Proteste:"Das syrische Volk hat alles verloren"

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Seit Anfang August demonstrieren die Menschen in Syrien wieder gegen das Assad-Regime, wie hier am Wochenende in Suwaida. (Foto: Uncredited/Suwayda24/AP/dpa)

In Teilen Syriens ziehen die Menschen wieder auf die Straße, um gegen das Regime von Baschar al-Assad zu demonstrieren. Doch es gibt auch Initiativen, die einen Ausweg bieten möchten.

Von Sina-Maria Schweikle, Berlin

Poster des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad werden zerstört, Demonstranten fordern in diesen Tagen das Ende des Regimes: Die Bilder der vergangenen Tage aus Syriens Süden erinnern an das Jahr 2011. Damals zogen große Teile des syrischen Volkes auf die Straßen, um gegen Assad und für ein freies Syrien zu demonstrieren; das Regime reagierte mit Gewalt und stürzte das Land in einen Bürgerkrieg. Zwölf Jahre später greift die Korruption um sich und die Wirtschaftslage ist desolat. 90 Prozent der syrischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.

Seit Anfang August demonstrieren die Menschen in Suwaida. Da hatte die Regierung entschieden, die Subventionen für Gas und Benzin zu streichen. Mittlerweile fordern die Menschen mehr als wirtschaftliche Lösungen: Die Umsetzung der UN-Resolution 2254 etwa, die einen Waffenstillstand und eine politische Transformation für Syrien vorsieht.

Plakat mit einer Karikatur des syrischen Machthabers Baschar al-Assad Ende August in Suwaida, "Hau ab, Verräter deines Eids" steht darüber. (Foto: Suwayda24/AP)

Eine Studentin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, ist unter ihnen. Sie sagt der SZ, das Leben im Land sei aufgrund der "Brutalität des syrischen Regimes und dessen Unwillen, die Macht abzugeben" sehr schwierig geworden. Nicht nur in Suwaida rumort es, auch aus anderen Regionen hört man von Protesten. Aus Daraa etwa, der benachbarten Provinzhauptstadt. Und auch in der Küstenregion in den Städten Tartus und Latakia, den alawitisch geprägten Hochburgen des Regimes.

Russland und Iran werden Assad nicht fallen lassen

"Sie träumen davon, dass das Regime fällt", sagt der Syrienexperte Fabrice Balanche der SZ. Doch das werde nicht geschehen. Zwar sei Assad inzwischen ein machtloser Führer ohne finanzielle Mittel, aber er wird gestützt von Russland und Iran und die, sagt Balanche, "werden Assad-Syrien nicht fallen lassen". Die Regierung steht vor einer politischen Pattsituation: Lässt Assad die Proteste gewähren, könnte er riskieren, dass sie sich in die von ihm kontrollierten Gebiete ausweiten. Reagiert er gewaltsam, könnte er seine Normalisierungspolitik gefährden.

Im Mai hatte die Arabische Liga entschieden, Assad wieder zurück auf das politische Parkett und aus der internationalen Isolation zu holen. Vor allem Saudi-Arabien hatte sich erhofft, dass Assad mehr unternimmt, um den Handel mit der Droge Captagon zu unterbinden. Das hochgradig süchtig machende Aufputschmittel schwemmt den illegalen Markt in der Region. Doch Assad ist mittlerweile auf die Einkünfte aus dem Drogenhandel angewiesen.

Seit Jahren befindet sich Syrien in einem politischen Stillstand: Die Genfer Friedensgespräche zwischen Vertretern des syrischen Präsidenten und der Opposition im Ausland unter dem Dach der Vereinten Nationen stehen still. Von den europäischen Staaten und dem Westen wird der Machthaber weiter gemieden. Syrien ist fragmentiert; das Regime kontrolliert wieder zwei Drittel des Landes. Eine politische Lösung für den eingefrorenen Konflikt ist nicht in Sicht.

Es gibt Bewegungen, die nach einem Ausweg aus der eingefahrenen Situation suchen

Bei all den Unruhen gibt es aber auch Bewegungen, die nach einem Ausweg aus der eingefahrenen Situation suchen. "Das syrische Regime ist bislang nicht gefallen - das ist die politische Realität", sagt der in Berlin lebende Verfassungsrechtler Naseef Naeem. Er gehört dem "Rat der syrischen Charta" an. Dieser trifft sich regelmäßig an geheim gehaltenen Orten in Europa. In Berlin darf die SZ exklusiv daran teilnehmen. Der Initiative gehören Syrer aus der Diaspora, aber auch Persönlichkeiten aus den vom Regime kontrollierten Gebieten an.

