Syrien:7 Fakten zum syrischen Bürgerkrieg

Was Sie wissen sollten - fünf Jahre nach dem Beginn des syrischen Bürgerkrieg das Wichtigste zu seinen Ursachen und Folgen kurz erklärt.

Von Markus C. Schulte von Drach

1. Opfer des Krieges: Tote und Flüchtlinge in Zahlen

1 / 8
(Foto: SZ.de)

Die Zahl der Toten im syrischen Bürgerkrieg wurde zuletzt 2015 von den UN auf mehr als 250 000 geschätzt. Das Syrian Center for Policy Research (SCPR) in Damaskus geht inzwischen von 470 000 Todesopfern aus und schätzt die Zahl der Verletzten auf 1,9 Millionen. Als Flüchtlinge vom UNHCR registriert wurden bislang mehr als 4 815 360 Personen. Mehr als eine Million sind in den Libanon geflüchtet, 639 000 nach Jordanien. In der Türkei hat das UNHCR mehr als 2,7 Millionen Flüchtlinge registriert. Dazu kommen 6,6 Millionen Menschen, die innerhalb von Syrien ihre Heimat verlassen haben. Insgesamt sind demnach mehr als zehn Millionen Syrer auf der Flucht - fast die Hälfte der Bevölkerung. Insgesamt benötigen 13,5 Millionen Syrier humanitäre Hilfe innerhalb und außerhalb Syriens, darunter sechs Millionen Kinder. In Europa haben bis Dezember 2015 fast 900 000 Syrer Asyl beantragt. (Allerdings können die Zahlen auch mehrfach gestellte Anträge beinhalten.) In Deutschland, wo 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge angekommen sind, haben laut UNHCR knapp 220 000 Syrer offiziell Asyl beantragt. Weiterblättern zu: 2. Vom Arabischen Frühling zum syrischen Bürgerkrieg 3. Deshalb kontrollieren Alawiten die Regierung 4. Wer beherrscht welche Gebiete? 5. Deshalb unterstützt ausgerechnet Russland das Assad-Regime 6. So könnte die Zukunft Syriens aussehen 7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert? 8. Auch gut zu wissen

2. Vom Arabischen Frühling zum syrischen Bürgerkrieg

2 / 8
(Foto: AFP)

Begonnen hat alles mit den Demonstrationen Anfang 2011. Es sind vor allem junge Aktivisten, die im Internet zu Protesten aufrufen. Sie fordern freie Wahlen, Medienfreiheit, ein Ende der Korruption und des Ausnahmezustandes. Als sie für den 4. Februar einen "Tag des Zorns" ausrufen, hat der "Arabische Frühling" in Tunesien bereits Präsident Ben Ali aus dem Land getrieben, in Ägypten steht Mubaraks Sturz kurz bevor, in Libyen gibt es erste Proteste gegen Gaddafi, der den folgenden Aufstand nicht überleben wird. Dem syrischen Regime gelingt es anfänglich, die Proteste zu unterdrücken. Die Gewalt der Sicherheitskräfte, die Menschen verhaften und töten, provoziert jedoch immer größere Demonstrationen (Bild: im April 2011 blockieren Frauen eine Autobahn im Nordwesten des Landes und verlangen die Freilassung inhaftierter Angehöriger), immer mehr Regimegegner bewaffnen sich. Der Ruf nach Demokratie weicht dem nach einem Ende der Vormacht der Alawiten und somit von Präsident Baschar al-Assad. Bald kämpfen auch desertierte Soldaten und Islamisten gegen Polizei und Armee. Ab 2013 erobern Terroristen des sogenannten Islamischen Staates große Teile des Landes. Aus den unbewaffneten Protesten ist ein Bürgerkrieg geworden. Weiterblättern zu: 3. Deshalb kontrollieren Alawiten die Regierung 4. Wer beherrscht welche Gebiete? 5. Deshalb unterstützt ausgerechnet Russland das Assad-Regime 6. So könnte die Zukunft Syriens aussehen 7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert? 8. Auch gut zu wissen

3. Deshalb kontrollieren Alawiten die Regierung

3 / 8
(Foto: LOUAI BESHARA/AFP)

