Nordsyrien:"Akt der Grausamkeit": Moskau blockiert Hilfen für Idlib

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Hilfsgüterlager am Grenzübergang Bab al-Hawa, über den bis Dienstag 85 Prozent der Lieferungen für Idlib gelangten. (Foto: Omar Haj Kadour/AFP)

Russland legt im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen Hilfsgüter für die nordsyrische Rebellenprovinz Idlib ein - und stellt Bedingungen im Sinne von Diktator Assad. Die USA sind entrüstet.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Der Botschafter spricht von einer "Show". So nennt Wassili Nebensja, russischer Vertreter bei den Vereinten Nationen, die humanitäre Hilfe für die nordsyrische Provinz Idlib. Im UN-Sicherheitsheitsrat in New York hebt Nebensja am Montag seine Hand, legt im Namen Russlands sein Veto ein - und blockiert damit weitere Hilfen für über vier Millionen Syrerinnen und Syrer.

Idlib ist die letzte syrische Provinz, die weder vom Assad-Regime kontrolliert wird noch von den kurdisch dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF). Nach Idlib flohen im Lauf des Krieges, also über ein Jahrzehnt hinweg, all jene, die sich dem Diktator Bashar Al-Assad in anderen Teilen des Landes entgegengestellt hatten - viele verschiedene Rebellengruppen, dazu die Zivilisten, die in den Gebieten der Rebellen lebten und Assads Rache fürchten.

Das syrische Regime betrachtet die Rebellen als Terroristen

Aus dem ländlichen Gebiet an der türkischen Grenze wurde so das Exil aller syrischen Widerstandskämpfer. Etwa drei Viertel der Menschen in Idlib sind Binnenvertriebene. Das Sagen hat dort vor allem die Islamistenmiliz HTS, unterstützt von der Türkei. Die Miliz beschützt Idlib mit ihrer Truppenpräsenz vor weiteren Angriffen Assads. Die Lage vor Ort ist seit Jahren schwierig, das Erdbeben im Februar hat sie verschlimmert. Dazu kommen weiterhin Angriffe Assads und der russischen Luftwaffe. Vor wenigen Tagen tötete ein russischer Luftangriff neun Zivilisten auf einem Markt.

Hilfe aus dem Ausland kam von 2014 an vor allem über den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab Al-Hawa. Dort hatten Hilfsorganisationen Zugang nach Idlib, das regelte ein UN-Mandat. Assad und seine russischen Verbündeten störte das schon lange, denn die Hilfsgüter gelangten auf syrisches Gebiet, ohne mit dem Regime in Berührung zu kommen. Assad erhebt auf die Region noch immer Anspruch, aus seiner Sicht legitimierten die Lieferungen die Rebellen, in seinen Worten: die Terroristen.

Die UN-Botschafterin der USA nennt Russland einen "Rüpel auf dem Spielplatz"

Das Wort benutzt am Montag in der Sitzung des UN-Sicherheitsheitsrats auch der russische Botschafter Nebensja. Nachdem Russland sich einer Verlängerung des UN-Mandats um zwölf Monate verweigert hatte, steht in New York zwar nur noch ein Kompromiss von neun Monaten in Rede. Aber auch das blockiert Russland, mit dem Veto, das ihm im Sicherheitsrat zusteht. Stattdessen bringt es eine eigene Resolution über nur noch sechs Monate ein, der zufolge die Hilfen vor dem Winter auslaufen würden.

Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield sagt nach der Sitzung, Russland benehme sich wie ein "Rüpel auf dem Spielplatz". Laut New York Times hat die russische Delegation hinter geschlossenen Türen eine Bedingung gestellt: Man könne sich eine Zustimmung nur vorstellen, wenn die Resolution eine Aussage zu den Sanktionen gegen das Assad-Regime enthält. Gemeint ist: Hilfen für Idlib nur, wenn Syrien bei den Sanktionen entlastet wird.

Linda Thomas-Greenfield sagt, man könne sich nicht guten Gewissens einem Text fügen, den Russland dem Rat habe "aufzwingen" wollen. Sie wirft Moskau nach der Abstimmung einen "Akt der Grausamkeit" vor. Sofía Sprechmann Sineiro von Care International warnt, dass "essentielle Güter innerhalb von Wochen knapp werden" könnten, auch Wasser und Nahrungsmittel. 90 Prozent der Menschen in Idlib seien auf Hilfe angewiesen.

Assad etabliert sich international gerade wieder

Noch sind zwei andere Grenzübergänge nach Idlib geöffnet, wozu Assad allerdings nur der Erdbeben im Februar wegen seine Zustimmung gab. Durch die Beben sollen in Idlib rund 100 000 Menschen obdachlos geworden sein. 85 Prozent der Hilfslieferungen kamen aber über Bab Al-Hawa, wegen des russischen Vetos geht dort seit Dienstag nichts mehr. Die beiden anderen Übergänge müssen Mitte August schließen.

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Sollte es bis dahin zu keiner Einigung kommen, wäre den Vereinten Nationen jeder Weg von der Türkei aus ins Rebellengebiet verwehrt. Nur die Türkei selbst könnte dann die Region dann noch mit Gütern versorgen - ohne Mandat und gegen den Willen Russlands und Assads. Den UN bliebe allenfalls die Möglichkeit, mit Assad zu kooperieren und Hilfskonvois über Damaskus nach Idlib zu schicken. Dem Diktator würde das gefallen, er ist gerade dabei, sich nach Jahren der Isolation wieder international zu etablieren. Im Westen will man das unbedingt vermeiden.

Das Leben der Menschen in Idlib, die seit Jahren mit dem Krieg leben, mit Vertreibung und Luftangriffen, dürfte so oder so noch härter werden.

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