Manche sind mit einflussreichen Mitgliedern des Machtapparates verwandt und haben sich nie direkt gegen die Regierung erhoben. Gemeinsam haben sie einen Elf-Punkte-Plan entworfen, den die Gruppe Ende 2018 unterzeichnete. Es sei ein "Gesellschaftsvertrag für alle Syrer", sagt Naeem, der die Gespräche der Gruppe moderiert. Was daraus nach Damaskus getragen wird, kann niemand sagen. Doch die Initiative ist sich darüber im Klaren: Ganz unbeobachtet finden ihre Aktivitäten nicht statt. Direkte Gespräche mit Assad gebe es nicht. Über familiäre und informelle Verbindungen soll ihre Charta den Weg in die syrische Politik finden.

Der Rat hat einen Elf-Punkte-Plan erarbeitet

Safi Alaedin lebt in Deutschland und ist Teil der Initiative. Er stammt aus Suwaida. "Das Schlimme ist, dass die Menschen dort keine Hoffnung mehr haben." Seine Heimatprovinz, in der überwiegend Menschen mit drusischem Glauben leben, blieb in den Händen der Regierung und wurde weitgehend von Gewalt verschont. Nach Medienberichten ist die drusische Führung mit Blick auf die Proteste gespalten. Einige Scheichs kritisieren die Forderungen der Demonstranten nach einem Rücktritt Assads und erklärten, eine Verbesserung der Lage müsse durch Dialog erreicht werden.

Eine Grundlage für einen solchen könnte der Elf-Punkte-Plan des Rates bieten. So sollen Geflohene das Recht haben, in ihre Heimat zurückzukehren und für ihre Verluste entschädigt werden. Auch soll die Konfession kein politisches Machtinstrument mehr sein. Außerdem will man sich laut Naseef Naeem auf diese Erkenntnis einigen: "Niemand hat bei diesem Krieg gewonnen. Das syrische Volk hat alles verloren." Zwar besitzt die Initiative keine Macht qua Amt, doch die Initiative wird aus Europa gefördert. Führende Nahost-Experten unterstützen die Arbeit und auch die Bundesregierung begrüßt Initiativen wie diese.

Aus dem Auswärtigen Amt war zu hören, dass man "die politische Zielsetzung der Initiative, eine innersyrische Plattform zum Austausch der verschiedenen Akteure zu bieten, die langfristig einen Beitrag zu einer politischen Lösung leisten kann", unterstütze. Deutschland sei davon überzeugt, dass es einen "tragfähigen Frieden nur durch einen innersyrischen politischen Prozess geben kann", wie er in der UN-Resolution 2254 vorgezeichnet sei.

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Am letzten Tag der Konferenz lässt sich erahnen, wie interessant die Gruppe für einen Dialog mit dem Westen zu sein scheint. Gleich mehrere mit Syrien beauftragte Diplomaten finden sich bei dem Treffen ein. Zwei Stunden lang reden sie, was besprochen wird, dringt nicht nach außen. Die Hoffnung ist jedenfalls: Wenn die internationale Gemeinschaft keine politischen Lösungen für ein Syrien unter Assad hat, könnten zivilgesellschaftliche Bestrebungen wie diese vielleicht einen Gesprächsfaden mit der syrischen Gesellschaft bilden.

Doch nicht alle sind davon überzeugt. Denn die Zivilgesellschaft, von der die Initiative redet, sei laut Syrienexperte Fabrice Balanche extrem geschwächt und existiere quasi nicht mehr. "Das Land ist voller militanten Gruppierungen, die von Iran und Russland unterstützt werden: Sie regieren die Zivilgesellschaft." Es gebe viele Menschen in Syrien, die gegen das Regime seien - auch in Assads Hochburgen. Doch dort erinnere man sich an die Repressalien des Präsidenten. Davor fürchtet sich auch die Studentin aus Suwaida. Trotzdem protestiert sie weiter. Ähnlich wie die Gruppe in Berlin träumt auch sie von der Einheit des syrischen Volkes.

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