US-Wahl:Trump muss Zeit gewinnen, Biden Stimmen

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Ein Wahlhelfer in Atlanta erhält die Stimmzettel zur Auszählung in der State Farm Arena. (Foto: dpa)

Die Auszählung der Stimmen zieht sich hin. Aber das ist nicht ungewöhnlich und unterstützt außerdem die Taktik der Kandidaten.

Von Stefan Kornelius, München

Wieder ein Sonnenaufgang in den USA, wieder die selben Moderatoren in den Nachrichtenkanälen - und wieder kein Ergebnis. Während jede noch so kleine Verschiebung im Stimmverhältnis atemlos bekanntgegeben wurde, schwoll das Geraune über die zermürbende Langsamkeit bei der Auszählung an. Jede noch so kleine Besonderheit wurde als Eilmeldung platziert und diskutiert, etwa warum am Donnerstag 1270 Umschläge mit Wahlzetteln in der Post von Nevada aufgetaucht sind.

Die Verunsicherung ist verständlich, aber auch leicht zu erklären. Drei Faktoren sind es, die diese Wahlauszählung so außergewöhnlich machen: die hohe Wahlbeteiligung, das knappe Ergebnis in gleich mehreren Bundesstaaten und die Eigenheiten des amerikanischen Föderalismus mit einem kaum zu durchdringenden Dickicht an Verordnungen und Gesetzen zum Wahl- und Auszählungsverfahren.

Hohe Wahlbeteiligung bedeutet hohe Anforderungen an die Auszähler. Darauf waren die meisten Bundesstaaten nicht vorbereitet. Im Gegenteil: Sparprogramme, außergewöhnlich viele Früh- und Briefwähler, neue Sicherheitsvorkehrungen gegen Wahlbetrug und am Ende auch eine für die USA nicht ungewöhnliche Organisationsschwäche ziehen den Auszählungsprozess hin.

Auszählung über Tage hinweg - eigentlich keine Besonderheit

Das gab es bisher in allen Präsidentschaftswahlen, aber die Verschleppung in einem Bundesstaat fiel in der Regel nicht ins Gewicht, so lange das Ergebnis in anderen Staate eindeutig war. 2016 wurde das offizielle Ergebnis der Auszählung im Michigan zwei Wochen nach dem Wahltag bekannt gegeben- Trump hatte mit rund 10 704 Stimmen Vorsprung gewonnen.

Klare Mehrheitsverhältnisse mit vielen zehn- oder gar hunderttausend Stimmen Vorsprung erzeugen eine hohe Toleranzbreite für Fehler. Da können schonmal die Stimmen eines Countys unter den Tisch fallen oder das Ergebnis eines gesamten Bundesstaates für die Mehrheitsverhältnisse im Electoral College unbedeutend bleiben.

2020 aber waren die Verhältnisse einmalig, weil mindestens fünf Bundesstaaten - Arizona, Nevada, Georgia, Pennsylvania, Wisconsin - auf die Auswertung der Zielfotos warten mussten oder sogar noch müssen: Entweder sind noch nicht alle Stimmen gezählt, oder der Vorsprung ist so klein, dass er die gesetzlich geforderte Nachzählung erlaubt. In Georgia liegt die bei einem Prozent, in Pennsylvania bei 0,5 Prozent, in Nevada bei nur 0,1 Prozent.

Die USA und ihre Bundesstaaten: Ein Dickicht aus Gesetzen und Regeln

Hier kommen die Besonderheiten der vielen Wahlgesetze ins Spiel - und die Bürokratie. Welche Vor- und Briefwahlstimmen sind zulässig? Wie werden sogenannte "vorläufige Wahlzettel" gewertet - Stimmen, die in der Regel ohne gültigen Nachweis der Identität abgegeben wurden? Welchen Unterschied machen die Stimmen der im Ausland stationierten Militärangehörigen, die zum Teil noch Wochen nach der Wahl eintreffen können? In North Carolina werden Briefwahlstimmen bis 12. November angenommen, in Georgia könnten die Militärstimmen zugunsten von Donald Trump wirken.

Neu ist das alles nicht. Die späten Briefwahlstimmen, technische Probleme in einem Auszählungszentrum, ein übersehener Postsack - gab es immer wieder. In dieser Wahl aber ist besondere Genauigkeit gefordert, weil gleich mehrere Bundesstaaten mit einer Anfechtung rechnen müssen. Schon jetzt lähmt das Nervenspiel die Arbeit in den Auszählungszentren. In Georgia kam die Auszählung in einem County bei Atlanta fast zum Stillstand, nachdem die gesetzlich zugelassenen Wahlbeobachter der Republikaner jede einzelne Stimme mit einem Vorbehalt belegten. Das ist ihr Recht - aber Gründe für die Behinderung gab es keine.

Wie sag ich es dem Präsidenten?

Spätestens hier spielte das politische Kalkül eine Rolle und am Ende auch die Psychologie eines einzigen Mannes: Donald Trump. Als Joe Biden in der Nacht auf Samstag vor die Kameras trat, hatten nicht wenige Beobachter eine Siegesrede erwartet. Sie bekamen lediglich eine Durchhalteparole - wartet die Auszählung ab, alles geht nach Recht und Gesetz.

Biden hatte auch gar keinen Grund, von seiner bisherigen Taktik abzuweichen. Die Demokraten vertrauten voll und ganz auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens und die Wucht der Stimmen. Die Dynamik der Auszählung war auf ihrer Seite. Je höher am Ende der Vorsprung in den umstrittenen Staaten, desto unwahrscheinlicher eine Nachzählung und desto größer die Zahl der zweifelsfrei zugeordneten Wahlleute. Amerikas Wahlkarte musste sich also wirklich blau färben, damit die Republikaner erkennen, wie aussichtslos ihre Anfechtungen sein werden.

Nirgendwo zeichnen sich belastbare Verfahren ab

Die Republikaner setzten ihrerseits aber auch auf den Faktor Zeit. Je länger es dauerte, bis die Nachrichtenagenturen und Fernsehsender den Gewinner der Wahl verkündeten, desto mehr Zeit hatten sie für Anfechtungen. Als Triumph wurde bereits gewertet, dass der Oberste Gerichtshof für Pennsylvania angeordnet hatte, nach dem Wahltag eingetroffene Stimmen separat aufzubewahren. Das hatte die Regierung des Bundesstaates freilich schon längst verfügt. Insgesamt sind etwa ein Dutzend Klagen anhängig - oder bereits gescheitert. Republikanische Anwälte konzentrieren sich auf Arizona, Michigan, Georgia und Pennsylvania. Aber nirgendwo zeichnen sich belastbare Verfahren ab.

Zeit braucht die Partei aber auch für ein anderes Problem: Am Ende muss einer der Partei-Granden dem Präsidenten die Nachricht von der Niederlage beibringen. Aus dem Weißen Haus drangen in diesen zähen Stunden wenige Nachrichten. Jenseits des kontinuierlichen Twitter-Stroms war Donald Trump verstummt.

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