Bedürftigkeit:Tafeln im Ausnahmezustand

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Brotausgabe in der Ausgabestelle Paul-Schneider-Haus der Berliner Tafel. Mehr als 90 Prozent der Tafelkunden stammen inzwischen aus der Ukraine. (Foto: Carsten Koall/dpa)

Durch den Ukraine-Krieg brauchen viel mehr Menschen kostenlose Lebensmittel - doch die Händler spenden deutlich weniger.

Bei den mehr als 960 Tafeln in Deutschland herrscht nach eigenen Angaben weiterhin der Ausnahmezustand. Jede fünfte Tafel hat seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine mehr als doppelt so viele Kunden wie davor. Und mehr als 90 Prozent der Tafelkunden stammen demnach aus der Ukraine. Es gibt aber auch immer mehr Kunden aus dem Mittelstand, die durch Corona ihren Job verloren haben, in Kurzarbeit sind oder ihre Selbstständigkeit aufgeben mussten. Das teilte der Bundesverband Tafel Deutschland am Donnerstag anlässlich des Bundestafeltreffens in Mannheim mit. Das Treffen dauert von Donnerstag bis Samstag.

Für die steigende Zahl von Kunden stehe eine sinkende Menge an Waren zur Verfügung: Die Lebensmittelspenden seien jüngst um rund 76 Prozent zurückgegangen. Gründe dafür seien eine bessere Kalkulation der Lebensmittelhändler, Aktionsangebote wie "Rettertüten" in den Geschäften sowie ein gestiegenes Bewusstsein, keine Lebensmittel zu verschwenden.

18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich im Müll

Nach Auskunft des Handelsverbandes Lebensmittel spenden Firmen 74 000 Tonnen Lebensmittel im Jahr an Tafeln. Das ist aber eher ein Tropfen auf den heißen Stein: Laut Dachverband der Tafeln landen 18 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich im Müll, zur Hälfte noch genießbar. Bei Supermärkten sei das Spendenaufkommen rückläufig, da bei diesen bewusster gegen Überschüsse vorgegangen wird.

Die einzelnen Tafeln reagierten auf die Herausforderungen teilweise mit reduzierten Abgabemengen, teilweise mit Aufnahmestopps für Neukunden, so eine aktuelle Umfrage des Verbands, an der sich 513 Tafeln beteiligten. Die Arbeit in den Tafelläden belaste die Helferinnen und Helfer zunehmend psychisch und körperlich. Zugleich seien durch die Inflation auch die Betriebskosten für die Träger gestiegen.

Um die Arbeit der Tafeln sicherzustellen, fordert der Verband eine staatliche Unterstützung zur Grundsicherung seiner Arbeit. "Die Tafeln sind ein Seismograf für gesellschaftliche Veränderungen", sagte Sabine Werth, die vor 30 Jahren in Berlin die erste Tafel Deutschlands gründete und seitdem dort den Vorsitz der Tafel innehat. Aktuell arbeiten nach Angaben des Bundesverbandes rund 60 000 Helferinnen und Helfer bei den Tafeln, mehrheitlich ehrenamtlich. Sie versorgen nach eigener Darstellung bundesweit rund zwei Millionen Menschen.

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