Nato-Beitritt Schwedens:Ungarische Kapriolen

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Provokateur: Viktor Orbán hat seinen schwedischen Amtskollegen am Dienstag zu "Verhandlungen" über Schwedens Nato-Beitritt eingeladen. (Foto: Ints Kalnins/Reuters)

Viktor Orbán wollte nicht der letzte sein, der sich Schwedens Nato-Beitritt in den Weg stellt - und war es nach der Türkei dann doch. Nun scheint Ungarns Premier in letzter Sekunde einzulenken. Hatte er sein Blatt überreizt?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Im vergangenen September schrieb der ungarische Außenminister Péter Szijjártó seinem schwedischen Kollegen einen Brief. Er beginnt mit "Dear Minister, dear Tobias", doch nach der amikalen Anrede ging es wenig freundlich weiter. Schweden wolle bekanntlich der Nato beitreten, schrieb der Ungar an Außenminister Tobias Billström, und sei dafür auf die Ratifizierung des Beitritts durch das ungarische Parlament angewiesen. Leider aber hätten schwedische Politiker und schwedische Medien durch eine Reihe von "voreingenommenen, unfairen und unwahren Behauptungen" von sich reden gemacht. Die Vorwürfe aus Stockholm beträfen den Zustand der ungarischen Demokratie und die Fähigkeit des ungarischen Volkes, selbst über seine Zukunft zu entscheiden.

Das Schreiben war eine offene Provokation, die der ungarische Regierungssprecher auch gleich mal genüsslich auf Twitter stellte. Und die Botschaft war klar: Wenn Schweden seine Kritik am Abbau demokratischer Strukturen in Ungarn nicht zurücknehme, dann könne das Land noch sehr lange auf dessen Zustimmung zum Nato-Beitritt warten. Stockholm hatte seinen Aufnahmeantrag kurz nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine gestellt, gemeinsam mit Finnland. Das ist mittlerweile Nato-Mitglied.

Das Parlament schob die entscheidende Abstimmung mehrmals auf

Die Aufnahme war 2023 lange nicht sicher, weil die Türkei und Ungarn die letzten Nato-Mitglieder waren, die den Beitritt verzögerten. Istanbul hatte erst zugestimmt, aber dann nahm Recep Tayyip Erdoğan sein Ja mit Verweis auf antimuslimische Ausschreitungen in Schweden zurück. In Ungarn signalisierte der Premier, man werde nicht das letzte Land sein, das Ja sagt; die nötigen Parlamentsausschüsse stimmten zu - aber das Parlament selbst schob und schob die entscheidende Abstimmung von einem Monat zum nächsten.

Nun aber hat die türkische Nationalversammlung am Dienstagabend den Nato-Beitritt der Schweden ratifiziert. Und Viktor Orbán stand allein da. Seither entwickelt sich ein diplomatischer Krimi, dessen Ende schwer absehbar ist.

Denn als die Zustimmung der Türkei absehbar wurde, stellte der Ungar wiederum eine Nachricht auf Twitter, das mittlerweile X heißt: Er habe den schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson nach Ungarn eingeladen, damit der sich persönlich ein Bild machen und mit ihm, Orbán, über den schwedischen Beitritt verhandeln könne. "Verhandeln" - das ist ein starkes Wort gegenüber einem Land wie Schweden, das alle anderen Ratifizierungen für den Nato-Beitritt vorweisen kann. Und das mit Blick auf die Entwicklung an der ukrainischen Front den Beitritt in die Verteidigungsgemeinschaft nicht nur nach eigenem Empfinden auch bitter nötig hat.

Orbán scheint einzulenken - aber gewiss ist das auch weiterhin nicht

Budapest schickte den Brief dann auch physisch, aber die erneute Provokation, dass Schweden quasi in Ungarn betteln müsse, die blieb bestehen. Am späten Dienstagnachmittag reagierte Stockholm: Außenminister Billström antwortete öffentlich: Er sehe keinen Grund für Verhandlungen, hoffe aber, dass Ungarn den Nato-Beitritt seines Landes baldmöglichst ratifiziere. Immerhin, stellte er noch fest, sei ein Brief besser als eine Ankündigung auf X, der Tonfall sei auch besser als früher, und eine konstruktive Unterhaltung sei immer eine gute Sache.

Es wurde damit aber auch klar: Orbán kann sein Machtspielchen nicht unendlich fortsetzen. Ungarn ist das einzige EU-Land, das Waffenlieferungen und, nach jetzigem Stand, auch jede weitere Finanzhilfe an die Ukraine komplett ablehnt. Orbán, der seit vielen Jahren die Nähe zu Russland und Wladimir Putin sucht, hat sich in der EU ganz klar gegen Kiew positioniert. Und eine Ausweitung der Nato in Skandinavien ist nicht in Putins Sinne. Auch den Beitritt Finnlands hatte Orbán schon verzögert.

Aber hier ging es vermutlich nur bedingt darum, eine Stärkung des Militärbündnisses zu verhindern und den Schutz der Ukraine zu untergraben. Orbán versucht immer wieder mit politischen Vetos, die Freigabe weiterer, wegen des Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn blockierter EU-Gelder durchzusetzen.

Ungarns regierungsnahe Medien sind derzeit ungewöhnlich still

Auch die Türkei hatte ihr Ja an Forderungen geknüpft. Erdoğan forderte von Stockholm ein härteres Vorgehen gegen die kurdische PKK, mehr Waffenexporte in die Türkei - und F-16-Kampfjets aus den USA. Die beiden ersten Forderungen wurden weitgehend erfüllt.

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Ungarns regierungsnahe Medien waren bis zuletzt ungewöhnlich still, was das Thema Schweden und die Nato angeht. Orbán schien sich das weitere Vorgehen offenhalten zu wollen. Regierungssprecher Zoltán Kovács arbeitet sich auf X an der "Massenimmigration" ab und twittert, eher nebenbei, einen Hinweis darauf, dass der ungarische Premier ein Telefonat mit dem neuen britischen Außenminister David Cameron geführt habe. Gegangen sei es um die Wichtigkeit von Schwedens schnellem Beitritt zur Nato, eine sichere Euro-Atlantik-Region und ein stärkeres Verteidigungsbündnis.

Mittwochnachmittag twitterte dann Orbán selbst: Er habe in einem Telefonat nun auch dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versichert, dass er Schwedens Beitritt unterstütze - und das Parlament diesen baldmöglichst ratifizieren werde. Das kann, aber es muss nichts heißen. Denn Orbán betont gern und häufig, das Parlament sei unabhängig. Zugleich hat seine Partei, die Fidesz, eine deutliche Mehrheit. Wenn er gewollt hätte, hätten seine Abgeordneten längst zugestimmt. Und der Premier selbst hat schon häufiger betont, dass er den Beitritt Schwedens im Grundsatz befürwortet. Aber: Eine solche Ankündigung an einem solchen Tag kann auch sehr gut bedeuten, dass Orbán einlenkt. Weil er sein Blatt überreizt hat - und das weiß.

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