Timing ist alles. Wer zu einem heiklen Zeitpunkt die Leitung einer Organisation übernimmt, der kann dort auch in kurzen Phasen mehr Spuren hinterlassen als einer, der in ruhigen Zeiten lange amtiert. Der neue Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, ist zwar nur als Interimschef ins Amt gehoben worden an diesem Montag. Innenminister Horst Seehofer (CSU) schenkte dem Mann, der seit 2013 bereits einer von zwei Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz war, lediglich sein halbes Vertrauen. Er wird vielleicht nur ein Mann für kurze Zeit sein. Eine Dauerlösung möchte Seehofer sich noch vorbehalten, er wolle dem Kabinett zu einem späteren Zeitpunkt einen Vorschlag präsentieren, kündigte er an. Aber Haldenwang kommt in einem Moment, da eine Weichenstellung ansteht.
Soll der Verfassungsschutz die AfD beobachten? Sollen die Sicherheitsbehörden also die Partei, die inzwischen im Bundestag und jedem der 16 deutschen Länderparlamente sitzt, als extremistisch brandmarken, mit Geheimdienstmitteln belauschen und unterwandern? Diese Entscheidung muss in den kommenden Wochen getroffen werden. Es gibt einen Zeitplan dafür, viele Bundesländer drängeln bereits, das Bundesamt für Verfassungsschutz muss sich positionieren. Und das bedeutet: Haldenwang, 58 Jahre alt, der Karrierebeamte, der so konziliant auftritt, mit leicht wippenden Schultern und mit rheinischer Verschmitztheit, hat ein paar Entscheidungen zu treffen, die noch lange nachwirken werden. Auch wenn er selbst vielleicht nicht lange bleibt.
Er steht für klare politische Haltungen; es sind im Wesentlichen jene Maaßens. Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags wurde es neulich laut. Das Land diskutierte da gerade intensiv über rassistische Gewalttaten in Chemnitz und anderswo. Aber Haldenwang, der als Stellvertreter des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen in das geheim tagende Gremium gekommen war, wollte viel lieber über Linksextremismus reden. Haldenwang hatte einen ausführlichen Bericht zum Hambacher Forst mitgebracht, zu den linken Demonstranten dort. Als die Parlamentarier ihr Befremden darüber ausdrückten, wie laut der Verfassungsschutz hier Alarm rufe, während der Geheimdienstchef Maaßen zur gleichen Zeit die rechte Gewalt in Chemnitz anscheinend kleinrede, da wurde Haldenwang angeblich leise. Im Stil hebt er sich jedenfalls ab von Maaßen. Und im Geheimdienst soll er Maaßen intern damals auch deutlich gesagt haben, wie wenig er von dessen öffentlichen Provokationen halte. Große Auftritte in der Bild-Zeitung, Lästereien gegen die Kanzlerin: Das widerstrebt Haldenwangs Verständnis davon, wie ein Beamter sich zu verhalten hat.
Haldenwang ist in der CDU, und er steht dazu
Unter Maaßens Vorgänger Heinz Fromm (SPD) war der in Wuppertal geborene Jurist zum Verfassungsschutz gekommen, unter Maaßen war er dort bis in die Chefetage befördert worden. Er hat seinen Vorgesetzten auf Auslandsreisen vertreten. Er hat auch immer mal wieder das sogenannte operative Geschäft geleitet in den vergangenen Jahren, hat also im Alltag die Geheimdienstabläufe gesteuert, was sonst vor allem das Vorrecht des anderen Maaßen-Vizes war, Ernst Stehl. Anders als Maaßen, der seltsamerweise stets bestritten hatte, CDU-Mitglied zu sein, und sich erst im September vor dem Innenausschuss des Bundestages überraschend als Parteibuchinhaber outete, macht Haldenwang kein Bohei darum. Haldenwang ist in der CDU, und er steht dazu.
Menschlich ist Haldenwang ein Gegenentwurf zu seinem Vorgänger Hans-Georg Maaßen. Unkompliziert, uneitel, so beschreiben ihn Menschen, die mit ihm gearbeitet haben - und manches Kompliment für den neuen Chef trägt merklich eine kleine Spitze gegen den alten in sich. Maaßen hatte sich mit den Bundesländern angelegt, Maaßen wollte die Kontrolle über deren 16 Landesämter für Verfassungsschutz haben. Haldenwang nun bekommt aus einem wichtigen Land das Lob, er habe "stets deutlich gemacht, dass er die Anliegen der Länder ernst nimmt und nicht einfach darüber hinwegsegelt". Seine politischen Meinungen behält Haldenwang wesentlich stärker für sich, als dies Maaßen getan hat, was freilich nicht schwierig ist. Aber selbst aus der Opposition kommt Anerkennung: Haldenwang "ist ein sachlicher Beamter, der das Amt nicht als Basis für eigene politische Profilierung missversteht", sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Geheimdienstkontrolleur Konstantin von Notz.
In Sachen AfD hat sich Haldenwang bisher bedeckt gehalten. Intern zumindest soll er sich aber bereits offener gezeigt haben als sein bisheriger Chef Maaßen - offener also dafür, den Schritt in Richtung einer Beobachtung der Partei zu gehen. Maaßen war da ausgesprochen zurückhaltend gewesen.