Treibhausgase:CO₂-Ausstoß in Deutschland so niedrig wie in den 1950er-Jahren

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Deutschland hat im vergangenen Jahr nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende so wenig Treibhausgase produziert wie zuletzt in den 1950er Jahren. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Was in den Berechnungen der Experten der Denkfabrik Agora Energiewende vielversprechend klingt, ist allerdings kein dauerhafter Erfolg für den Klimaschutz.

Auf dem Papier klingt das Fazit perfekt: Deutschland hat im vergangenen Jahr so wenig Treibhausgase produziert wie seit sieben Jahrzehnten nicht mehr. Nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende ist der CO₂-Ausstoß im Vergleich zu 2022 um 73 Millionen Tonnen auf 673 Millionen Tonnen gesunken. So niedrig war er zuletzt in den 1950er-Jahren.

Die Studie wird an diesem Donnerstag in Berlin vorgestellt. Simon Müller, der Deutschland-Direktor von Agora Energiewende, hebt zwei aus seiner Sicht bemerkenswerte Zahlen heraus. Gemessen am Jahr 1990 sei der CO₂-Ausstoß im Jahr 2023 ganze 46 Prozent niedriger. Außerdem sei der Sprung von 2022 auf 2023 besonders groß. Für die Zeit vor der Wiedervereinigung haben die Autoren Daten zum Ausstoß an Treibhausgasen aus der Bundesrepublik und der DDR zusammengerechnet.

Trotz der auf den ersten Blick guten Zahlen: Einen dauerhaften Erfolg für den Klimaschutz stellt das Jahr 2023 nach Analyse der Fachleute nicht dar. Denn: Nur 15 Prozent des Rückgangs führen die Studienautoren auf dauerhafte Einsparungen zurück, die sich zum Beispiel aus dem Ausbau erneuerbarer Energien, einer effizienteren Nutzung von Energie und dem Umstieg auf klimafreundlichere Brennstoffe ergeben.

Hauptgrund für die bessere Klimabilanz ist laut Agora, dass im vergangenen Jahr weniger Strom aus dem klimaschädlichen Verbrennen von Kohle gewonnen wurde. In diesem Bereich fielen 177 Millionen Tonnen sogenannte CO₂-Äquivalente an, ein Minus von 46 Millionen Tonnen. Im Vergleich zu 1990 hat sich der Ausstoß damit mehr als halbiert. CO₂- oder Kohlendioxid-Äquivalente sind eine Maßeinheit, um die Wirkung sämtlicher Triebhausgase vergleichen zu können.

Ein weiterer dämpfender Effekt auf den Treibhausgas-Ausstoß ergibt sich aus einem eigentlich volkswirtschaftlich nicht wünschenswerten Fakt: der Schwäche der deutschen Industrie, insbesondere in energieintensiven Branchen. "Der krisenbedingte Produktionseinbruch schwächt den Industriestandort Deutschland. Wenn in der Folge Emissionen lediglich ins Ausland verlagert werden, ist auch für das Klima nichts gewonnen", sagte Müller.

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Von Christian Sebald

Die EU hat sich bis 2030 Ziele zur Minderung von Treibhausgasen gesetzt. Betroffen sind Bereiche, die nicht Teil des europäischen Emissionshandels sind, also Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall sowie Teile des Industriesektors. Die beiden kritischen Bereiche beim Erreichen der Klimaziele sind laut Agora der Gebäudesektor und der Verkehr. Die Experten gehen davon aus, dass der Gebäudesektor zum vierten Mal hintereinander sein Klimaziel nicht geschafft hat. Die Emissionen hier sanken den Berechnungen zufolge nur um drei Millionen auf 109 Millionen Tonnen CO₂. Dieser Rückgang sei zudem allein auf den geringeren Heizbedarf wegen der vergleichsweise milden Witterung zurückzuführen. Der Gebäudesektor liegt acht Millionen Tonnen über dem nötigen Pfad zur Erreichung des Ziels für 2030.

Der Verkehrssektor hat zum dritten Mal hintereinander das im Klimaschutzgesetz festgelegte Ziel verfehlt. Hier sind die Emissionen laut Agora ebenfalls um drei Millionen auf 145 Millionen Tonnen CO₂ gegenüber dem Vorjahr gesunken. Sie liegen damit immer noch zwölf Millionen Tonnen über dem aktuellen Zielpfad. Ein Hauptgrund: Der Anteil von Elektroautos an den Neuzulassungen stagnierte.

"Wenn Deutschland beim Klimaschutz in Gebäuden und Verkehr nicht vorankommt, drohen uns Kosten in Milliardenhöhe", warnte Müller. Die Bundesregierung müsste im Falle des Nichterreichens der Ziele bis 2030 von anderen EU-Ländern Rechte zum Ausstoß von Treibhausgasen kaufen oder ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission mit möglichen Strafzahlungen riskieren.

Solarkraft boomt, Windräder produzieren mehr als Kohlekraftwerke

Positive Entwicklungen sehen die Studienautoren beim Ausbau der Solarkraft. Sie habe 2023 einen Höchstwert erreicht. 14,4 Gigawatt an Leistung kamen neu hinzu, 6,2 Gigawatt mehr als im bisherigen Spitzenjahr 2012. Obwohl es weniger Sonnenstunden gab als im Vorjahr, stieg die erzeugte Strommenge. Die Bundesregierung strebt bis zum Jahr 2030 eine installierte Leistung von 215 Gigawatt bei Photovoltaik an, für 2023 geht Agora von knapp 82 Gigawatt aus. Als erfreulich wertet Agora die Tatsache, dass viele neue Anlagen selbst dann gebaut werden, wenn es keine staatliche Förderung gibt. "Wir sind in diesem Bereich auf Kurs für die Klimaziele 2030", sagte Müller.

Windräder produzierten der Studie zufolge im Jahr 2023 dank günstigen Wetters und eines leichten Zubaus insgesamt 138 Terawattstunden Strom. Der Zuwachs an Erzeugungskapazität fiel mit einem Plus von 2,9 Gigawatt bei Wind an Land aber viel zu gering aus, um das Ziel der Bundesregierung einer installierten Leistung von rund 115 Gigawatt bis 2030 zu schaffen. "Das liegt auch an im Vergleich zur Solarkraft deutlich komplizierteren Genehmigungsverfahren", sagte Müller fest. Allerdings sei die Zahl der Genehmigungen für Windräder an Land deutlich gestiegen.

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