Wer seine Geschäfte maschinenmäßig betreibt, der bekommt ein Maschinenherz: Der Satz ist alt, er stammt nicht vom Bundespräsidenten, sondern vom chinesischen Philosophen Zhuangzi. Die Entlassung des Bundesumweltministers Norbert Röttgen bietet die Gelegenheit, das Maschinenherz der deutschen Politik zu besichtigen; es arbeitet effektiv, präzise und gefühlskalt.
Röttgen-Rauswurf:Merkels verlorene Männer
Die Wahl in Nordrhein-Westfalen war für die CDU ein Debakel - jetzt muss Norbert Röttgen dafür seinen Hut nehmen. Doch er ist in prominenter Gesellschaft: Er ist bereits der siebte Minister, der in den vergangenen zweieinhalb Jahren der einstigen Wunsch-Koalition ausgetauscht wird.
Röttgen hatte eine Wahl verloren und womöglich auch seine Autorität als Minister; er wurde ausgewechselt. Angela Merkel hat das getan, um nicht in Kürze bei der Bundestagswahl selbst ausgewechselt zu werden. Solch mechanistisches Handeln hat wenig mit dem christlichen Menschenbild zu tun, von dem Angela Merkel an Sonntagen gern spricht, aber viel mit einem sehr funktionalen Verständnis von Macht. Eine Regierung, diese schwarz-gelbe Regierung schon gar nicht, ist keine Maiandacht; sie ist ein Machterhaltungsmechanismus. Zu diesem Zweck hat Merkel nun ein angeblich abgenutztes Teil ersetzt. Das klingt herzlos, gefühllos und rücksichtslos; und das ist es auch. Aber so ist Politik.
Röttgen selbst hat genau so gehandelt, als er sich in Nordrhein-Westfalen den Vorsitz der CDU erkämpfte, um so seine Macht zu mehren; in seinem Fall freilich war das der Anfang vom Ende. Am Ende rächte es sich, dass er sich auf seinem Weg keine Freunde gemacht hat. Röttgen war respektiert, aber isoliert. Hätte Röttgen sich nicht so rücksichtslos gegenüber seinen Weggefährten an die Spitze des großen Landesverbandes NRW gedrängt - dann wäre er noch Minister in Berlin.
Er wäre nicht in die Verlegenheit gekommen, Spitzenkandidat im NRW-Wahlkampf sein zu müssen, er hätte Zeit gehabt, sich intensiver um die Energiewende zu kümmern. Er hat die furchtbarste Niederlage in der Geschichte der Landes-CDU zu verantworten. Nicht alles daran ist seine Schuld, aber vieles. Röttgen war wie Buridans Esel: Der konnte sich nicht zwischen zwei Heuhaufen entscheiden und ist deswegen verhungert. So ist es Röttgen mit Berlin und Düsseldorf ergangen. Manchmal hilft eben ein Maschinenherz nicht weiter.
Nun folgt Peter Altmaier. Der neue Umweltminister ist nicht smart und blitzgescheit, wie Norbert Röttgen es war und die jungen Herren von der FDP es sein wollen. Altmaier ist nur blitzgescheit; aber er ist leutselig; er hat noch kein Maschinenherz: Er ist einer, der gut über die Menschen denkt und redet, auch über den politischen Gegner. Seine Güte wird der Unionsfraktion, deren brillanter Geschäftsführer er war, jetzt fehlen.
Bundesumweltminister entlassen:Röttgens Ausstieg
Jahrelang galt Norbert Röttgen als "Muttis Klügster", als potentieller Nachfolger der Kanzlerin. Doch das war vor der NRW-Wahl. Danach ist alles anders: Demnächst gibt es einen neuen CDU-Chef in Düsseldorf - und Peter Altmaier wird Bundesumweltminister.
Er hat nicht viel Zeit, um sich als Umweltminister zu bewähren; wenn die bisher vertrödelte Energiewende überhaupt noch gut hinzukriegen ist, dann mit einem wie ihm, der für die Politik lebt und twittert. Die Lobbys der Industrie werden sich schwertun, ihn wegzuschieben. Manche nennen ihn den Buddha von Berlin; das meinen sie mitnichten kritisch, sondern eher bewundernd, weil Altmaier auch in Turbulenzen ganz ruhig bleibt.
Merkels "letztes Aufgebot" heißt es über ihn; aber er ist das beste Aufgebot. Altmaier ist ein Vertrauter der Kanzlerin; er ist nun der wahre Vizekanzler, er hat Gewicht: Äußerlich, mit seiner Körperfülle, wird er Helmut Kohl immer ähnlicher, politisch trennen die beiden Welten - Altmaier ist im bestem Sinn ein Liberaler; er hat Kohl und Koch, nicht nur in der Ausländerpolitik, oft widersprochen. Nur in der Europa-Politik ist er ein Kohlianer, ein Europäer durch und durch. Insgeheim wird er auch Europaminister sein; und zwar einer, der weiß, dass Europa nicht nur Nutzgemeinschaft für die Banken, sondern auch Schutzgemeinschaft für die Menschen sein muss.
Ministerwechsel sind per se kein Indiz für Krise und Absturz. Die erste rot-grüne Regierung Schröder hat acht Minister unter zum Teil dramatischeren Umständen (Lafontaine, Scharping) auswechseln müssen als die schwarz-gelbe Regierung Merkel die ihren - und ist dann doch wieder gewählt worden. Die Krise für Merkel lauert anderswo: Schwarz-Gelb hat in den Umfragen keine Mehrheit mehr, nirgendwo, nicht im Bund, nicht in den Bundesländern außer in Bayern.
Weil mit den Liberalen (ein Lindner macht noch keine FDP) nicht unbedingt zu rechnen ist und die CDU andere Koalitionsoptionen nicht hat, ist sie in Zukunft strukturell regierungsunfähig. Das ist die Krise. Altmaier gehört zwar zu denen, die schon vor Jahren Schwarz-Grün für eine Option gehalten haben; aber Zeit und Zeichen sind nicht danach. Und darauf, dass sich die SPD selbstmörderisch noch einmal in eine große Koalition wirft, kann die CDU nicht vertrauen.
Die Union muss also damit rechnen, dass sie in eineinhalb Jahren von einem halblinken Bündnis, wie immer es ausschaut, abgelöst wird - es sei denn, sie schafft es wieder, sich auf gut 40 Prozent hochzurappeln. Dazu müsste sie ins halblinke Wählerlager einbrechen. Mit stockkonservativer Familienpolitik (Betreuungsgeld) und menschenfeindlicher Wirtschaftspolitik (Zögern beim Mindestlohn) schafft sie das nicht.
Und so könnte für Schwarz-Gelb gelten: "Gestern noch auf stolzen Rossen, heute durch die Brust geschossen". Das stammt von Wilhelm Hauff, Reiterlied, 1825. Heute wird nicht mehr geschossen; heute wird abgewählt und entlassen.