Südostasien:Thailands Super Tuesday und der Verrat der progressiven Kräfte

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Die Pheu-Thai-Partei, obwohl im Parlament nur die Nummer zwei, stellt den Regierungschef: Premier Srettha Thavisin. (Foto: Athit Perawongmetha/Reuters)

Ein alter und ein neuer Premierminister machen in Bangkok von sich reden. Über einen Tag, der all jene zutiefst frustriert, die das Land voranbringen wollen.

Von Arne Perras

Auch Thailand hat nun seinen "Super Tuesday" erlebt, wie Medien des Landes den 22. August schon im Vorfeld titulierten. Allerdings ging es in Südostasien nicht um Vorwahlen wie in der US-Politik. Vielmehr rückte das Schicksal zweier Premierminister auf spektakuläre Weise in den Blick: Da war zum einen die Rückkehr von Ex-Regierungschef Thaksin Shinawatra nach Thailand. Der 74-jährige Milliardär legte am Morgen auf dem Airport Don Mueang eine denkwürdige Landung hin. 15 Jahre hatte er im Exil verbracht, die meisten davon in Dubai. Nun kehrte er in seine Heimat zurück und ließ die Thailänder staunen: Da war er, wirklich, und verneigte sich erst einmal vor einem Bild des Königs - bevor er ins Gefängnis musste, um eine alte Haftstrafe zu verbüßen.

Der andere Mann, Immobilienunternehmer Srettha Thavisin, trat nur wenige Stunden später im thailändischen Parlament an, um sich zum Premier küren zu lassen. Dass beide Ereignisse auf ein- und denselben Tag fielen, war mitnichten Zufall. Aber was hatte es zu bedeuten?

Viele Thailänder sind entsetzt von dem Macht-Deal

Sretthas Partei Pheu Thai (sinngemäß: Partei für Thais) gelang es am Nachmittag, die nötige Unterstützung im Senat für ihren Kandidaten zu sichern. Senatoren in Thailand sind nicht gewählt, sondern werden ernannt. De facto stehen sie unter dem Einfluss der Armee, der Schutzmacht der Monarchie. Ohne Rückhalt im Senat wird niemand Premier. Srettha hat das nun geschafft, er brachte genügend Senatoren auf seine Seite, sodass er regieren kann.

Damit endet ein dreimonatiges politisches Vakuum nach den Wahlen - aber zu welchem Preis? Pheu Thai ist nur zweitstärkste Kraft im Parlament, die Wahl im Mai hatte die progressive Fortschrittspartei (Move Forward Party) mit dem populären Reformer Pita Limjaroenrat gewonnen. Ihn zum Premier zu machen wusste der militärnahe Senat jedoch zu verhindern.

Srettha hat keine politische Erfahrung, verspricht aber, die sozialen Gegensätze abzubauen. Ob er seine wirtschaftliche Kompetenz dafür einbringen kann, ist offen. Schon vor der Wahl setzten ihm Korruptionsvorwürfe zu, seine schwerste Hypothek ist allerdings eine andere: Er habe sich mit den konservativen Parteien des Militärs "ins Bett gelegt", hieß es in einem Kommentar der Online-Zeitung Khaosod. Viele Thailänder, besonders jene, die das politische System reformiert sehen wollen, sind entsetzt darüber, dass nun wieder Anti-Demokraten bestimmen, wer Thailand führt.

Ein Verrat am Wählerwillen?

Die Regierung Srettha ist abhängig vom Rückhalt des Establishments, und das heißt auch: Eine Reform des Gesetzes zur Majestätsbeleidigung wird es vorerst nicht geben. Pheu Thai hatte das eigentlich angestrebt, aber dann die Allianz mit der Fortschrittspartei verlassen, um mit Hilfe der Konservativen an die Macht zu gelangen. Das sehen viele Thais, auch und gerade Anhänger von Pheu Thai, als Verrat an ihrem Wählerwillen an.

