OSZE-Wahlbeobachter zur US-Wahl:"Das ist ein Tabubruch"

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"Ich würde mir von beiden Seiten wünschen, dass sie den Wahlprozess nicht mit Klagen überziehen": Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Link ist Leiter der OSZE-Wahlbeobachterkommission für die US-Präsidentschaftswahl. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Der deutsche Chef der OSZE-Wahlbeobachtermission in den USA sieht durch die Vorwürfe von Präsident Trump das Vertrauen in den Wahlprozess unterminiert.

Von Daniel Brössler

Das Gebaren von Donald Trump stößt auf scharfe Kritik internationaler Beobachter. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Link leitet die Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in den USA. Link ist erfahrener Wahlbeobachter, von 2014 bis 2017 leitete er das OSZE- Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) in Warschau. Für Trumps Verhalten findet er klare Worte.

SZ: War die Wahl in den USA frei und fair?

Link: Auf diese zwei Begriffe verkürzen wir das nicht. Wir schauen uns sehr genau an: Haben die Wahlen den amerikanischen Gesetzen entsprochen, und entsprechen die amerikanischen Gesetze den internationalen Standards?

Wie lautet Ihr Urteil?

Am Wahltag selbst ist alles ruhig und ordentlich abgelaufen. Im Vorfeld der Wahl gab es allerdings bei der Registrierung erhebliche Hürden. Das ist nicht neu. Bei der Briefwahl gab es, anders als von Präsident Trump behauptet, nach unseren Erkenntnissen keine Probleme.

Was bedeutet es für den Wahlprozess, wenn der Amtsinhaber von Wahlbetrug spricht?

Der Vorgang in der Wahlnacht ist in verschiedener Hinsicht ein Tabubruch. Erstens hat sich Donald Trump zu einem Zeitpunkt zum Sieger erklärt, zu dem das erkennbar noch lange nicht möglich gewesen ist. Nicht er entscheidet, wann eine Wahl entschieden ist. Das machen die Wahlleiter der einzelnen Bundesstaaten. Deutlich kritischer war jedoch, dass Trump zum Ende der Zählung aufgefordert hat und jetzt sogar versucht, das rechtlich durchzusetzen.

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Der Präsident verrichtet eine vielleicht letzte Tat: Er stellt sich gegen die Prinzipien der amerikanischen Verfassung und versucht, den Glauben an die faire Wahl zu zerstören. Doch das System ist erstaunlich widerstandsfähig.

Kommentar von Stefan Kornelius

Steht ihm der Rechtsweg nicht offen?

Es ist völlig in Ordnung, wenn er zu den Gerichten geht. Das ist das gute Recht eines jeden Bürgers - auch des Präsidenten und seiner Partei. Aber der Präsident hat den gesamten Wahlprozess in dieser Nacht und auch schon vorher in Zweifel gezogen. Mehrfach hat er gesagt, das ganze System sei korrupt und betrügerisch. So wird das Vertrauen in den gesamten Wahlprozess unterminiert. Das ist ein erhebliches Problem. In unserem Wahlbericht haben wir das mit Belegen deutlich kritisiert.

Angestachelt von Trump, gibt es mancherorts lautstarke Proteste. Kann unter diesen Umständen ordnungsgemäß ausgezählt werden?

In Arizona haben Demonstranten tatsächlich Druck gemacht. Allerdings hat die Polizei aufgepasst. Wenn sich so etwas häuft, wäre das aber in der Tat ein Problem.

Dauert die Auszählung nicht wirklich viel zu lang?

Wir würden uns auch wünschen, dass schneller ausgezählt wird, aber es gibt Gerichtsurteile wie vom Obersten Gericht in Pennsylvania. Demnach müssen eingehende Wahlzettel noch drei Tage nach der Wahl ausgezählt werden, wenn sie den Poststempel des Wahltages tragen. Das sind Folgen der zahlreichen rechtlichen Beschwerden von Parteien beider Seiten. Ich würde mir von beiden Seiten wünschen, dass sie den Wahlprozess nicht mit Klagen überziehen, denn das verwirrt die Wähler.

Liegt der Fehler nicht im System?

Ich glaube, dass die USA durchaus Reformbedarf haben, was ihr Wahlsystem angeht. Nicht, weil wir Belege für Manipulationen gesehen hätten, sondern weil das System äußerst kompliziert, anspruchsvoll und dezentralisiert ist. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere die Registrierung der Wähler und die großen Unterschiede bei der Auszählung. Das ist für die Wähler sehr unübersichtlich.

Sie haben schon viele Wahlen beobachtet. Haben Sie in einer entwickelten Demokratie schon einmal ein Verhalten erlebt wie das von Präsident Trump?

Wir wollen keine Vergleiche ziehen, aber der Vorgang in der Wahlnacht war wirklich irritierend. Auch anderswo kochen während der Wahl Emotionen hoch, aber dass der Amtsinhaber aus dem Weißen Haus heraus mit Amtsfanfare und Präsidentenhymne den Versuch unternimmt, einen laufenden Wahlprozess zu behindern, das ist ein Tabubruch, den man auch als solchen bezeichnen muss.

Was bedeutet das für Ihre Mission?

Wir bleiben vor Ort, bis alle Stimmen ausgezählt und alle Einsprüche und rechtlichen Verfahren entschieden sind. Wo noch ausgezählt wird, sind wir vor Ort. Ich werde selbst nach Pennsylvania fahren und Gespräche mit der Wahlbehörde führen. Wir sind keine Wahlpolizei, aber wir beobachten. Das ist wichtig in einer so aufgeheizten Situation.

Wäre es zu akzeptieren, wenn Gerichte die Auszählung stoppen?

Das kommt auf die Gründe an. Unsere Experten gehen aber nicht davon aus, dass es zu solchen Auszählungsstopps kommt, denn bisher sind keine Unstimmigkeiten zu sehen.

Rechnen Sie noch mit einem guten Ende?

Die amerikanische Demokratie hat immer wieder gezeigt, dass sie sehr erneuerungsfähig ist. Das Verfassungssystem ist durch die Teilung der Gewalten sehr stark. Am Ende glaube ich an seine Widerstandsfähigkeit, aber es ist schon eine Belastung.

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