Die Präsidentschaftskampagne von Donald Trump bleibt chaotisch. Nachdem der Republikaner-Kandidat dem mächtigen Parteifreund Paul Ryan die Unterstützung für dessen eigene Wahl verweigert hat, ruft Trumps Vize Mike Pence zur Unterstützung Ryans auf. In Florida erzählt Trump stolz, dass er sich mit sechs "Gold Star"-Familien getroffen habe, deren Kinder im Krieg gefallen seien - doch bei der Familie des muslimischen Soldaten Humayun Khan, der im Irak gefallen war ( mehr hier), will er sich nicht entschuldigen.
Die aktuellen Umfragen können dem Immobilienmogul nicht gefallen: Beim konservativen Kabelsender Fox News liegt Trump zehn Prozentpunkte hinter Hillary Clinton. Ihr Vorsprung ist bei CNN ähnlich groß. Also haut der Republikaner weiter neue Sprüche raus - nachdem er die Demokratin am Montag noch als "Teufel" bezeichnet hat, nennt er sie nun die "Gründerin des Islamischen Staats".
In dem allgemeinen Trubel ( ja, Trump ließ auch eine Mutter mit ihrem schreienden Baby bei einer seiner Reden aus dem Saal entfernen) ging eine andere verstörende Aussage des Geschäftsmanns fast unter. In Ohio sagte er am Montag, dass es bei der Präsidentschaftswahl am 8. November zu Betrugsfällen kommen werde - natürlich gegen ihn und für Hillary Clinton. Wörtlich sagte er: "Ich will ehrlich sein: Ich fürchte, dass die Wahl gefälscht wird."
US-Wahlkampf:Trumps nächster Gegner
Weil ein Kind zu laut schreit, verbannt der Republikaner es aus seiner Wahlkampfveranstaltung. Klingt irre, folgt aber der Donald-Logik.
Trumps Polit-Karriere basiert auf Verschwörungstheorien
Seither wiederholt der 70-Jährige diese Aussagen, bei Fox News und während seiner Events. Dass Trump Verschwörungstheorien gern und gezielt einsetzt, ist bekannt: Seine Polit-Karriere begann mit lauten Zweifeln, ob Barack Obama in den USA geboren sei und damit Präsident sein könne. Wenn es ihm nutzt, dann spricht er auch darüber, dass der Vater von Ted Cruz etwas mit dem Mord an John F. Kennedy zu tun haben könnte.
Im April befeuerte der Geschäftsmann, dessen Erfolg auf seinem Außenseiter-Image beruht, die Leidenschaft seiner Fans, indem er über "unfaire Regeln" und "gestohlene Delegierte" ( Details hier) schimpfte. Damals begann er auch, Clinton als Betrügerin zu bezeichnen und sie "Crooked Hillary" zu nennen.
Es wäre jedoch falsch, diese Sprüche als ein simples Ablenkungsmanöver während der Khan-Kontroverse abzutun. Schon jetzt ist die Gesellschaft polarisiert, und diese Theorien lassen befürchten, dass nach dem Wahltag alle Diskussionen genauso erhitzt weitergehen und auch nur eine minimale Versöhnung ausbleibt. Was immer Donald Trump antreibt (braucht der "Ich gewinne immer"-Kandidat schon jetzt eine Legende, um seine Pleite rechtfertigen zu können?): Seine Aussagen über Wahlfälschungen sind aus mehreren Gründen brandgefährlich für Amerikas Demokratie.
Bislang hat in 240 Jahren US-Geschichte der unterlegene Präsidentschaftskandidat stets seine Niederlage anerkannt und dem Sieger gratuliert. Dies gilt auch für Samuel Tilden und Al Gore, die 1876 und 2000 mehr Wählerstimmen erhielten als Rutherford Hayes und George W. Bush. Im Interview mit der Washington Post ( Transkript hier) wich Trump am Dienstag dieser Frage aus: Der 70-Jährige wiederholte, dass er "nicht überrascht" wäre, wenn die Wahl gefälscht würde. "Im vergangenen Jahrhundert gab es keinen Fall, in dem ein Bewerber offen die Legitimität eines Wahlsiegers angezweifelt hat", sagt Jesse Walker, Autor des Buchs "United States of Paranoia".