Welche Rolle die Rückkehr Thaksins in dieser Gemengelage spielt? Auch er ist ein Politiker der Pheu Thai, hatte 1998 deren Vorvorgängerpartei gegründet. Es ist offenkundig, dass der Ex-Premier und sein reicher Clan ihre politischen Ambitionen nicht aufgegeben haben. Und jetzt, da die Pheu Thai den Regierungschef stellt, könnte Thaksin darauf hoffen, dass der König ihn schon bald begnadigt. Womöglich wird sich seine Haftzeit von acht Jahren deutlich verkürzen.

Um eben dieser Gefängnisstrafe zu entgehen, hatte Thaksin sich einst abgesetzt. 2001 zum Ministerpräsidenten gewählt, wurde er 2006 vom Militär durch einen Putsch gestürzt. Allen in Thailand ist klar, dass seine Verfolgung durch die Justiz eine politische Dimension hatte, unabhängig davon, wie gut sich die Korruptionsvorwürfe gegen ihn belegen ließen.

Seine Rückkehr könnte Thaksin viele Vorteile bringen

Thaksin hatte mehrfach seine Rückkehr aus dem Exil angekündigt, aber immer wieder hinausgezögert. Er sagt, er vermisse seine Familie sehr, wolle Zeit mit den Enkeln verbringen. Aber natürlich geht es in diesem politischen Drama nicht allein um die Emotionen eines älteren Herrn, der sich einsam fühlt. Thaksins Rückkehr ist ein starkes Signal - wenn auch für viele nicht eindeutig zu lesen. Erhofft er sich, leichter beim König Gnade zu finden, wenn seine Partei nun artig zusammen mit den konservativen Kräften regiert? Oder hat er doch andere Pläne? Ist dies ein erster Schritt, um den Clan der Shinawatras zurück an die Macht zu bringen? Und wie stehen die Generäle und deren Verbündete, die ihn einst aus dem Land jagten, heute zu ihm? Transparenz ist in Thailand ein knappes Gut, das nährt Spekulationen und Unsicherheit.

Die konservativen Kräfte mögen diesen Tag als Etappensieg verbuchen. Aber sie haben nicht vergessen, wie der Konflikt mit Thaksin einst eskalierte: Das Militär, das sich als Schutzmacht der Monarchie und des ultra-konservativen Establishments betrachtet, misstraute Thaksin und dessen Kräften zunehmend. Ein Konflikt zwischen der demokratischen Bewegung, die darauf setzt, dass der Wählerwille zählt, und den Zirkeln einer alten Elite, die Pfründe und Einfluss retten wollen. Thailand ist dieses Gezerre, das mit Thaksins Entmachtung einen Höhepunkt erreichte, nie mehr losgeworden.

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Auch wegen dieser fortgesetzten politischen Lähmung hat Thailand viele ungelöste Probleme, die soziale Kluft wächst. Ökonomisch bleibt das Land weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Besonders heikel aber ist die Frage, welche Rolle die Monarchie in Zukunft noch spielen soll. Pheu Thai mit Srettha als neuem Premier hat erst einmal versprochen, das drakonische Gesetz zur Majestätsbeleidigung und den entsprechenden Strafrechtsparagrafen nicht anzutasten. Aber hat Srettha auch die Kraft, das paradoxe Bündnis mit den Konservativen zusammenzuhalten? Viele sind skeptisch, die Unzufriedenheit ist auf breiter Front spürbar. Die progressive Bewegung beschränkt sich nicht auf die Jugend, sie geht durch alle Altersschichten.

Thaksins Rückkehr, so sieht es aus, symbolisiert bis auf Weiteres ein zynisch anmutendes Geschäft: Die Kräfte um Militär und Monarchie legen die Regierungsarbeit in die Hände der Pheu Thai, die im Gegenzug das monarchische System nicht antasten. Wird der Ex-Premier begnadigt, wäre er ein Gewinner dieses fragwürdigen Deals, der Thailands Demokraten zutiefst frustriert.

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