von Matteo Salvinis Lega sowie die Vertreter der Cinque-Stelle-Bewegung für von der Leyen votieren.

© SZ vom 09.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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