Sicherheits- und Verteidigungspolitik:Warum einige Nato-Partner von Deutschland genervt sind

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Soldaten für die Nato, Geld für die UN - wir tun doch viel, heißt es in Berlin. Doch in den Augen der Verbündeten berufen sich die Deutschen zu Unrecht auf die Geschichte, um unangenehmen Verpflichtungen zu entgehen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Der Außenminister kam, sprach und ging. Heiko Maas ließ keine Fragen zu, obwohl es etliche gegeben hätte zum Thema seiner Rede: "Perspektiven aus Berlin" über 70 Jahre Nato. Anlässlich des Jubiläums hatten sich auf Einladung der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang April Experten in Washington versammelt.

Von Heiko Maas hörten sie auf Englisch ein Bekenntnis zur Allianz, das zumindest aus Sicht des Ministers nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ. "Die Nato ist und bleibt der Grundpfeiler unserer Sicherheit und eine tragende Säule der transatlantischen Beziehungen", sagte Maas. Deutschland stehe "uneingeschränkt" zum Bündnis. Und: "Auf unsere Zusagen ist Verlass."

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Wohl hauptsächlich wegen dieses Satzes hatte Maas den Auftritt bei den Experten kurzfristig zusätzlich zum feierlichen Jubiläums-Abendessen und dem offiziellen Außenministertreffen der Nato ins Programm seiner Washington-Reise genommen. Die Tatsache, dass ein deutscher Außenminister findet, dass dieser Satz gesagt werden muss, verrät vermutlich mehr als der Satz selbst.

Sie zeugt davon, wie sehr Deutschlands Ruf in der Welt, jedenfalls in der westlichen, gelitten hat. Donald Trump und seine Feindseligkeit gerade gegenüber Deutschland sind ein Problem. Außenpolitiker und Diplomaten aber konstatieren ein Unbehagen, auch bei eigentlich wohlgesonnenen Partnern, das tiefer reicht. "Ist euch eigentlich klar, wie schlecht euer Ansehen mittlerweile ist?", habe ihn ein Kollege kürzlich gefragt, sagt Generalleutnant a. D. Horst-Heinrich Brauß, bis Juli 2018 beigeordneter Nato-Generalsekretär. Für den konservativen amerikanischen Politikberater Robert Kagan stellt sich gar schon eine "neue deutsche Frage".

Die Osteuropäer fordern Schutz gegen ein sich aggressiv gebärndendes Russland

Nur vordergründig also geht es bei der Versicherung des Außenministers um ein paar Stellen hinter dem Komma. Die Planung des Finanzministeriums sieht für 2023 Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor, weshalb angezweifelt wird, dass sie 2024 bei 1,5 Prozent liegen werden, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel es der Nato versprochen hat. Was ohnehin weit entfernt ist von der Nato-Quote von zwei Prozent, zu der sich 2014 auch Deutschland bekannt hatte. Das deutsche Haushaltsverfahren sei eben für "Außenstehende manchmal schwer zu verstehen", beschwichtigte der SPD-Politiker Maas.

Sein entscheidender Punkt aber war ein anderer. "In aller Deutlichkeit" sage er noch einmal, "dass uns diese Entscheidungen durchaus kontroverse Diskussionen abverlangen". Diese innenpolitischen Debatten seien "mit Blick auf unsere deutsche Geschichte auch notwendig". Das spätestens war der Moment, in dem im Publikum die Augenbrauen hochgingen.

Aus seiner Sicht sei die Lehre aus der deutschen Geschichte eine ganz andere, sagt Elbridge Colby vom Zentrum für Neue Amerikanische Sicherheit in Washington. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Deutschland als Teil der Nato von der kollektiven Verteidigung profitiert. Nichts anderes verlangten die Osteuropäer heute zum Schutz gegen ein sich aggressiv gebärdendes Russland. Darin liege "das historische Vermächtnis, dem Deutschland gerecht werden muss".

Die Reaktionen klingen zunehmend genervt, wenn Deutschland seine Entscheidungen historisch oder moralisch begründet. Unverblümt zeigte sich das in einem Aufsatz der französischen Botschafterin in Berlin, Anne-Marie Descôtes, in dem sie sich über die aus ihrer Sicht unberechenbaren Restriktionen in der deutschen Rüstungsexportpolitik beschwerte. Entgegen "einigen Stimmen aus Berlin" sei das französische Kontrollsystem für Waffenexporte genauso streng wie das deutsche. "Deutschland und Frankreich teilen dieselben Werte und sind dieselben internationalen Verpflichtungen eingegangen", erinnerte sie. Immer häufiger ist Deutschland dem Vorwurf moralischer Überheblichkeit ausgesetzt.

Von Berlin-Mitte aus betrachtet erschließt sich dieser Vorwurf nicht auf Anhieb. Deutschland ist mit dem zweitgrößten Truppenkontingent der Nato in Afghanistan vertreten. Es hat Soldaten nach Litauen entsandt. Deutschland engagiert sich mit relativ hohen Summen in der Entwicklungshilfe und hält gegen den Nationalismus von US-Präsident Donald Trump wacker die Fahne des Multilateralismus hoch. Als Trump dem UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNWRA alle US-Mittel sperrte, sprang Deutschland ein und erhöhte seinen Beitrag von 65,4 Millionen 2017 auf 155 Millionen 2018. Damit ist es größter Geldgeber nach der EU und vor Saudi-Arabien. Er sei "sehr beeindruckt", lobt UNWRA-Chef Pierre Krähenbühl. Und er spricht von "großer Anerkennung und Dankbarkeit".

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Das beschreibt Deutschland, wie es sich sieht und wie es gerne gesehen werden will. "Wir setzen uns für eine dauerhaft friedliche, stabile und gerechte Ordnung in der Welt ein", steht im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Dabei setze man "auf Diplomatie, Dialog und Kooperation sowie Entwicklungszusammenarbeit". Als Vorsitzender im UN-Sicherheitsrat versucht Heiko Maas, sich danach zu richten. Er hat die nukleare Nichtverbreitung auf die Tagesordnung gesetzt, nächste Woche geht es um sexuelle Gewalt in Konflikten. Deutschland nimmt damit eine Art von Verantwortung wahr, die in der heimischen Politik unumstritten ist und auf die es sich in Jahrzehnten eingestellt hat.

Thomas Bagger, Diplomat und außenpolitische Berater von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat in einem Aufsatz in der Zeitschrift Washington Quarterly zwei historische Irrtümer beschrieben, die ihren Ursprung im Jahr 1989 haben und bis heute die außenpolitischen Debatten im Land prägen. Zum einen, dass der Siegeszug der parlamentarischen Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft unaufhaltsam sei, und zum anderen, dass Deutschland keine Gegner mehr hat. "Die Zukunft lag in Entwicklungshilfe, Konfliktschlichtung und einer beschleunigten schrittweisen Annäherung. Nicht mehr auf militärische, auf zivile Macht kam es an", schrieb er. Erst Russlands militärische Intervention im Osten der Ukraine 2014 habe diese Weltsicht erschüttert.

Das war das Jahr, in dem der damalige Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz forderte, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen. Es folgten ähnliche Wortmeldungen von Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier und Ursula von der Leyen.

"Multilateralismus ist nur, was Deutschland für richtig hält"

Nein, Deutschland habe das nicht eingelöst, sagt der frühere Nato-Mann Brauß. Als ein Beispiel nennt er den Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die es Russland erlauben wird, beim Gas-Transit die Ukraine zu umgehen. Die Partner verstünden das so, "dass Deutschland aus egoistischen Motiven antieuropäisch handelt". Hinzu komme das Verfehlen der Nato-Quote von zwei Prozent und womöglich sogar des selbstgesteckten niedrigeren Ziels von 1,5 Prozent. "Wir reden viel über Multilateralismus. Aber Multilateralismus ist nur, was Deutschland für richtig hält", beklagt Brauß. Leon Mangasarian und Jan Techau konstatieren in ihrem Buch "Führungsmacht Deutschland" "außenpolitischen Moralismus, also das ins Übermaß gesteigerte Bemühen in diesem Land, von vorneherein sicherzustellen, dass Deutschland am Ende eines jeden Vorhabens keinesfalls moralisch angreifbar ist".

Aus Sicht des Amerikaners Colby wird es genau dadurch angreifbar in einer von Großmächte-Konkurrenz geprägten Welt, in der die USA sich immer stärker der Herausforderung durch China widmen. Von den Europäern würden sie erwarten, maßgeblich einer möglichen Bedrohung aus Russland zu begegnen. "Deutschland könnte das Problem lösen. Für uns, für die Osteuropäer, für die Nato", sagt er. Wie? 1988 seien zwölf Bundeswehr-Divisionen einsatzbereit gewesen, heute sei es lediglich eine - "trotz einer viel größeren Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl".

Die "neue deutsche Frage", die sich Kagan stellt, ist allerdings eine ganz andere. Das heutige, friedliche Deutschland, schrieb er in Foreign Affairs, sei ein Produkt der liberalen Weltordnung. Und vielleicht hätten sich die Deutschen ja wirklich für immer verändert. "Aber vielleicht", sinniert er, seien sie doch "nicht immun gegen die größeren Kräfte, die Geschichte schreiben und über die sie keine Kontrolle haben". Das ist es, wovor er Angst hat.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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