Ankara:Türkisches Parlament hebt Immunität von Abgeordneten auf

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (Foto: dpa)
  • Über eine Verfassungsänderung wird es nun möglich, in der Türkei Abgeordnete strafrechtlich zu verfolgen.
  • Die Entscheidung trifft vor allem die Fraktionsmitglieder der prokurdischen Partei HDP.
  • Vor der Abstimmung kam es im Parlament zu Tumulten.
  • Angela Merkel will mit Erdogan am Montag persönlich über die Immunitäts-Aufhebung sprechen.

Das türkische Parlament hat mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten gestimmt. Für den Vorstoß der islamisch-konservativen AKP stimmten in Ankara 373 der 550 Parlamentarier, wie das Parlamentsfernsehen berichtet.

Die Aufhebung der Immunität geschieht über eine befristete Verfassungsänderung. Konkret stimmten die 373 Abgeordneten dafür, einen Satz aus Artikel 83 für jene 138 Mitglieder der Nationalversammlung auszusetzen, denen Straftaten vorgeworfen werden. Der Satz besagt: "Ein Abgeordneter, der vor oder nach der Wahl eine Straftat begangen haben soll, darf nicht festgenommen, verhört, verhaftet oder vor Gericht gestellt werden, wenn die Versammlung nicht anderweitig entscheidet."

Was die Entscheidung konkret bedeutet

Die Entscheidung trifft vor allem die prokurdische Oppositionspartei HDP. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirft deren Abgeordneten vor, Sprachrohr der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Nach der Parlamentsentscheidung könnten 50 der 59 Abgeordneten voraussichtlich ihre Immunität verlieren. Ihnen drohen Anklagen - unter anderem wegen Terrorunterstützung.

Die HDP wirft Erdoğan vor, er wolle sie aus dem Parlament drängen, um das von ihm angestrebte Präsidialsystem einzuführen. Weit her geholt ist der Vorwurf nicht: Bei einer Verurteilung verlieren HDP-Politiker nicht nur ihr Mandat. Die Partei verliert auch gleich den Sitz. Wenn mindestens fünf Prozent der Sitze frei werden, das wäre bereits bei 28 Abgeordneten der Fall, müsste in den Wahlbezirken nachgewählt werden. Sollte die AKP 13 Sitze bei Nachwahlen hinzugewinnen, könnte sie die notwendige 60-Prozent-Mehrheit erreichen, um ein Verfassungsreferendum zur Einführung eines Präsidialsystems abhalten zu können (mehr dazu hier).

Eklat vor der Abstimmung

Die Aufhebung der Immunität betrifft auch andere Parteien. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu gehören 27 zur islamisch-konservativen AKP (317 Sitze), 51 zur Mitte-links-Partei CHP (133 Sitze) und neun zur ultrarechten MHP (40 Sitze). Außerdem soll der einzigen parteilosen Abgeordneten die Immunität entzogen werden. Den Parlamentariern werden jedoch vergleichsweise milde Delikte vorgeworfen, unter anderem Amtsmissbrauch.

Vor der Abstimmung war es im Plenum zu einem Eklat gekommen. Parlamentarier der größten Oppositionspartei CHP verließen während der Debatte am Freitagvormittag unter Protest vorübergehend den Saal, wie der Sender CNN Türk berichtete. Sie skandierten: "Die Türkei ist laizistisch und wird laizistisch bleiben."

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Auf dem Papier wird der designierte Premier und AKP-Chef Binali Yıldırım mächtige Posten bekleiden. In Wirklichkeit soll er die eigene Entmachtung vorantreiben.

Von Luisa Seeling

Merkel will mit Erdogan persönlich reden

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will mit Erdogan persönlich über die umstrittene Immunitäts-Aufhebung für türkische Abgeordnete sprechen. Dies werde zu den Themen gehören, welche die Kanzlerin bei einem Treffen mit Erdogan am Montag in Istanbul ansprechen werde, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Das Gespräch soll demnach am Rande des UN-Gipfels für humanitäre Hilfe in Istanbul stattfinden. Seibert sprach angesichts der umstrittenen Parlamentsentscheidung in Ankara von einer "zunehmenden innenpolitischen Polarisierung" in der Türkei, welche die Bundesregierung "mit Sorge" sehe.

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