Natürlich ist am Sonntag bei der CDU keine Zeit mehr für Verschnaufpausen. Selten dürften in der Parteispitze so viele so häufig mit allen möglichen Kollegen und Gefährten telefoniert haben. Die Kanzlerin, der Fraktionschef, die engsten Mitstreiter - alle haben sich am Sonntag bemüht, den drohenden Zusammenprall mit der CSU zu verhindern. Die Unruhe ist groß, und die Sorge ist eher gewachsen, dass der Streit über die Flüchtlingspolitik CDU und CSU tatsächlich auseinander treiben könnte.
Dabei will am Wochenende kaum einer öffentlich reden; zu sehr sind Peter Altmaier, Volker Kauder und andere bemüht, "alles zu versuchen", um den Crash zu verhindern. Solche Hinweise freilich können viele in der Partei auch nicht mehr wirklich beruhigen. Als zu hart wird Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mittlerweile wahrgenommen, als zu widersprüchlich der Bundesinnenminister. Und es gibt eine nicht unerhebliche Zahl derer, die Merkels Politik für falsch - und den anti-europäischen Duktus der CSU trotzdem für einen hochgefährlichen Orientierungsverlust halten. Ihr Grundgefühl, ausgedrückt von einem besonders prominenten Konservativen: "Für die Union ist es scheiße - und für Deutschland ist es eine Katastrophe."
Merkels Vertraute kämpfen gleichwohl um deren politisches Überleben - und sind entsetzt darüber, wie sehr Söder einen internationalen durch einen nationalen Blick eingetauscht hat. "Der agiert strammer als die AfD", schimpft einer aus der Parteispitze. Das schmerzt und wirkt, als seien Brücken unmöglich geworden.
Kommentar:Merkel muss die Vertrauensfrage stellen
Der Streit um die Flüchtlingspolitik tobt seit Herbst 2015. Er hat alle Kompromissversuche überlebt - und er untergräbt die Autorität der Kanzlerin, solange er ungelöst bleibt. Es gibt nur einen Ausweg.
Nicht viel besser fällt das aktuelle Urteil über Horst Seehofer aus. Kopfschüttelnd reagierten viele in der Führung auf die Doppelbotschaft, die er am Sonntag ausstreute. Erst wurde bekannt (und in der CDU geglaubt), dass der Innenminister in einer kleinen CSU-Runde am Donnerstag gesagt habe, mit Merkel könne er nicht mehr kooperieren. Dann äußerte er sich mit dem Satz, niemand habe die Absicht, sie zu stürzen. "Wäre die Lage nicht so bitterernst, dann hätte man drüber schmunzeln können", sagt einer aus der Fraktionsführung. Dabei trifft man am Sonntag niemanden, der diese doppelten Botschaften für Zufall hält. "Aus kleinen CSU-Runden dringt nichts raus, was nicht rausdringen soll", meint ein Christdemokrat, der alle Beteiligten sehr gut kennt.
In der CDU-Spitze hat sich der Eindruck festgesetzt, dass es der CSU wider alle öffentlichen Erklärungen mittlerweile fast nur noch darum geht, die Kanzlerin loszuwerden, notfalls auch mit einem Bruch der Fraktionsgemeinschaft. Und dabei, auch das eine zentrale Lesart, gehe es nicht nur um die Union in Deutschland, sondern um einen neuen deutschen Umgang mit Europa. Ja, so die Furcht unter Berliner Christdemokraten, es gehe um das Ziel, die nationalistische Karte zu spielen. "Kurz, Orbán, auch Trump sind die Vorbilder", heißt es in Führungskreisen. Gemeint sind die aktuellen Regierungschefs in Österreich, Ungarn und den Vereinigten Staaten.
Einen besonderen Eindruck davon muss Volker Bouffier gewonnen haben. Der hessische Ministerpräsident, der zugleich Merkels Stellvertreter in der Partei ist, glaubte vor den Krisengesprächen am vergangenen Mittwoch in Berlin, er solle sich an der Suche nach einem Kompromiss im Grenzstreit beteiligen. Er wurde, wie es nun heißt, eines Besseren belehrt. Die CSU wolle Merkel aus dem Amt drängen, um sich doch noch die Chance auf eine absolute Mehrheit bei der Landtagswahl am 14. Oktober zu sichern, heißt es in der CDU.
So weit hat sich das Gefühl schon festgesetzt, dass manche Christdemokraten in den vergangenen Tagen bei CSU-Oberen nachfragten, was sie denn geplant hätten für den Fall, dass Merkel tatsächlich abtrete. Die Antwort der Bayern - "Das werden wir dann sehen" - hat die Fragenden nur noch bestürzter zurückgelassen.
Auf die Frage, ob die Vernunft noch eine Chance habe, erntet man Schulterzucken
In der CDU-Führung sind deshalb viele fassungslos über dieses Gebaren. Und sind bemüht, auf allen möglichen Kanälen eine weitere Eskalation zu verhindern. "Wir versuchen, zurück auf einen vernünftigen Weg zu kommen", heißt es bei vielen in Präsidium und Vorstand. Fragt man sie, ob die Ratio tatsächlich noch eine Chance habe, erntet man so gut wie immer nur eines: Schulterzucken.
Angesichts dessen ist es kaum überraschend, dass mancher Christdemokrat in seinem Zorn auch auf besonders harsche Gedanken zurückfällt. Dazu zählt, dem großen Ärger geschuldet, die Erwartung, die Bundeskanzlerin könnte die Verhältnisse mit einer Vertrauensfrage klären - ob nun mit einem Sieg oder einer Niederlage. Andere mit zorniger Faust in der Hosentasche haben schon mal geprüft, ob die CDU im Falle eines totalen Bruches noch bei der bayerischen Landtagswahl antreten könnte. Das Ergebnis: Technisch würde es gehen, auch wenn es - mit Merkel'schen Worten aus anderen Zusammenhängen - ein "ambitioniertes Vorhaben" wäre. Laut Landeswahlleiter müssen die Kandidatenlisten bis zum 2. August, 18 Uhr, vorliegen.