1963 kommt die Baath-Partei durch einen Militärputsch an die Macht, eine säkular, sozialistisch und panarabisch orientierte Partei. Getragen wird sie vor allem von Offizieren aus ärmeren Gebieten - darunter viele Alawiten. Für sie spielt Religion kaum eine Rolle. Allerdings wird die sunnitische Elite weitgehend entmachtet. 1970 putscht sich Hafiz al-Assad (Bild unten rechts) an die Macht, ein Alawit, der Angehörige seines Glaubens in wichtige militärische und politische Positionen holt. Die staatliche Kontrolle liegt damit weitgehend in den Händen einer religiösen Minderheit. Die Unterdrückung der Bevölkerung durch das Regime provoziert insbesondere bei den sunnitischen Muslimbrüdern Widerstand. 1982 kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, an deren Ende Regierungstruppen in Hama ein Massaker anrichten - mit vermutlich mehr als 25 000 Toten. Im Jahr 2000 wird Baschar al-Assad (Bild: Bascher al-Assad oben zweiter von links) der Nachfolger seines Vaters. Er führt Reformen durch, allerdings keine, die die Kontrolle des Landes durch den Diktator und seine Anhänger gefährden könnten. Weiterblättern zu: 4. Wer beherrscht welche Gebiete? 5. Deshalb unterstützt ausgerechnet Russland das Assad-Regime 6. So könnte die Zukunft Syriens aussehen 7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert? 8. Auch gut zu wissen

4. Wer beherrscht welche Gebiete?

4 / 8
(Foto: SZ/IHS)

Karten, die zeigen, wer welche Gebiete kontrolliert, sind sehr unübersichtlich. Dabei fassen sie meist nur die größten Gruppen zusammen. Zu den sunnitischen Rebellen auf dieser Karte gehören unterschiedliche Gruppen wie die Freie Syrische Armee, die Islamische Front und die Al-Nusra-Front. Genauer aufgeschlüsselt sind etwa die Karten, die der Niederländer Thomas van Linge veröffentlicht. Würden alle Rebellengruppen berücksichtigt - es gibt mehr als 1000 - gingen bald die Farben für den Flickenteppich aus. Im Westen Syriens befinden sich fruchtbare Regionen und Flüsse, die Städte wie Damaskus, Homs, Hama, Aleppo und Idlib mit Wasser versorgen. Von Norden in Richtung Südosten fließt der Euphrat, an dem weitere wichtige Städte liegen. Südlich davon und im Südosten ist Wüste. Hier gibt es nur Siedlungen um Oasen und entlang der wenigen Hauptstraßen. Auf vielen Karten werden diese einer Gruppe zugeordnet, die kaum besiedelten Regionen dazwischen aber nicht. Deshalb sieht die Fläche, die vom IS kontrolliert wird, mancherorts so zerfasert aus. Weiterblättern zu: 5. Deshalb unterstützt ausgerechnet Russland das Assad-Regime 6. So könnte die Zukunft Syriens aussehen 7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert? 8. Auch gut zu wissen

5. Deshalb hat ausgerechnet Russland das Assad-Regime unterstützt

5 / 8
(Foto: Pavel Golovkin/AP)

Syrien ist schon lange ein wichtiger Partner Russlands. Moskau ist überzeugt, dass ein Sturz des Assad-Regimes schlecht wäre für die Stabilität im Nahen Osten, da es ein wichtiger Machtfaktor ist im Ringen insbesondere zwischen Saudi-Arabien, der Türkei und dem Iran um die Hegemonie in der Region. Außerdem hat Putin grundsätzlich ein Problem damit, dass Aufstände zu einem Regierungswechsel führen könnten. Schließlich gibt es in Russland ebenfalls soziale und soozioökonomische Spannungen; russische Oppositionelle könnten Auftrieb bekommen angesichts erfolgreicher Aufstände andernorts. Außerdem gibt es wirtschaftliche Interessen. In Moskau erinnert man sich gut daran, dass das Ende des Gaddafi-Regimes in Libyen zum Verlust von Ölbohrkonzessionen und Waffengeschäften geführt hat. Russland hat deshalb die Regierungstruppen im Kampf unterstützt. Dass Putin die Truppen jetzt teilweise abziehen will, kann verschiedene Gründe haben. Positiv wird gewertet, dass der Diktator Assad nun unter größeren Druck kommen könnte, mit der Opposition zu verhandeln. (Auf dem Bild: Porträts der Präsidenten von Syrien und Russland, Baschar al-Assad (links) und Wladimir Putin (rechts) auf der Motorhaube eines Autos in Syrien im März 2016.) Weiterblättern zu: 6. So könnte die Zukunft Syriens aussehen 7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert? 8. Auch gut zu wissen

