Symbolische Abstimmungsniederlage:Merkel verfehlt die Kanzlermehrheit

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Der Bundestag hat das milliardenschwere Griechenland-Paket verabschiedet - dank der Stimmen von SPD und Grünen mit breiter Mehrheit. Die symbolträchtige Kanzlermehrheit hat die Regierung jedoch nicht zustande bekommen, zu viele Abgeordnete aus den eigenen Reihen verweigerten den neuen Hilfen für Athen ihre Zustimmung. Die Opposition spricht vom "Beginn der Kanzlerdämmerung".

Robert Roßmann, Berlin

Die Bundesregierung hat zum ersten Mal bei einer Euro-Abstimmung die Kanzlermehrheit verfehlt. Beim Votum über das zweite Griechenland-Hilfspaket billigten nur 304 der 330 Koalitionsabgeordneten die neuen Kredite. 13 Unionsabgeordnete stimmten mit Nein, zwei enthielten sich.

Bei der FDP gab es vier Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Sechs Koalitionsabgeordnete fehlten bei der Abstimmung. Die Kanzlermehrheit lag bei 311 Stimmen. Dank der Unterstützung von SPD und Grünen erhielt das Hilfspaket trotzdem eine große Mehrheit.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte, Kanzlerin Angela Merkel sei damit "politisch gescheitert". Der Bundestag habe "den Beginn der Kanzlerdämmerung" erlebt. Die Koalitionsfraktionen wiesen jedoch darauf hin, dass es sich bei der Kanzlermehrheit nur um eine symbolische Marke handele.

Bei Sachentscheidungen wie dem Hilfspaket würde auch die einfache Mehrheit genügen, diese hätten Union und FDP erreicht. Insgesamt hatten 496 der 591 anwesenden Abgeordneten für das Hilfspaket votiert. Auch bei SPD und Grünen gab es Abweichler vom Ja-Kurs der Fraktionsführungen. Lediglich die Linke stimmte geschlossen mit Nein.

In der Debatte hatte Merkel erklärt, auch mit dem neuen Hilfspaket sei die Schuldenkrise in der Euro-Zone noch nicht ausgestanden. Eine hundertprozentige Garantie für den Erfolg könne niemand geben. Schließlich sei die Krise "die schwerste Bewährungsprobe in der Geschichte der europäischen Einigung".

Schneller Geld für Rettungsschirm ESM

Merkel zeigte Verständnis für die Zweifel vieler Bürger an den Griechenland-Hilfen. Es sei eine durchaus berechtigte Frage, ob es der Euro-Zone ohne Griechenland nicht besser ginge, sagte die Kanzlerin. Die Chancen durch das neue Hilfspaket seien aber weitaus größer als die Risiken, die eine Verweigerung neuer Kredite nach sich zöge.

Niemand könne abschätzen, welche Folgen eine ungeordnete Pleite Griechenlands für Deutschland, Europa und die Welt hätte. "Als Bundeskanzlerin soll und muss ich zuweilen Risiken eingehen", sagte Merkel. Auf Abenteuer dürfe sie sich jedoch nicht einlassen. Das verbiete ihr der Amtseid. Deshalb befürworte sie das neue Hilfspaket.

Griechenland soll bis zu 130 Milliarden Euro an neuen Krediten aus dem Rettungsschirm EFSF erhalten, der genaue deutsche Anteil steht noch nicht fest. Hinzu kommen 24,4 Milliarden Euro aus dem ersten Hilfspaket vom Mai 2010, die bisher nicht genutzt wurden.

Merkel kündigte in der Bundestagsdebatte überraschend an, dass Deutschland den dauerhaften Rettungsschirm ESM schneller mit Geld ausstatten will als bisher geplant. Die Bundesregierung sei bereit, schon in diesem Jahr mit elf Milliarden Euro die Hälfte ihres Anteils in den Fonds zu überführen und den Rest bereits im kommenden Jahr zu zahlen.

Voraussetzung für die schnellere Zahlung sei aber, dass die anderen Euro-Staaten dieser Idee folgten, sagte Merkel. Damit wäre die Schlagkraft des ESM innerhalb von zwei Jahren und nicht erst in fünf Jahren voll hergestellt.

Die SPD warf Merkel vor, mit ihrer Griechenland-Politik "auf ganzer Linie" gescheitert zu sein. Die Kanzlerin habe die Dimension der griechischen Tragödie lange völlig unterschätzt, sagte Ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Er kritisierte auch den sanften Umgang Merkels mit Innenminister Hans-Peter Friedrich. Der CSU-Politiker hatte den Griechen den Austritt aus der Euro-Zone nahegelegt. Steinbrück sagte, dies hätte eigentlich seine Entlassung aus dem Kabinett zur Folge haben müssen.

© SZ vom 28.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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