USA:Wahlkampf aus dem Keller

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US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden kann zurzeit Wahlkampf nur aus seinem Haus betreiben, wegen der Corona-Pandemie sind keine öffentlichen Wahlkampfauftritte möglich. (Foto: AP)

Livestreams statt Kundgebungen, Bettel-SMS statt Spendengalas: Der US-Präsidentschaftswahlkampf in der Corona-Pandemie ist so skurril wie keiner zuvor. Aber spielt das für die Wahl überhaupt eine Rolle?

Von Alan Cassidy, Washington

Joe Biden ist das, was die Amerikaner einen "backslapper" nennen: Ein geselliger Mensch, der anderen gerne nahe kommt - manchmal etwas zu nahe. Es gibt unzählige Geschichten von Amerikanern, die Biden in seinem langen Leben als Politiker unterhalten, getröstet, auf den Rücken geklopft hat. Das kann er nun nicht mehr. Heute sitzt der Präsidentschaftskandidat der Demokraten in der Quarantäne im Keller seines Hauses im Bundesstaat Delaware. Er klopft jetzt auf keine Rücken mehr, sondern nur noch auf das Mikrofon, das ihm seine Mitarbeiter dort im provisorischen TV-Studio aufgebaut haben. "Sind wir fertig?", fragt Biden.

In normalen Zeiten ist ein US-Präsidentschaftswahlkampf die größte Show der Welt: Ballons, Papierschnipsel, Fangesänge. Jeder choreografierte Auftritt soll Energie erzeugen, den Anhängern des Kandidaten das Gefühl geben: Hier passiert gerade etwas Großes, und du bist Teil davon. Aber jetzt? Gibt es keinen Wahlkampf mehr. Die Amerikaner sitzen zu Hause, womöglich noch bis im Herbst, und die Frage, die sich für Joe Biden ein halbes Jahr vor der Wahl stellt, lautet: Lässt sich Energie auch aus einem Keller in Delaware erzeugen? Über eine Zoom-Schaltung, einen Live-Chat?

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Biden - und zu einem gewissen Grad auch Donald Trump - bleibt keine Alternative, als es zu versuchen. Beide haben mit dem Ausbruch der Pandemie ihre Wahlkämpfe in rein digitale Kampagnen verwandelt. Wer will, kann sich auf ihren Facebook-, Youtube- oder Instagram-Kanälen jeden Tag Videoschaltungen mit Parteigrößen, Aktivisten und Prominenten ansehen. Was davon zu den Wählern durchdringt, ist nicht ersichtlich. Ob es im November noch eine Rolle spielt, ebenfalls nicht. Nur eines ist sicher: Es ist ein Wahlkampf, wie es ihn noch nie gegeben hat.

"Warten auf Joe Biden" steht auf dem Bildschirm unten links. Angekündigt ist ein Gespräch mit Hillary Clinton, doch zunächst geschieht lange nichts. Dann, endlich, sind die beiden zu sehen. Links Biden vor einem Bücherregal, rechts Clinton vor einem Sekretär. Geschlagene 20 Sekunden blicken beide in die Kamera, ohne etwas zu sagen, sie scheinen nicht zu wissen, dass der Stream läuft - und die Zuschauer warten. Die Energie der Szene: eher negativ.

Während des Streams fasst sich Biden oft ins Gesicht - was in Zeiten einer Pandemie irritiert

Biden stellt Clinton vor als "die Frau, die heute Präsidentin sein sollte". Danach redet vor allem Clinton, die 2016 gegen Trump verlor. Sie gibt eine Wahlempfehlung für Biden ab, sagt: "Stellt euch vor, wir hätten in der Krise einen richtigen Präsidenten, nicht nur jemanden, der einen Präsidenten im Fernsehen spielt." Sie redet über Möglichkeiten, des Virus und der Wirtschaftskrise Herr zu werden. Biden hört zu. Alleine in den ersten zehn Minuten kratzt er sich sechsmal im Gesicht, was in Zeiten einer Pandemie irritiert. Und wie oft bei den Schaltungen wirkt er etwas steif.

Wie sollte es auch anders sein? Noch im vergangenen Jahr war der 77-Jährige in einer TV-Debatte daran gescheitert, die Adresse seiner Website in die Kamera zu diktieren. Nach einer knappen Stunde sagt Biden zu Clinton, er wünschte sich, die Rollen wären vertauscht - dass er derjenige wäre, der ihre Kandidatur unterstützt. Clinton lächelt tapfer.

Um Clinton war es schon einige Tage zuvor gegangen, auf den Social-Media-Kanälen von Bidens Gegner. Lara Trump, die Schwiegertochter des Präsidenten, begrüßte dort an einem Samstag den Wahlkampfchef Brad Parscale, ein Mann mit dem Bart eines Holzfällers aus Kanada und dem Teint eines Rentners aus Florida. Parscale erzählte, wie er den Wahlkampf schon vor der Pandemie digitalisiert habe, "das begann im Prinzip schon 2015". Lara Trump sagt: "Jemand, der dagegen gar nicht gut umgestellt hat, ist Sleepy Joe Biden." Kein Wunder, fährt sie fort, "er kann ja auch keinen kohärenten Satz zu Ende bringen".