6. So könnte die Zukunft Syriens aussehen

6 / 8
(Foto: dpa)

Die Situation ist extrem verfahren. Die Rebellen werden das Regime nicht stürzen können. Die syrische Armee wird wiederum die von den Aufständischen kontrollierten Gebiete kaum zurückerobern. Die beteiligten ausländischen Mächte verfolgen gegensätzliche Interessen und blockieren sich gegenseitig. Die schlimmsten Befürchtungen: ein Staatsverfall wie in Somalia, die Zersplitterung des Landes in Milizterritorien (Libanonisierung) oder der Zerfall in kleine staatliche Einheiten (Balkanisierung). Die größte Hoffnung besteht in Verhandlungen mit dem Ziel eines umfassenden Kompromisses. Die Regierung müsste die Dominanz von Alawiten und Schiiten beenden, Assad müsste zurücktreten, es müssten freie Wahlen stattfinden. Schwierig dürfte es mit den religiös motivierten Rebellen werden, von denen viele sich einen islamischen Staat wünschen. Da die Gesellschaft in den vergangenen Jahren immer konservativer geworden ist, würden sie selbst nach einer demokratischen Wahl bei der Regierungsbildung wohl eine wichtige Rolle spielen. Denkbar wäre eine "Peacekeeping"-Mission der Vereinten Nationen. Für Blauhelmsoldaten ist allerdings die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates notwendig. Weiterblättern zu: 7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert? 8. Auch gut zu wissen

7. Woher wissen wir, was in Syrien passiert?

7 / 8
(Foto: SZ.de)

Syrien war in den vergangenen Jahren das gefährlichste Land für Journalisten weltweit. 94 Reporter wurden dort getötet. Aufsehen erregten besonders die Enthauptungen von James Foley, Steven Sotloff und Kenji Goto durch den "Islamischen Staat". Die Zahl der Opfer ist dem Committee to Protect Journalists (CPJ) zufolge zurückgegangen - vermutlich auch weil immer weniger Journalisten direkt von den Fronten berichten, sondern sich eher von syrischen Kontaktpersonen informieren lassen. Als weitgehend verlässliche Informationsquelle gilt die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit ihrem Netzwerk aus angeblich mehr als 200 Kontakten. Ihre Angaben müssen allerdings mit Vorbehalt genutzt werden. Wichtig ist auch die Gruppe "Raqqa Is Being Slaughtered Silently". Sie posted direkt aus dem vom "Islamischen Staat" besetzten Gebiet heraus auf Facebook. Zehn ihrer Aktivisten wurden vom IS ermordet. Als Propaganda muss die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Damaskus betrachtet werden, die TV-Sender, Zeitungen, Onlineredaktionen und eine Nachrichtenagentur kontrolliert. Das gleiche gilt für die PR des IS und verschiedener Milizen wie Ahrar al-Scham oder die Freie Syrische Armee. Weiterblättern zu: 8. Auch gut zu wissen

8. Auch gut zu wissen

8 / 8
(Foto: SZ.de)

Durch den Krieg ist die Lebenserwartung extrem gesunken. Die aktuellsten Daten stammen aus einer Untersuchung des Syrian Center for Policy Research (SCPR) in Damaskus. Demnach lag die Lebenserwartung 2010 bei 70,5 Jahren (Schätzungen der Weltbank und der Vereinten Nationen waren höher). Seit 2015 können Neugeborene nur noch mit 55,4 Lebensjahren rechnen, wenn die Sterblichkeit auf dem gegenwärtigen Niveau bleibt. Die gesunkene Lebenserwartung hängt auch mit indirekten Folgen des Krieges zusammen: Das Gesundheitssystem ist schwer beschädigt, nur die Hälfte der Gesundheitszentren funktioniert noch, große Teile des medizinischen Personals sind geflohen, mehr als 700 wurden getötet. In Aleppo etwa versorgten 2014 nur noch zwanzig Ärzte etwa 300 000 Zivilisten. Die meisten Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren, 85 Prozent der Syrer leben inzwischen in Armut, für etwa 35 Prozent ist eine ausreichende Ernährung nicht mehr gewährleistet. Mehr als zwei Millionen Kinder gehen nicht mehr zur Schule, eine von vier Schulen wurde beschädigt, zerstört oder dient inzwischen als Flüchtlingsunterkunft.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: