Verhandlungen in Ägypten:Regime und Opposition - Spiel ohne offene Karten

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Weg von Schlagstöcken und Steinen, hin zum Dialog: Die ersten Gespräche zwischen der Regierung und ihren Gegnern in Kairo sind auf beiden Seiten von Taktik bestimmt. Das Regime versucht, die Opposition zu spalten. Währenddessen sind die Muslimbrüder darum bemüht, die Angst des Westens vor einem neuen Islamistenregime zu zerstreuen.

Tomas Avenarius, Kairo

Ägyptens Opposition gewinnt an Boden: Nach Gesprächen mit Vertretern der Regimegegner bot Vizepräsident Omar Suleiman an, bei einer Stabilisierung der Sicherheitslage den seit 1981 herrschenden Ausnahmezustand aufzuheben. Außerdem soll ein Komitee zur Verfassungsreform gebildet werden. Der politisch angeschlagene Staatschef Hosni Mubarak herrscht seit 1981 mit einem Bündel von Notstandsgesetzen, die ihm viele Jahre lang die Unterdrückung jeglicher Opposition erlaubt haben. Auch die ägyptische Verfassung wurde von Mubarak so umgeschrieben, dass Oppositionskandidaten bei Wahlen keine Chance haben.

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Am Sonntag redeten Suleiman und die Regimegegner miteinander. Damit bewegte sich der Machtkampf erstmals von der Ebene der Schlagstöcke und Steine in Richtung Dialog. Mit am Tisch neben Suleiman saßen der Friedensnobelpreisträger und Auslandsoppositionelle Mohamed ElBaradei als Abgesandter der Jugendbewegungen. Diese hatten die Revolte ausgelöst. Dazu kamen Mitglieder der Linksparteien wie etwa der Tagammu-Partei und Politiker der liberalen Wafd-Partei. Und vor allem: die islamistischen Muslimbrüder.

Noch scheint der Graben zwischen beiden Seiten unüberbrückbar zu sein. Die Regimegegner fordern nicht nur den sofortigen Rücktritt von Präsident Mubarak. Sie wollen das Ende des Systems samt seines Polizeistaats, klagen demokratische Reformen ein. Das Mubarak-Regime, vertreten durch den neu ernannten Vizepräsidenten Suleiman, setzen auf den Verbleib Mubaraks bis zum offiziellen Ende seiner Amtszeit im Herbst. Strategisches Ziel sind Machterhalt und Besitzstandswahrung: Der Vizepräsident Suleiman muss zuerst ein Ende der Dauerdemonstration auf dem Tahrir-Platz erreichen, um die Opposition dann in zähen Verhandlungen über faire Wahlen langsam aushungern zu können. Das Regime wird versuchen, die zersplitterte Opposition aus modernistischen Jugendbewegungen, traditionellen Oppositionsparteien und Islamisten zu spalten.

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Den Regimegegnern mag noch ein klar erkennbarer Führer fehlen, aber bisher treten sie geschlossen auf. Die fundmentalistische Muslimbruderschaft präsentiert sich dabei als gleichberechtigter Partner. Sie hatte sich während der ersten zwölf Tage der Revolte bewusst zurückgehalten, um dem Regime das Argument einer drohenden islamischen Revolution nach iranischem Vorbild zu nehmen.

Jetzt reden die Muslimbrüder, die bei weitem am besten organisierte Oppositionskraft Ägyptens, an der Seite der säkularen Regimegegner mit. "Wir wollen unsere legitimen und gerechten Forderungen stellen", so Mohammed Mursi von der Bruderschaft. Ein Treffen Suleimans mit Abgesandten der Fundamentalisten ist allein schon ein Erfolg für die Muslimbrüder. Sie sind seit 1954 verboten, wurden jahrzehntelang verfolgt, inhaftiert, gefoltert. Und das, obwohl ihr Rückhalt in der Bevölkerung bei 20 Prozent oder mehr liegt und ihr Mobilisierungspotential in dem islamischen Land hoch ist.

Noch geben sie sich skeptisch. Sie warten ab, ob der Staat "bereit ist, die Forderungen des Volkes zu akzeptieren". Die Islamisten, berüchtigt für ihre ausweichenden politischen Sprachregelungen, werden sich in der Öffentlichkeit weiter bedeckt halten. Sie wissen, wie groß die westliche Angst vor einem neuen Islamistenregime in Nahost ist. Washington und Europa könnten sich schnell an die Seite eines undemokratischen, aber säkularen Regimes stellen. Die Muslimbrüder sind auch selbst gespalten: Neben einer Fraktion beinharter Fundamentalisten, die einen islamischen Staat wollen, gibt es sehr moderne Köpfe, die sich als demokratische, islamische Wertepartei verstehen wie die türkische AKP von Premier Recep Tayyip Erdogan.

Auf Seiten des Regimes tritt Vizepräsident Suleiman nach außen hin als neuer, starker Mann auf. Mubarak selbst hält sich im Hintergrund. Auch die als korrupt verrufene Regierungspartei NDP versucht, sich für den Fall baldiger Wahlen neu aufzustellen. Nachdem das NDP-Exekutivkomitee aus alten Hardlinern und jungen Pro-Mubarak-Politikern wie Präsidentensohn Gamal zurückgetreten ist, sollen neue Kräfte die NDP reformieren: Mubarak senior bleibt zwar Parteichef. Er ernannte aber den für seinen guten Draht zur Opposition bekannten Hossam Badrawi zum Generalsekretär.

© SZ vom 07.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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