Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat in den vergangenen Tagen nichts unversucht gelassen, mehr Unterstützung der Italiener für den Abwehrkampf seines Landes gegen den russischen Aggressor zu gewinnen. In einem großen Interview mit drei führenden italienischen Zeitungen warb er am Montag noch einmal um die drittgrößte Volkswirtschaft Europas: "Die Italiener lassen uns nicht im Stich" - ein solches Zitat als Überschrift sitzt. Dabei konzentriert sich Selenskij namentlich auf die römische Regierungschefin persönlich. "Wir haben Giorgia Meloni gerade in Brüssel getroffen, und ich freue mich auf sie. Ich weiß, dass sie bald kommt."
Bei der Auslandsreise des ukrainischen Präsidenten nach London, Paris und Brüssel stand die italienische Premierministerin im Reigen der wichtigen Europäer noch in der zweiten Reihe. Wohl auch deshalb will sie keinen Zweifel an ihrer außenpolitischen Zuverlässigkeit aufkommen lassen. Sie werde noch vor dem Jahrestag des 24. Februar nach Kiew reisen, hat sie seit langem streuen lassen. Zeit genug hat sie sich gelassen, jetzt drängt es. Entsprechend knapp sind ihre Termine jetzt bemessen. Am Montag Nachmittag war sie zunächst in Warschau und hatte wohl gehofft, dort spontan US-Präsident Joe Biden treffen zu können; aber spontane Treffen mit US-Präsidenten sind nicht so einfach, wenn man nicht Wolodimir Selenskij heißt. Biden war zuvor in Kiew gewesen, diese Station steht jetzt endlich auf Melonis Programm.
Zuvor hatte sie mit der polnischen Führung harte Positionen zur Migrationspolitik geteilt. Beide stellten die bisherige europäische Flüchtlingspolitik in Frage: "Brüssel muss sich um das Problem kümmern", sagte Mateusz Morawiecki, und Meloni setzte noch einen drauf: "Wir können nicht länger zulassen, dass Menschenhändlerbanden die Auswahl der ankommenden Menschen treffen, wir dürfen Migration und Flüchtlinge nicht verwechseln."
An ihrer Solidarität mit der Ukraine ließ sie keinen Zweifel, auch wenn sie damit als Parteivorsitzende der größten Regierungspartei Fratelli d'Italia innenpolitisch eine schwierige Gratwanderung zu absolvieren hat. Nicht nur ihre beiden Bündnispartner in der Rechtsregierung, Matteo Salvini von der Lega und Silvio Berlusconi von Forza Italia, sind deutlich Moskau-freundlicher eingestellt, auch in der italienischen Bevölkerung gibt es viel Sympathie für Russland und Vorbehalte gegenüber der Ukraine.
Für Berlusconi stünde eine Kiste Wodka bereit
Selenskij weiß das alles und setzt sein Wissen auffallend direkt ein. "Giorgia ist eine starke Frau", sagt er, "die die Regierung zusammenhalten kann." Und Berlusconi? "Er mag Wodka, wir haben hervorragende Qualität in der Ukraine, ich kann ihm eine Kiste schicken, wenn ihn das auf unsere Seite zieht": Damit spielt Selenskij auf frühere Gastgeschenke von Kreml-Führer Putin an den Italiener an.
So ungefähr sieht das Meloni auch. Salvini und Berlusconi können reden, entscheiden tut sie. Gerade brachte sie ein Dekret auf den Weg, wonach die italienische Regierung die Ukraine bis mindestens Ende 2023 mit Waffen beliefern kann, ohne beim Parlament für jede einzelne Maßnahme um Zustimmung werben zu müssen. Das setzt die Politik fort, auf die ihr Vorgänger Draghi das Land festgelegt hat.
Auch unter Draghi allerdings hatte die Regierung das Prinzip, nicht öffentlich über Waffenlieferungen zu reden. So hatten es anfangs auch andere europäische Länder gehalten, ihre Position aber längst aufgeweicht. Für Italien gilt eigentlich immer noch das Prinzip der Geheimhaltung. Experten gehen aber davon aus, dass Italien der Ukraine bisher Waffen im Wert von 300 bis 500 Millionen Euro geliefert hat, darunter einige schwere Artilleriegeschütze, Stinger-Raketen und leicht gepanzerte Truppentransporter.
So richtig überzeugend war das aber nicht, und zuletzt hatte es verstärkt Kritik gegeben, wonach Italien zwar humanitäre Hilfe leiste, aber kaum noch Waffen bereitstelle - auch weil das italienische Militär nicht im besten Zustand ist. Außenminister Antonio Tajani immerhin - übrigens von Berlusconis Partei Forza Italia - erklärte kürzlich in einem Interview, dass die bislang fünf beschlossenen Hilfspakete von Rom für Kiew einen Umfang von rund einer Milliarde Euro gehabt hätten. Und vor wenigen Tagen setzte er noch eins drauf und kündigte offiziell an, dass Italien das gemeinsam mit Frankreich entwickelte sehr effektive Flugabwehrsystem Samp/T zur Verfügung stellen wollen, nannte aber keinen Zeitplan. Italien hat davon fünf Einheiten im Einsatz.
Premier Meloni wird darüber in Kiew reden und wohl einiges ankündigen, sie denkt aber schon weiter: Sie will beim Rennen um den Wiederaufbau nach dem Krieg dabei sein. Dass die USA dabei die wichtigste Rolle spielen werden, steht für sie außer Frage. Aber das wirtschaftsstärkere Frankreich ist ein Wettbewerber, mit dem die Italiener konkurrieren wollen. Das von Emmanuel Macron organisierte Abendessen im Elysée-Palast mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem ukrainischen Präsidenten wurde in Italien als Demütigung gewertet. Mit einer internationalen Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine, ausgerichtet von Italien, könnte Meloni diplomatischen Boden gutmachen.