Vergifteter Ex-Spion Skripal:May geht es ums Prinzip

Theresa May

Theresa May auf dem Weg zur wöchentlichen Fragestunde im Parlament.

(Foto: dpa)
  • Großbritanniens Premierministerin May macht deutlich, warum die Sanktionen gegen Russland nach dem Giftanschlag auf Ex-Spion Skripal so hart sein müssen.
  • Moskau lege es auf eine stetige Eskalation an, weshalb man eben mit einer Eskalation antworten müsse.
  • Stoff für weitere Vorwürfe gibt es durch den mysteriösen Tod eines russischen Unternehmers in Großbritannien.

Von Cathrin Kahlweit, London

Theresa May tritt einige Minuten vor der geplanten Zeit an das Pult im Unterhaus. Sie hat es eilig. Es gibt ja auch, das machen ihre Worte schnell klar, sehr viel zu tun. Später am Tag sollen sich auf Antrag Londons die Vereinten Nationen mit den britischen Vorwürfen gegen Russland befassen. Und auch die Sanktionen, die May nun gleich ankündigen will, müssen in den Hauptstädten Europas noch erklärt und koordiniert werden. Vorausgegangen waren Mays Rede bereits intensive Telefonate mit Politikern in Berlin, Paris, Brüssel und Washington.

Doch nun steht sie erst einmal ganz allein vor den Parlamentariern und vor der gespannten Nation. Was May eine nationale Krise nennt, ist auch ihre Krise. Ihre Regierung fordert einen mächtigen und gefährlichen Gegner heraus - weil sie sich herausgefordert sieht. Reaktion, Gegenreaktion. Und dann? Moskau droht, man werde sich das nicht gefallen lassen, Russland dürfte mit Unfreundlichkeiten antworten. Dieser Konflikt ist noch ganz am Anfang.

Wenn es in den vergangenen Tagen noch Zweifel daran gegeben haben sollte, dass die britische Regierung mit dem UN-Sicherheitsratsmitglied, mit der Nuklearmacht Russland in den Ring steigt, dann sind diese Zweifel jedenfalls schon nach den ersten Sätzen der Premierministerin ausgeräumt. Der chemische Kampfstoff, der bei dem Mordversuch am ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia eingesetzt worden sei, stamme eindeutig aus russischer Produktion, sagt May. Der russische Staat habe schon mehrmals Befehle für Auftragsmorde erteilt. Russland habe in den vergangenen Jahren immer wieder aggressive Akte gegen westliche Staaten begangen. Es könne keine andere Erklärung geben als diese: Moskau trage die Verantwortung für einen Angriff gegen Bürger Großbritanniens auf britischem Boden.

Neben Litwinenko zitiert May den Fall Magnitzky

So entschieden hatte sich May auch schon am Montag gezeigt, als sie den Kreml per Ultimatum zu einer Erklärung aufforderte. Nun aber will sie verdeutlichen, dass es sich bei der britischen Reaktion nicht nur um einen Racheakt nach einem womöglich einmaligen Übergriff handele. Die Premierministerin bemüht sich um ein paar Nettigkeiten, verweist auf die russische Geschichte, russische Errungenschaften, die guten Beziehungen zum russischen Volk; Russen, die sich in Großbritannien nichts zuschulden kommen ließen, seien immer willkommen, sagt sie.

May macht aber auch klar, warum London mit harten Sanktionen auf den Mordversuch an Skripal reagieren werde. Moskau lege es auf eine stetige Eskalation an, weshalb man eben mit einer Eskalation antworten müsse. Nach der Ermordung des russischen Überläufers Alexander Litwinenko vor zehn Jahren habe London nur vier russische Diplomaten ausgewiesen. Nun müssten 23 gehen - jene, die ganz offensichtlich für den russischen Geheimdienst arbeiteten.

Überhaupt werde, weil Russlands Geheimdienste zunehmend aggressiv agierten und etwa mit Cyber-Attacken Server im Westen hackten, die Gegenspionage ausgebaut; Einreisekontrollen würden verschärft, Flüge, Fracht und Waren von Russen, die eine Gefahr für die britische Sicherheit sein könnten, würden verstärkt überprüft. Zudem sollen die diplomatischen Beziehungen vorerst weitgehend eingefroren werden. Einer der ersten, die das trifft, ist der russische Außenminister persönlich. Sergej Lawrow hatte in nächster Zeit Großbritannien besuchen wollen, doch Theresa May lädt ihn aus. Zur Fußballweltmeisterschaft im Sommer in Russland werden wiederum britische Offizielle und Politiker nicht anreisen.

Neben Litwinenko zitiert May einen weiteren gut dokumentierten Fall, um die neuen Sanktionen zu begründen: den Fall des in russischer Haft umgekommenen Putin-Kritikers Sergej Magnitzky. Die USA hatten nach seinem Tod gegen eine Reihe von Unternehmern und Politikern aus Putins Umfeld, denen sie Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, Einreiseverbote erlassen und Vermögen eingefroren; Russland hatte damals mit einem Adoptionsverbot russischer Kinder durch Amerikaner reagiert. In London liegt seit Monaten ein Gesetz vor, das dem amerikanischen Magnitzky-Act ähnelt. Bisher hatte es die Regierung blockiert. Nun, angesichts des russischen Vorgehens, wolle man es umsetzen, sagt May.

Nach einer "ökonomischen Kriegserklärung", wie die Zeitung Independent vor Mays Rede gemutmaßt hatte, sieht das Ganze am Ende aber nicht aus. May und den zahlreichen Abgeordneten, die ihr applaudieren, geht es an diesem Tag eher darum, den Unterschied zwischen zwei Welten herauszustellen: einer, in der Gesetze gebrochen würden und Gewalt an die Stelle von Politik getreten sei - und einer westlichen Welt, die auf Werten basiere und auf Aggression mit gesetzlich legitimierten Schritten antworte.

Stoff für weitere Vorwürfe gibt es darüber hinaus durch einen weiteren Todesfall, der am Dienstagnachmittag bekannt geworden war. Der 68-jährige Unternehmer Nikolai Gluschkow war von seiner Tochter am Montag in seiner Wohnung tot aufgefunden worden. Er soll, das berichten mehrere Quellen britischen Medien, Anzeichen einer Strangulation aufgewiesen haben. Die Behörden ermitteln derzeit wegen Mordes - und wegen eines Zusammenhangs mit dem Angriff auf Sergej Skripal.

Nikolai Glushkov former Deputy Director-General of

Der Exil-Russe Nikolai Gluschkow lebte seit Jahren in Großbritannien - und kam am Montag unter verdächtigen Umständen ums Leben.

(Foto: Ki Price/ddp/News Licensing)

Gluschkow, früher Direktor bei der russischen Flugline Aeroflot, war nach einer Haftstrafe wegen Korruptionsvorwürfen 2006 nach Großbritannien gezogen. Er sagte unter anderem als Zeuge in dem Untersuchungsausschuss aus, der den Tod von Alexander Litwinenko klären sollte. Außerdem war er ein Freund des Oligarchen Boris Beresowskij, der 2013 in London unter ungeklärten Umständen umgekommen war. Gluschkow soll sich schon seit Längerem bedroht gefühlt haben. Er stehe auf Putins Mordlisten, habe er immer wieder geklagt. Die britische Regierung will diesen Todesfall - und 14 weitere - nun noch einmal genau unter die Lupe nehmen.

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