Einmal im Jahr feiert die stolzeste Demokratie der Welt eine quasi-imperiale Messe. An einem Tag, der in der Regel auf Ende Januar fällt, fährt der amerikanische Präsident auf Einladung des Kongresses zum Kapitolshügel, schreitet unter einigem Pomp zwischen den Abgeordneten zum Podium des Sitzungssaals und verliest dort eine Regierungserklärung: die Rede zur State of the Union, zur Lage der Nation. Das Ritual stützt sich auf die Thronrede des britischen Monarchen im Westminster-Palast, es ist eine der größten Bühnen, die ein Präsident erhält - und Donald Trump liebt große Bühnen.
Ausgerechnet auf diesen Auftritt soll Donald Trump nun verzichten. Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses und ranghöchste Vertreterin der Demokraten, teilte dem Weißen Haus am Mittwoch mit, dass die Rede zur Lage der Nation nicht im gewohnten Format stattfinden könne, solange Teile der US-Regierung geschlossen sind. Pelosi begründete dies in einem Schreiben damit, dass die zuständigen Behörden aufgrund des Shutdowns nicht in der Lage seien, die Sicherheit des Anlasses zu garantieren. Die Rede, die für den 29. Januar geplant war, müsse entweder verschoben oder von Trump schriftlich überbracht werden. Faktisch hat Pelosi den Präsidenten damit aus dem Kongress ausgeladen, falls er die Haushaltssperre bis dahin nicht aufhebt.
27 Tage hält der Shutdown nun schon an. Beide Seiten stehen unter Druck, nicht nachzugeben
Trumps Antwort ließ nicht lange auf sich warten: In einem Brief teilte er Pelosi mit, ihre geplante Reise nach Ägypten, Afghanistan und Brüssel müsse sie verschieben. Die "PR-Veranstaltung" werde auf die Zeit nach dem teilweisen Regierungsstillstand verschoben, schrieb Trump. Sie solle in Washington bleiben, um über Wege aus dem Shutdown zu verhandeln. Das wirkte wie eine Retourkutsche. Außerdem strich Trump die Reise einer US-Delegation zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos. Er hatte seine eigene Teilnahme wegen des Shutdowns bereits abgesagt. Jetzt sollen auch Finanzminister Steve Mnuchin, Außenminister Mike Pompeo und Wirtschaftsminister Wilbur Ross in Washington bleiben.
Shutdown in den USA:"Was hier läuft, ist eine Schande für unser Land"
Tresha Taylor arbeitet für ein Unternehmen, das US-Diplomaten ausbildet. Weil sie wegen der Haushaltssperre kein Geld bekommt, hat sie ihre Möbel verkauft. Wer an der ganzen Misere Schuld trägt, ist für Taylor klar.
Die Demokraten hatten Pelosis Schritt zuvor als cleveren Schachzug gelobt, als Zeichen dafür, dass sie Trump im Kampf um den Shutdown die Stirn bietet. Der Präsident führe sich auf wie ein tobendes Kleinkind, sagte Pelosi schon vergangene Woche, nachdem Trump ein Treffen mit einer Delegation der Demokraten verlassen hatte. "Ich habe fünf Kinder und neun Enkelkinder. Ich weiß, wie ein Wutanfall aussieht." Pelosis Schreiben gebe Trump einen Grund, den Shutdown zu beenden, weil er nichts mehr liebe als die Aufmerksamkeit eines Fernsehpublikums, sagte der demokratische Abgeordnete Steve Cohen. Kritik kam von den Republikanern. Pelosi habe wohl Angst, dass die Nation höre, was der Präsident ihr mitzuteilen habe, sagte der Abgeordnete Steve Scalise.
Fiele die Rede tatsächlich aus, wäre das bemerkenswert. Im politischen Kalender von Washington ist sie ein Fixpunkt. Zwar verzichteten im 19. Jahrhundert die meisten Präsidenten darauf, im Kongress aufzutauchen, und ließen eine schriftliche Fassung ihrer Erklärung verbreiten. Seit Woodrow Wilson die heutige Tradition 1913 begründete, fand der Anlass jedoch praktisch ohne Unterbrechung statt. Richard Nixon und Bill Clinton erhielten selbst dann noch eine Einladung in den Kongress, als dieser bereits damit beschäftigt war, ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie einzuleiten, wie das Magazin Politico vermerkt.
Das Gezerre zeigt, wie hart der Schlagabtausch um die Haushaltssperre geführt wird. Trump besteht auf die 5,7 Milliarden Dollar, die er für den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko fordert. Ohne Zusage der Demokraten werde er die Regierung nicht wieder öffnen. Pelosi sagte dagegen wiederholt, sie halte eine Mauer für "unmoralisch". Trump wie Pelosi stehen unter Druck der eigenen Basis, nicht nachzugeben - obwohl die Folgen des Shutdowns immer offener zutage treten.
27 Tage stehen Teile der Regierung nun bereits still. 800 000 Staatsbedienstete erhalten kein Gehalt. Inzwischen haben die Wirtschaftsberater des Weißen Hauses ihre Einschätzung über die Kosten nach oben korrigiert. Mit jeder Woche, in welcher der Shutdown andauere, schrumpfe das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal um 0,13 Prozent, sagte Kevin Hassett, der Chefberater für ökonomische Fragen. Es mehren sich Berichte über stundenlange Warteschlangen auf Flughäfen. Die Fluglotsen-Gewerkschaften warnen, dass mittelfristig die Sicherheit des Flugverkehrs beeinträchtigt würde.
Die politischen Kosten für den Shutdown trägt - zumindest laut verschiedener Umfragen - der Präsident. Eine Mehrheit von 47 bis 55 Prozent der Amerikaner sieht die Schuld bei Trump und seinen Republikanern. Zwischen 29 und 32 Prozent der Befragten sagen, die Verantwortung liege bei den Demokraten. Das war so nicht unbedingt zu erwarten. Bei früheren Haushaltssperren war es tendenziell nicht der Präsident, der in den Umfragen den größten Schaden davontrug, sondern die Oppositionspartei im Kongress, die eine Einigung beim Haushalt blockierte.
Im Kongress versucht nun eine überparteiliche Gruppe, einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden. Vertreter des zentristischen Flügels der Demokraten folgten am Mittwoch einer Einladung Trumps in Weiße Haus. Im Senat kursiert der Vorschlag des republikanischen Senators Lindsey Graham, zuerst die Regierung für drei Wochen zu öffnen und somit ein Zeitfenster für Verhandlungen über Geld für eine Grenzmauer zu schaffen. Bisher hat Trump den Vorschlag abgelehnt.