Danach reden die beiden über "Fake News" und über die "radikalen" Pläne der Demokraten. Am Schluss zeigt Parscale über seine Schulter, auf eine Rolle Toilettenpapier, auf der Clintons Foto aufgedruckt ist. "Die benutze ich jedes Mal, wenn ich schlechter Laune bin", sagt er. "Ich habe ganze Schachteln davon." So ist er, der Ton bei den virtuellen Anlässen der Trump-Kampagne: laut, schrill, am Rande des Erträglichen - die logische Fortsetzung der geliebten Wahlkampfrallys, auf die der Präsident nun verzichten muss.

Trumps ältester Sohn schlug nach der Wahl seines Vaters eine Karriere als professioneller Internet-Troll ein

Auf die Spitze treibt das Trumps ältester Sohn Donald Trump junior. Er schlug nach der Wahl des Vaters eine Karriere als professioneller Internet-Troll ein und baute sich damit in rechten Kreisen eine Anhängerschaft auf. Wenn sich Trump junior in diesen Tagen auf eine Couch setzt, nachdem er laut eigener Aussage sechs Dosen Red Bull getrunken hat, und über Biden und andere herzieht, klingt alles noch eine Stufe hässlicher. Der Ex-Vizepräsident sei senil, die Medien von ihm gekauft, und die Welt wäre besser dran, wenn die Chinesen keine Fledermäuse fressen würden. Für die Zuschauer hat das eine gewisse Energie - eine ziemlich dunkle allerdings.

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Die Sendungen des Trump-Teams starten täglich um 20 Uhr, meist sind sie einer Fangruppe gewidmet: "Schwarze für Trump", "Katholiken für Trump", "Veteranen für Trump". Jede Schalte beginnt mit einem bombastischen Werbeclip für die Trump-App, ein von Parscale entwickeltes Mittel, um an möglichst viele Daten potenzieller Wähler zu gelangen. "Schließ dich Trumps Armee an!", donnert ein Sprecher. Wer die App herunterlädt, muss sich mit seiner Handynummer registrieren und erhält fortan drei SMS am Tag. Oft klingt das so: "Der Präsident hat 25 Patrioten ausgemacht - du bist einer von ihnen! Spende jetzt, und er verdreifacht deinen Einsatz!"

Auch Bidens Team strahlt fast täglich Sendungen zu bestimmten Themen aus. An einem Nachmittag der vergangenen Woche erörterte seine Sprecherin Symone Sanders mit Kamala Harris, warum die Corona-Krise besonders Frauen trifft. "Diese Pandemie hat die herrschenden Ungleichheiten in unserer Gesellschaft unter das Mikroskop gebracht", sagt Harris. Die Senatorin war 2019 noch selbst Präsidentschaftskandidatin, nun ist die Videoschaltung für sie eine Art Vorstellungsgespräch: Harris würde gerne an der Seite Bidens für die Vizepräsidentschaft kandidieren.

Kein Thema beim Gespräch mit Harris und auch bei anderen virtuellen Auftritten ist der Vorwurf der sexuellen Nötigung, den eine Ex-Mitarbeiterin gegen Biden erhebt. Anders als in einem normalen Wahlkampf muss sich Biden nicht täglich Reportern stellen, die ihm hinterher reisen. Er sitzt bestimmt nicht freiwillig in seinem Keller - aber der Keller schützt ihn eben auch vor unangenehmen Fragen.

Biden hält virtuelle Runden für Leute ab, die dafür bezahlen

Nicht alle Videoschaltungen sind öffentlich. Um Spenden zu generieren, hält Biden virtuelle Runden für Leute ab, die dafür bezahlen. Das ist nicht einfach: Milliardäre aus Hollywood oder Silicon Valley machen zwar gerne viel Geld locker, um für Präsidentschaftskandidaten Partys zu schmeißen. Doch wenn die Gegenleistung für Spenden Videoschalten sind, an denen Dutzende andere teilnehmen, ist die Sache nicht mehr so attraktiv. Mit Kleinspenden lässt sich das auffangen, aber nicht kompensieren. Notleidende Bürger um Geld anzubetteln: Das macht sich nicht gut.

Und Trump? Seine Wahlkampfkasse ist voll, er bereitet sich schon seit dem ersten Amtstag auf die Wiederwahl vor. Und was die Sichtbarkeit angeht, verlässt er sich darauf, dass er als Präsident immer noch die größte Bühne hat, die ein Kandidat haben kann. Aber ob ihm das auch nützt?

In der Pandemie spiele all das keine Rolle, sagt der Politstratege Jon Haber, der für fünf demokratische Präsidentschaftskandidaten gearbeitet hat. "Die meisten Wähler interessieren sich nicht dafür, ob sie gerade mehr von Biden sehen oder von Trump - sondern dafür, ob sie draußen eine Maske anziehen müssen oder ob sie noch einen Job haben." Viele Amerikaner lebten in Angst, seien in Sorge um ihre Zukunft. "Und wenn das passiert, wählen die Leute den Wandel." Selbst wenn der Wandel aus einem Keller angekündigt wird.

© SZ vom 07.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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