US-Wahlkampf:Trump kneift

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Eine Befragung durch Bürger: So sollte die nächste TV-Debatte zwischen Präsident und Herausforderer funktionieren. Doch nun weigert sich Trump - angeblich weil ihm das Videoformat nicht behagt. Es könnte etwas anderes dahinterstecken.

Kommentar von Stefan Kornelius

In den sogenannten Fernsehduellen der US-Präsidentschaftskandidaten geht es nicht um Erkenntnisgewinn. Vermutlich ist Donald Trump ohnehin der am stärksten exponierte Präsident der Geschichte, und Joe Biden lebt von seinem milchigen Profil. Kennenlernen muss die beiden keiner mehr. Bleiben also zwei Dinge: die Hoffnung, dass der Gegner straucheln könnte, und das Ziel, die eigene Klientel zu mobilisieren und an die Urne zu treiben. Der Rest ist Geschrei.

Dieses Geschrei beginnt nun schon eine Woche vor der nächsten Präsidentschaftsdebatte, die eigentlich eine Befragung durch Bürger hätte sein sollen.

Für Trump wäre das eine interessante Erfahrung, weil auch Gegner seiner Politik zu Wort kämen - und er sie zu Wort kommen lassen müsste. Die kann er nicht so robust anpacken, wie er das zuletzt mit Biden getan hat. Bürgergespräche verlaufen in der Regel sachlich und werbend - und vor allem ist das Gefälle zwischen Präsident und Wähler eindeutig. Da ist Demut geboten.

Allein: Die Debatte wird vermutlich nicht stattfinden, die Infektionsgefahr ist zu hoch, Trumps Gesundheitszustand wird zu recht von dem Veranstalter hinterfragt und als zu kritisch eingestuft. Der Mann hat offenbar schon genügend Mitarbeiter angesteckt.

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Trump verweigert nun die Zuschaltung per Video und empfindet das Distanzgespräch als Zumutung- eine Zumutung übrigens, die Millionen weltweit seit Monaten klaglos ertragen. Deswegen also jetzt schon das Geschrei. Deswegen wohl keine Debatte mehr.

Sollte es bei der Absage bleiben, wäre das bedauerlich. Die Runde der Vizepräsidentschafts-Kandidaten hat gezeigt, wie wohltuend die Banalität der Politik sein kann. Sobald Häme, Hinterlist und Lügen wegfallen, erstrahlt selbst in den USA Politik in neuer Zivilität, und sogar eine Fliege auf dem Haupthaar des Vizepräsidenten kann es zur Berühmtheit schaffen.

Diese Erfahrung haben die Amerikaner schon lange nicht mehr machen dürfen. Ein Befragungstermin hätte die Chance geboten, den Verfall der politischen Sitten und das von Biden angebotene Alternativmodell klar zu erkennen. Denn bei Trump ist nichts banal, er lebt im Exzess, weshalb ihm ein Bad im Abklingbecken guttäte. Nun scheint er zu kneifen vor John und Jane Doe.

© SZ vom 09.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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