Dass der "rechte Rand die neue Mitte" ist, war bereits beim Parteitag in Cleveland zu beobachten. Mit seinem Geraune über anstehenden Wahlbetrug macht Trump als offizieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones und dessen Website Infowars.com weiter salonfähig. Vor dem Auftritt in Ohio empfahl Trumps alter Freund und Ex-Berater Roger Stone im Interview mit dem Online-Troll Milo Yiannopoulos dem Immobilienmogul, "ständig" über den anstehenden Wahlbetrug zu reden: "Wenn es keine faire Wahl gibt, dann zählt nichts mehr."
Laut Stone hätte der Republikaner Mitt Romney 2012 eigentlich gegen Obama im entscheidenden swing state Ohio gewonnen - weil er dafür bezahlt habe. Stone schwadroniert über ein "Blutbad", das sich ereignen werde, wenn die unrechtmäßig gewählte Clinton Anfang 2017 den Amtseid ablegen sollte. Gewiss: Trump macht sich diese radikalen Aussagen nicht völlig zu eigen, aber er distanziert sich keineswegs.
Die neuen Aussagen Trumps verdienen auch deshalb Beachtung, weil viele US-Bürger große Zweifel an der Genauigkeit der Wahlergebnisse und am Funktionieren der Wahlcomputer haben. Jeder der 50 Bundesstaaten organisiert die Stimmabgabe selbständig. Bei den Vorwahlen 2016 kam es zu langen Schlangen. Was auffällt: Die Anhänger jener Partei, die im Weißen Haus sitzt, sind stets zuversichtlicher. 2006 glaubten laut Meinungsforschungsinstitut Pew 45 Prozent der Demokraten, dass alle landesweit abgestimmten Stimmen korrekt ausgezählt würden - unter Republikanern waren dies 79 Prozent. 2012, also während Obamas Präsidentschaft, ist die Zahl auf 21 Prozent gesunken.
US-Wahlkampf:Trumps "schwarze Seele"
Der US-Präsidentschaftskandidat beleidigt die Eltern eines gefallenen US-Soldaten. Das geht auch führenden Republikanern zu weit. Die Eltern wehren sich auf mehreren Kanälen.
Mit seinem Gerede vom weit verbreiteten "Wahlbetrug" greift Trump ein Lieblingsthema von republikanischen Politikern auf Bundesstaaten-Ebene auf. Um eine aus ihrer Sicht faire Wahl zu garantieren, haben sie die entsprechenden Gesetze geändert. Sie verlangen bei Wahlen zur Identifikation oft Dokumente mit Foto und treffen merkwürdige Unterscheidungen: So wird ein Waffenschein akzeptiert, aber kein Uni-Ausweis (ein Abgeordneter tönte 2012: "Dieses Gesetz sorgt dafür, dass Romney in Pennsylvania siegt").
Mehrere Gerichtsurteile haben in den vergangenen Tagen die neuen Regeln in North Carolina, Texas, Wisconsin und Kansas für ungültig erklärt, weil sie ganz klar ärmere US-Bürger sowie Angehörige von Minderheiten benachteiligen würden. Dass diese Gruppen in großer Mehrheit die Demokraten wählen, weiß jeder Politbeobachter in den USA. Wenn Donald Trump über jenen Wahlbetrug spricht, der ihm angeblich Sorge bereitet, dann spielt er wie schon so oft verschiedene Gesellschaftsgruppen gegeneinander aus.
Kaum Belege über Wahlfälschungen
Gibt es wirklich ein Problem mit Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe in den USA? Als eine der besten Untersuchungen gilt die Arbeit von Justin Levitt, einem Professor der Loyola Law School in Los Angeles. Er fand über einen Zeitraum von vierzehn Jahren genau 31 Fälle, bei denen es möglicherweise zu Fälschungen gekommen ist - insgesamt wurden etwa eine Milliarde Stimmen abgeben.
Diese Untersuchungen werden Donald Trump sicher nicht davon abhalten, weiter vor einer rigged election zu warnen. Sollte er am 8. November nicht zum 45. US-Präsidenten gewählt werden, dann haben er und seine überzeugten Fans schon mal eine Erklärung.