Krieg in der Ukraine:"Nacht des Terrors"

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Eine Frau mit Kind vor dem von einer Rakete getroffenen Wohnhaus in Uman, etwa 200 Kilometer südlich von Kiew. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

Russland beschießt die Ukraine in der Nacht erneut mit Raketen. Der Angriff richtet sich vor allem gegen Zivilisten - und zeigt, wie wichtig eine funktionierende Flugabwehr für das Land ist.

Von Nicolas Freund

21 Menschen sind tot, soweit man bisher weiß. Mindestens 23 weitere sollen verletzt worden sein. Unter den Toten ist laut ukrainischen Angaben auch ein zwei Jahre altes Kind.

In der Nacht auf Freitag hat die russische Armee ihre Raketenangriffe auf die Ukraine wieder aufgenommen. Ziele waren unter andere die Hauptstadt Kiew, sowie die Städte Dnipro und Uman. In Uman ist ein Wohnhaus getroffen worden, allein dort sollen zehn Menschen getötet worden sein, möglicherweise sind noch mehr unter den Trümmern begraben, denn große Teile des Gebäudes sind nach dem Einschlag zusammengestürzt. Ein Video, das in sozialen Netzwerken kursiert, soll eine der Wohnungen in dem Haus nach der Detonation zeigen: Weinend filmt eine Frau darin die zerstörten Schlafzimmer, alles ist voller Splitter, der Flur blutverschmiert.

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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sprach von einer "Nacht des Terrors", gezielt seien Zivilisten angegriffen worden, schrieb er bei Telegram. Es war der schwerste Beschuss mit Raketen seit mehr als einem Monat. Zuletzt hatten die russischen Streitkräfte versucht, vor allem mit sogenannten Kamikaze-Drohnen, die wie Raketen beim Aufprall explodieren, die ukrainischer Infrastruktur zu zerstören. Nicht nur, weil solche Drohnen billiger sind als Raketen, sondern auch, weil sich die russischen Arsenale vermutlich langsam leeren. Ganz scheinen den russischen Streitkräften die Raketen aber nicht ausgegangen zu sein. Und vermutlich wird längst Nachschub produziert.

Bergungsarbeiten in den Trümmern des Hauses in Uman. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

Laut der ukrainischen Armee sollen in der Nacht auf Freitag 21 der 23 gestarteten Raketen abgefangen worden sein, elf davon alleine in der Nähe von Kiew. Auch zwei Drohnen seien abgeschossen worden. Das ist ein Erfolg, zeigt aber auch, dass der Angriff leicht noch viel mehr Opfer hätte fordern können. Denn obwohl die russische Armee anscheinend keine Wellen mit mehr als hundert Raketen und Drohnen starten kann, wie es in der Vergangenheit mehrmals der Fall war, sind solche Angriffe, wie die Schäden zeigen, dennoch verheerend - selbst wenn die Flugabwehr einen Großteil der Geschosse abfängt.

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Die Russen lenken ihre Raketen nun auf weniger gut verteidigte Ziele

Schon am Tag zuvor war die Stadt Mykolajiw vom Schwarzen Meer aus mit Kalibr-Raketen beschossen worden. Laut dem Kommandostab der ukrainischen Armee für den Süden des Landes würden diese Raketen inzwischen so eingesetzt, dass "Geländemerkmale" und Flugbahnänderungen eine Erkennung erschweren. Die russischen Truppen passen sich also an die Flugabwehr an. Oft werden auch zum Beispiel billige Drohnen vorgeschickt, um die Stellungen der Flugabwehr zu lokalisieren und die nachfolgenden Raketen dann auf weniger gut verteidigte Ziele schicken zu können. Möglicherweise war das bei der Stadt Uman der Fall.

Selbst ohne solche neuen Maßnahmen der russischen Armee steht die ukrainische Flugabwehr vor großen Schwierigkeiten. Denn die Munition für alle Systeme ist knapp und der Nachschub, soweit bekannt, noch immer nicht gesichert. Der Schaden, den nur zwei Raketen angerichtet haben, zeigt, wie groß die Bedrohung ist. Zumal sich die russische Angriffsstrategie anscheinend geändert hat. Längst werden nicht mehr nur militärische Ziele beschossen. Nachdem es den Winter über der russischen Armee nicht gelungen ist, die Energieinfrastruktur der Ukraine zum totalen Zusammenbruch zu bringen, scheint sie nun direkt die Zivilbevölkerung anzugreifen. Anders ist der Einschlag einer Raketen in einem Wohnhaus, wie er in diesem Krieg schon öfter geschah, kaum zu erklären.

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