"Taurus"-Gespräch:Pistorius verzichtet nach Abhöraffäre vorerst auf personelle Konsequenzen

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Verteidigungsminister Boris Pistorius bezog am Sonntag bei einer Pressekonferenz zu dem Vorfall Stellung. (Foto: Michele Tantussi/Getty Images)

Erst müssten die Hintergründe des Vorfalls untersucht werden, so der Verteidigungsminister. Russland hatte zuvor ein mitgeschnittenes Gespräch ranghoher deutscher Offiziere veröffentlicht.

Wegen der Abhöraffäre bei der Bundeswehr zieht Verteidigungsminister Boris Pistorius zunächst keine personellen Konsequenzen. In den kommenden Tagen erwarte er Aufschlüsse über die Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) über die genauen Hintergründe des Vorfalls, sagte der SPD-Politiker am Sonntag in Berlin. Es sei zu prüfen, ob etwa gegen IT-Sicherheitsbestimmungen verstoßen worden sei. Erst dann könne man über Konsequenzen entscheiden, auch in Personalfragen.

Die Abhöraffäre sieht Pistorius als Teil eines "Informationskrieges", den der russische Präsident Wladimir Putin führe. "Es handelt sich um einen hybriden Angriff zur Desinformation - es geht um Spaltung, es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben", sagte er. "Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen." Deshalb müsse man besonnen reagieren, "aber nicht weniger entschlossen". Es sei jetzt wichtig, aus dem Vorfall zu lernen und alles Nötige zu tun, um weitere Spionage zu verhindern.

Union unterstellt Kanzler Scholz "Falschbehauptungen"

Die Union kritisiert wegen des Vorfalls Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Sie liest aus dem veröffentlichten Mitschnitt heraus, dass bei einer Lieferung eine Beteiligung deutscher Soldaten technisch nicht zwingend erforderlich sei. "Die Berichte sind in doppelter Hinsicht befremdlich", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Spiegel, "zum einen, dass sicherheitsrelevante Gespräche offensichtlich von den Russen mitgehört werden, zum anderen, dass der Bundeskanzler seine Ablehnung von Taurus-Lieferungen möglicherweise mit einer Falschdarstellung begründet". Der Bundeskanzler müsse sich dafür vor dem Bundestag erklären. "Bei dieser Sachlage kann ein Untersuchungsausschuss nicht ausgeschlossen werden."

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Ähnlich argumentierte CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter: Es müsse "geklärt werden, warum der Bundeskanzler mit Falschbehauptungen in die Öffentlichkeit geht, wo er sagt, dass deutsche Bundeswehr-Beteiligung vor Ort nötig sei", so Kiesewetter im ZDF. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen konstatierte im Berliner Tagesspiegel einen schweren Schaden für Scholz persönlich: Es stelle sich die Frage, "warum der russische Geheimdienst und vielleicht sogar eine höhere Stelle durch die Veröffentlichung des Gesprächs den Bundeskanzler gerade jetzt so massiv beschädigt".

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rief die Union in der Debatte zur Mäßigung auf. "Untersuchungsausschüsse zu fordern, ist das gute Recht der Opposition. Gleichwohl sollte man erst einmal die Ermittlungen und Erläuterungen der Staatsanwaltschaft, der Bundeswehr und der Dienste abwarten."

Das russische Staatsfernsehen hatte am Freitag den Mitschnitt einer vertraulichen Telefonkonferenz hochrangiger Bundeswehroffiziere im Internet veröffentlicht. Darin ist zu hören, wie Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz mit drei Untergebenen über einen möglichen Einsatz deutscher Taurus-Marschflugkörper in der Ukraine gegen die russischen Angreifer spricht. Damit solle eine Unterrichtung von Pistorius vorbereitet werden, heißt es in der Aufnahme. Sie erörterten darin Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte.

Die Offiziere hielten in der Telefonkonferenz fest, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre - und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie möglich wäre, aber Monate dauern würde. Parallel zu der Veröffentlichung erhob Russland schwere Vorwürfe gegen Deutschland. Scholz hatte am Samstag von einer "sehr ernsten Angelegenheit" gesprochen und eine rasche Aufklärung angekündigt.

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Wie Russland an den Mitschnitt gelangte, wird nun vom Militärischen Abschirmdienst untersucht. Die Offiziere haben Berichten zufolge über die Kommunikationsanwendung Webex miteinander gesprochen - "ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel", wie eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums sagte.

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