Abtreibungsdebatte in den USA:Ohio lehnt höhere Hürde für Verfassungsänderungen ab

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Wer bei der Volksabstimmung in Ohio ein Nein angekreuzt hatte, konnte jubeln. (Foto: Jay LaPrete/AP)

Für die Republikaner ist es ein Schlag, für all jene, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch befürworten, ein Erfolg: Über eine Volksabstimmung, die alles andere als banal war.

Von Christian Zaschke, New York

Der Bundesstaat Ohio hat es soeben geschafft, sich mit einem Paukenschlag mitten ins Zentrum der Aufmerksamkeit des politischen Betriebs der USA zu versetzen. Und das mit einer auf den ersten Blick banalen Volksabstimmung: Am Dienstag haben es mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler abgelehnt, dass künftig Änderungen an der Verfassung des Bundesstaats mit einer 60-Prozent-Mehrheit durchgesetzt werden müssen. Damit gilt weiterhin die bestehende Regel, nach der dafür eine einfache Mehrheit reicht.

Es ging in dieser Abstimmung nur vordergründig um eine Verfassungsfrage. Die Republikaner in Ohio hatten die Änderung angeregt, weil im November eine weitere Abstimmung ansteht, in der darüber entschieden wird, ob das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Bundesstaats verankert werden soll.

Die Republikaner wollen das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verhindern

Ziel des aktuellen Votums war es, dass dies bei der Abstimmung im November deutlich schwieriger würde. Sämtliche Umfragen zeigen, dass eine knappe Mehrheit der Bevölkerung in Ohio das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche befürwortet. Die Zustimmung liegt den Umfragen zufolge bei knapp unter 60 Prozent. Deshalb wollten die Republikaner die Regeln so ändern, dass es mehr als 60 Prozent braucht, um dieses Recht konstitutionell festzuschreiben.

Die Bevölkerung des Bundesstaates hat dieses Ansinnen nun abgelehnt, mit etwa 56,5 Prozent der Stimmen. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheitsverhältnisse im November ähnlich aussehen werden: Das Recht auf Abtreibung dürfte mit einfacher Mehrheit in der Verfassung verankert werden, obwohl die republikanische Regierung des Bundesstaates sich dagegen ausgesprochen hat.

Für die Republikaner ist das ein erneutes Zeichen dafür, dass sie mit dem Thema Abtreibung zwar bei ihrer Basis punkten können, nicht aber bei einer Mehrheit aller Wählerinnen und Wähler. Es steht zudem die Frage im Raum, ob sie wegen der Abtreibungsfrage ihre Mehrheit in einem Staat verlieren könnten, den sie erst vor wenigen Jahren auf ihre Seite gezogen hatten.

Ohio galt lange als Orakel: Wer die Wahl dort gewinnt, zieht ins Weiße Haus

Seit 60 Jahren gab es unter den Kandidatinnen und Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahlen niemanden, der nicht Ohio allzeit fest im Blick gehabt hätte. Ohio galt als Orakel. Es war ein klassischer Swing State, und wer Ohio gewann, der gewann die Wahl. Das galt so von 1964 bis 2016.

Als 2008 ausgezählt wurde und alles danach aussah, dass Barack Obama womöglich der erste schwarze Präsident der USA werden könnte, glaubten die meisten Beobachter das erst, als die Fernsehsender verkündeten: Ohio geht an - Obama. Auf den Wahlpartys der Demokraten brach erst in diesem Moment der große Jubel aus.

2016 gewann Donald Trump den Staat. Die Demokraten wollten es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben, dass die Entscheidung damit gefallen war. Doch Ohio irrte nicht, wie es in dem halben Jahrhundert zuvor nie geirrt hatte. Trump wurde Präsident. Erst im Jahr 2020 gelang es Joe Biden, die so lange geltende Regel zu brechen: Er zog ins Weiße Haus ein, obwohl er Ohio verloren hatte.

In jüngerer Zeit haben die Demokraten dem Staat die Rolle als Orakel daher abgesprochen. Mehr noch: Sie haben ihn aufgegeben, sie haben Ohio als Staat verbucht, der an die Republikaner verloren ist. So wie Florida, das in jüngerer Vergangenheit auch als Swing State galt, mittlerweile aber zuverlässig republikanisch wählt. Doch seit diesem Dienstag dürfte in den demokratischen Strategiezentralen ein Umdenken eingesetzt haben.

Das Supreme-Court-Urteil zur Abtreibung hat den Demokraten Zulauf beschert

Dass der Supreme Court das bundesweit verbriefte Recht auf Abtreibung im Sommer 2022 als verfassungswidrig erklärt und die Entscheidung darüber an die Bundesstaaten gegeben hat, feiern viele Konservative bis heute als den größten politischen Sieg seit Jahrzehnten. Es zeigt sich jedoch seither, dass dieses Thema den Demokraten großen Zulauf beschert, weil eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Ansicht ist, dass die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch nicht bei den Bundesstaaten, sondern bei den betroffenen Frauen liegen sollte.

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Im April dieses Jahres hatte die Wählerschaft in Wisconsin eine Richterin an den Supreme Court des Bundesstaates gewählt, die sich für das Recht auf Abtreibung ausgesprochen hatte. Mit dieser Wahl übernahmen die Liberalen die Mehrheit am Gericht. Diese hatten die Konservativen zuvor 15 Jahre lang innegehabt, das Urteil galt als wegweisend: Die Demokraten in Washington erkannten, dass sie mit dem Thema Abtreibung im ganzen Land Wahlen gewinnen können.

Das Ergebnis der Abstimmung in Ohio dürfte auch im Team von Joe Biden neue Fragen aufwerfen. Bisher war die Strategie, sich bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 auf traditionell umkämpfte Bundesstaaten wie Arizona, Wisconsin, Michigan, Pennsylvania und eventuell Georgia zu konzentrieren. Doch seit diesem Dienstag steht Ohio definitiv wieder auf der demokratischen Landkarte.

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