Bildungspolitik:Abschied des Klassenbesten

Lesezeit: 3 min

Ties Rabe (SPD) sagt, er habe oft "gegen den pädagogischen Mainstream" gearbeitet. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

13 Jahre lang war Ties Rabe Hamburgs Schulsenator, nun ist er zurückgetreten. Den Verlust wird man in ganz Deutschland spüren.

Von Kathrin Müller-Lancé und Ulrike Nimz, Hamburg/München

Besser werden - davon versteht Ties Rabe etwas. Seit seinem zwölften Lebensjahr spielt Hamburgs scheidender Schulsenator Klavier, übte Achtel und Triolen, mit rechts, mit links. So ausdauernd, dass ein Handwerker, der seinerzeit im Elternhaus arbeitete, dieses einmal mit den Worten verließ: "Na, Geduld hat der Junge ja!"

Die Anekdote hat Rabe der Bergedorfer Zeitung erzählt. Dort, in Hamburgs Südosten, ist er aufgewachsen, dort hat er als Journalist, später als Gymnasiallehrer gearbeitet. Die glücklichste Zeit seines Lebens hat er das mal genannt. Seine erfolgreichste begann 2011, als der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz das Bildungsressort nach gewonnener Bürgerschaftswahl nicht der renommierten Schulpolitikerin Britta Ernst anvertrauen konnte, weil die auch seine Frau war. Also bekam Rabe den Anruf, seit 1992 Sozialdemokrat, später Geschäftsführer des Landesverbandes. Er zögerte nicht, blieb 13 Jahre lang Hamburgs Schulsenator, was ihn zum dienstältesten Kultusminister machte. Nun ist Ties Rabe aus gesundheitlichen Gründen überraschend zurückgetreten. Den Verlust wird man in ganz Deutschland spüren.

Die Zahlen sprachen nicht nur zu ihm, sondern bald auch für ihn

Dabei ist die Schulwelt keine, in der man ohne Weiteres brillieren kann. Schon gar nicht in Hamburg, wo viele Kinder aus schwierigen Verhältnissen kommen. Lange war der Stadtstaat Paradebeispiel für alles, was schiefläuft in der deutschen Bildungspolitik. Auch Ties Rabe hatte anfangs keinen leichten Stand, galt als Verkörperung der Krise, als kritikresistenter Technokrat Scholz'scher Prägung. Die Zeit verpasste ihm wegen seiner Vorliebe für Statistiken den Spitznamen "Gra f Zahl".

Aber die Zahlen sprachen nicht nur zu ihm, sondern bald auch für ihn. In Hamburg gibt es heute mehr Abiturienten, weniger Schulabbrecher, mehr junge Menschen meistern den Übergang ins Berufsleben. Die Ganztagsbetreuung wurde ausgebaut, Hunderte Lehrer eingestellt. Klassen wurden verkleinert, neue Schulen gebaut. Rabe führte die Vorschulpflicht für Kinder ab fünf Jahren ein, die in Deutschtests besonders schlecht abschneiden. Längst fordern Bildungsexperten ein solches Vorgehen bundesweit.

Er habe oft "gegen den pädagogischen Mainstream" gearbeitet, sagt Rabe, zum Beispiel, als er die Bedeutung des Diktats betonte und sich dafür Sätze anhören durfte wie: "Diktat kommt von Diktatur." In Vergleichstests stehen Hamburger Schüler inzwischen fast so gut da wie die in Bayern und Sachsen. Rabes Nachfolgerin Ksenija Bekeris ist ebenfalls Sozialdemokratin, stellvertretende Landesvorsitzende ihrer Partei und Berufsschullehrerin. Sie habe, so hat sie es selbst formuliert, "große Fußstapfen zu füllen".

Der Kultusministerkonferenz fehlen jetzt gleich zwei wichtige Männer

Lücken hinterlässt Rabe auch anderswo: Neun Jahre lang vertrat er als Koordinator der sogenannten A-Länder die SPD-geführten Bundesländer in der Kultusministerkonferenz (KMK) - und brachte damit Erfahrung und Kontinuität in das Gremium, das die Bildungspolitik maßgeblich prägt, oft aber durch Zankerei und langwierige Entscheidungsprozesse von sich reden macht.

Gerade ringt die KMK mit dem Bund um das Startchancenprogramm, mit dem Schulen in sozial schwieriger Umgebung gefördert werden sollen. In der kleinen Gruppe aus vier Ländern, die mit dem Bundesministerium vorverhandelt hat, saß auch Hamburg. Spätestens Anfang Februar soll es eigentlich eine Einigung geben. Wobei noch immer nicht sicher ist, ob der Bund gleichzeitig - wie von den Ländern gefordert - den Digitalpakt, mit dem Schulen digital aufgerüstet werden sollen, verlängern wird.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Rabes Rücktritt trifft die KMK also zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Zumal gerade bekannt wurde, dass der bisherige hessische Kultusminister und Koordinator der CDU-geführten B-Länder, Alexander Lorz, ins Finanzministerium wechseln wird. Macht gleich zwei wichtige Männer weniger. Wie am Dienstag bekannt wurde, wird die rheinland-pfälzische Kultusministerin Stefanie Hubig (SPD) als Koordinatorin der A-Länder auf Rabe folgen. Für die Nachfolge von Lorz als Koordinator der B-Länder kursiert der Name von Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU), offiziell bestätigt ist er nicht.

In seiner Zeit als Hamburgs Schulsenator hat Ties Rabe vier Pisa-Studien erlebt und nach eigener Aussage mehr als 100 Reformen. Er hat eine Excel-Tabelle dazu geführt, natürlich. Wenn es ums Fördern und Fordern ging, war Rabe immer Team Fordern, das galt auch für ihn selbst. Die gesundheitlichen Probleme, die "ältere Männer in Führungspositionen" treffen, hätten zuletzt so sehr zugenommen, "dass meine Kräfte für meine Amtsführung nicht mehr ausreichen", sagte Rabe am Dienstag bei einer letzten Pressekonferenz im Hamburger Rathaus. Nein, lebensbedrohlich sei glücklicherweise nichts davon, aber so weit muss man es ja auch nicht kommen lassen. Ties Rabe hat jetzt wieder mehr Zeit, Klavier zu üben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusDigitalisierung in Schulen
:Was kann Deutschland von Schwedens Schulen lernen?

Das skandinavische Land hat seine Klassen schon vor Jahren mit digitalen Medien ausgestattet. Wegen Warnungen von Wissenschaftlern und schlechter Pisa-Ergebnisse rudert die Regierung jetzt zurück.

Von Alex Rühle und Lilith Volkert

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: