US-Truppen in Nordsyrien:Weggegangen, Platz gefangen

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US-Truppen in Syrien (Archivbild) (Foto: dpa)
  • Nachdem US-Präsident Trump Sanktionen gegen die Türkei angekündigt hat, bleibt eine harsche Antwort aus Ankara vorerst aus.
  • Die USA bemühen sich nach dem umstrittenen Rückzug ihrer Truppen aus Nordsyrien um Schadensbegrenzung und fordern einen sofortigen Stopp des türkischen Vormarsches in der Region.
  • Moskau kündigt an, russische Militärpolizisten zwischen den Fronten der türkischen und syrischen Streitkräfte patrouillieren zu lassen.

Von Christiane Schlötzer, Ankara, und Paul-Anton Krüger, Ankara

Sollte es US-Sanktionen gegen die Türkei geben, werde Ankara dies Washington mit gleicher Münze heimzahlen. So hatte die türkische Regierung vor Tagen gedroht. Am Dienstag aber blieb eine harsche Antwort aus Ankara erst einmal aus, nachdem US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte, Gespräche mit der Türkei über ein Handelsabkommen mit einem Volumen von 100 Milliarden Dollar würden gestoppt und die Zölle auf türkischen Stahl auf 50 Prozent angehoben. Solche Sonderzölle der USA hatten im Sommer 2018 die Lira in den Keller gestürzt. Sie waren damals von Trump aus Protest gegen die Inhaftierung eines amerikanischen Priesters verhängt und nach dessen Freilassung wieder aufgehoben worden.

Die USA bemühen sich nach dem umstrittenen Rückzug ihrer Truppen aus Nordsyrien um Schadensbegrenzung und fordern einen sofortigen Stopp des türkischen Vormarsches in der Region. "Die USA werden die Invasion der Türkei in Syrien nicht länger tolerieren. Wir fordern die Türkei auf, sich zurückzuziehen, die Gewalt zu beenden und an den Verhandlungstisch zu kommen", sagte Vizepräsident Mike Pence am Montag nach einem Telefonat Trumps mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

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Sanktionen wurden auch gegen Verteidigungsminister Hulusi Akar, Energieminister Fatih Dönmez sowie Innenminister Süleyman Soylu verhängt. Sollten sie Vermögen in den USA haben, wird es eingefroren. Am Dienstag legten die US-Regierung nach und drohte mit weiteren Sanktionen. "Der Plan ist, den Druck zu erhöhen", sagte Reuters zufolge ein Regierungsvertreter. Den Republikanern im Außenpolitischen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses gingen die am Montag verkündeten Strafmaßnahmen nicht weit genug, "um die Türkei für ihre ungeheuerlichen Vergehen in Syrien zu bestrafen", erklärte das Büro des Abgeordneten Mike McCaul. Auch Investoren bewerteten die zunächst geplanten Sanktionen als eher leicht. Da sich die Strafmaßnahmen nicht auf den Banken- und Finanzmarkt erstrecken, zogen Aktien, Anleihen und die Lira sogar an. Ein Dämpfer kam indes von Volkswagen: Der Autokonzern verschob aus Sorge über die "aktuellen Entwicklungen" die endgültige Entscheidung über einen Werkbau nahe Izmir, eine Investition, die beide Seiten groß gefeiert hatten. Italien schloss sich anderen europäischen Ländern, darunter Deutschland, an, die den Waffenexport in die Türkei einschränken.

Am Montag waren die letzten US-Soldaten aus Manbidsch abgezogen; sie übergaben die Grenzstadt im Nordwesten Syriens an Truppen des syrischen Regimes und Russlands. Russische Einheiten übernahmen das Feldlager der Amerikaner, Videos davon veröffentlichten Mitarbeiter einer russischen Sicherheitsfirma im Internet. Das Verteidigungsministerium in Moskau kündigte an, russische Militärpolizisten würden in Manbidsch zwischen den Fronten der türkischen und der syrischen Streitkräfte patrouillieren - ein Signal, dass Russland das Vakuum zu füllen gedenkt, das der US-Abzug hinterlässt. Mit der Türkei verbündete syrische Milizen waren auf die Stadt vorgerückt und lieferten sich Gefechte mit der syrischen Armee.

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Der Syrien-Sondergesandte des Kreml, Alexander Lawrentiew, stellte klar, die ganze syrische Grenze müsse von Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad kontrolliert werden. Russland lehne die Präsenz türkischer Truppen auf syrischem Gebiet ab. Die Militäroperation sei "inakzeptabel", die bisher schärfste Kritik aus Moskau.

Die Kämpfe in anderen Gegenden an der Grenze dauerten ungeachtet der Forderungen nach Waffenruhe an. Die Kurdenmiliz YPG meldete, sie habe die Grenzstadt Ras al-Ain rückerobert. Polizei und Justiz in der Türkei gehen immer härter gegen Kritiker der Offensive vor. Vier Bürgermeister der prokurdischen Partei HDP aus Distrikten nahe der Grenzen zu Syrien und dem Irak wurden festgenommen - wegen "Terrorverdachts". Der HDP-Abgeordnete Mithat Sancar sagte der Süddeutschen Zeitung: "Ziel der Militäroperation ist es, die Opposition zum Schweigen zu bringen." Nach den Kommunalwahlen habe es mit den Oppositionserfolgen in vielen Großstädten "Hoffnung auf eine Alternative" zu Erdoğan gegeben. Die wolle dieser nun zerstören, sagte Sancar, Vizepräsident des Parlaments in Ankara und Abgeordneter der Stadt Mardin im Grenzgebiet.

Außer der HDP unterstützten alle großen Parlamentsparteien die Militäroffensive. Vorsichtige Distanzierungen aber gibt es. Der Chef der größten Oppositionspartei, der säkularen CHP, Kemal Kılıçradoğlu, kritisierte am Dienstag im Parlament, dass Erdoğan von "Eroberungen" spreche. Verwende man das Wort "Krieg", müsse man schon den Staatsanwalt fürchten. Nationalisten wiederum forderten bereits ein Verbot der HDP.

© SZ vom 16.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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