Ustascha-Diktatur im Zweiter Weltkrieg:Völkischer Furor in Kroatien

Gedenken an die Befreiung des KZ Jasenovac

Gedenken an Tausende ermordete Serben und Juden: "Steinerne Blume" heißt die Skulptur des Belgrader Bildhausers Bogdan Bogdanović beim ehemaligen KZ Jasenovac östlich von Zagreb.

(Foto: dpa)
  • 1941 besetzten die Achsenmächte das königliche Jugoslawien, es entstand der Unabhängige Staat Kroatien als eines der düstersten Konstrukte des Nationalismus.
  • Hunderttausende Serben, Zehntausende Juden und Roma wurden Schätzungen zufolge bis 1945 vom Ustascha-Regime ermordet.
  • Autor Slavko Goldstein verortet in dieser Zeit die "Saat des Hasses", die noch Jahrzehnte später in den Jugoslawienkriegen aufgehen sollte.
  • Sein Buch meidet Grausamkeiten und sadistische Details, so weit dies geht. Doch gerade die lakonische Darstellung der Gräuel macht sie umso ungeheuerlicher.

Rezension von Michael Frank

Selbst in der Aura der grässlichsten Verbrechen noch das Gute wahrzunehmen, ist eine der vornehmsten Tugenden eines wirklich freien Geistes. Slavko Goldstein hat in seinem Buch "1941 - Das Jahr, das nie vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan" mit nichts intensiver gerungen als mit Verallgemeinerungen und Klischees.

In diesem Band geht es um ganz fürchterliche Dinge, um Völker- und Massenmord, um Verrat, Raub und Niedertracht; Slavko Goldstein geht es um noch mehr, um die Ausdeutung dieser Entsetzlichkeiten als Quell weiteren menschlichen Handelns. Er tut dies überaus differenziert, selten war ein Text mit geschichtswahrhaftigem Anspruch so darauf aus, denen, die da genannt sind, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Slavko Goldstein, der im vergangenen Jahr im Alter von 89 Jahren gestorben ist, war Kroate und Jude, wurde verfolgt, war Partisan, Widerständler, Kommunist und Dissident. Als Verleger und Essayist, nicht aber als Politiker, war er eine der großen nichtkommunistischen intellektuellen Figuren in Jugoslawien auch der Tito-Zeit (1945 - 1980). Das befreite ihn vom Rechtfertigungsdruck eigenen historischen Handelns.

Goldstein verortet im Jahr 1941 "die Saat des Hasses": Noch im Zerfall Jugoslawiens in den Neunzigerjahren brachte diese Saat abgründige Abscheulichkeiten hervor, die Goldstein damit als ursächlich belegt und nicht als nahezu unerklärlich im Sinne eines Naturereignisses wahrnahm, wie es das entsetzte Europa und die Welt gerne taten.

1941 besetzten die Achsenmächte das königliche Jugoslawien, es entstand der Unabhängige Staat Kroatien als eines der düstersten Konstrukte des Nationalismus, der unter der Ägide deutscher und italienischer Besatzungstruppen von der Ustascha, den kroatischen Faschisten, regiert und terrorisiert wurde.

Das Buch diagnostiziert darin den komplexen, traumatischen Urdefekt der kroatischen Gesellschaft, dessen Fluch zu mörderischen Folgen auch nach Kriegsende und noch in den jüngsten Balkankriegen führen musste - weil nie angemessen aufgearbeitet.

Goldstein bringt sein Buch gegen Geschichtsvergessenheit in Stellung, die in Acht- und Ahnungslosigkeit, aber auch in politischer Irreführungsabsicht wurzelt; deren schlimmste Folge eben Unwille und Unfähigkeit sind, frühere Taten und Untaten, frühe Traumata einer Gesellschaft zu benennen und zum Grundmaterial von Klärungsprozessen und von Verständigung zu nehmen.

Es geht um den Völkermord an mehr als 600 000 Serben, etwa einem Drittel dieser angestammten Volksgruppe im "unabhängigen" Kroatien, an etwa 30 000 Juden (75 Prozent der jüdischen Vorkriegsbevölkerung) und etwa 29 000 Roma (97 Prozent). Diese Schätzzahlen für den von der Ustascha verübten Genozid stammen vom Simon Wiesenthal Center und sind eher vorsichtig. Andere nennen deutlich niedrigere Zahlen.

Wüster Nationalismus als Kern der späteren Verheerungen

A large flower sculpture memorializes a WWII concentration camp

Die Versöhnung wächst nicht. „Steinerne Blume“ heißt die Skulptur des Belgrader Bildhauers Bogdan Bogdanović beim ehemaligen KZ Jasenovac östlich von Zagreb. Dort folterten und ermordeten die Kroaten zwischen 1941 und 1945 Tausende Serben und Juden.

(Foto: James P. Blair/National Geographic/Getty Images)

Goldstein selbst nennt solche Zahlen nicht, keine gewaltigen Summen an Tod und Verderben, er nennt nur Zahlen, die er konkret belegen kann, von denen er sich aber zu Recht erhofft, dass sie doch das ganze Ausmaß des Grauens widerspiegeln. Es geht um einzelne, mit Namen genannte Schicksale, um Familien, um Gruppen, um Dörfer; es geht mal um fünf, mal um fünfhundert oder Tausende Opfer, nie aber um Pauschalisierungen: Der Erzähler versucht herauszuarbeiten, dass selbst in den übelsten Mordaktionen Reaktionen von Menschlichkeit, Güte, List oder einfach Angst viel bewirkt, viel verhindert, auch viel angerichtet haben. Aber er summiert nichts, als fürchte er sich davor.

Goldstein erzählt den Massenmord. Dieses genauigkeitsversessene Geschichtsbuch ist zugleich ein der Wirklichkeit entnommener Familienroman: Er erzählt alles so, wie er es, beginnend als 14-Jähriger, am eigenen Leib und in der eigenen Familie, in seiner Heimatstadt Karlovac, in seinem persönlichen Umkreis, im Dorf der Haushälterin und später mit Mutter und Bruder bei den Partisanen erlebt hat. So penibel am Einzelschicksal wird vieles, was so entsetzlich ist, noch eindringlicher und besonders glaubwürdig. Aber fürchten nicht Historiker nichts mehr als den Zeitzeugen, der aus dem langen Danach früh Erlebtes interpretiert?

Fast fundamentalistisch hinterfragt Goldstein selbst seine eigene Erinnerung, versucht zu differenzieren, indem der historische Erzähler in ihm dem Zeitzeugen in sich selbst misstraut und dies nachhaltig thematisiert. So wird auch seine Generalemotion glaubwürdig, wie eben er, ein großer kroatischer Patriot, den wüsten und wütenden Nationalismus als den Kern allen Übels und als die Wurzel der späteren Verheerungen identifiziert.

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