Ostasien:Südkoreas Präsident hört nur noch auf sich selbst

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Ärztinnen und Ärzte demonstrieren vor dem Präsidentenbüro in Seoul gegen Pläne des Präsidenten. (Foto: Soo-Hyeon Kim/Reuters)

Yoon Suk-yeol regiert konsequent nach seinen Vorstellungen und Weltbildern. Manche deuten das als Stärke, andere als Sturheit. Und das Land ist gerade so zerstritten wie lange nicht.

Von Thomas Hahn, Tokio

Südkoreas Regierung rief am Freitag Alarmstufe vier aus, die höchste Stufe auf der staatlichen Gefahrenskala, nach der eine Situation "ernst" ist. Es musste sein, denn der Protest der Ärztinnen und Ärzte gegen das Vorhaben der Regierung, die Zahl der Medizinstudienplätze zu erhöhen, wurde nicht milder.

Laut Gesundheitsministerium haben diese Woche - Stand Donnerstagabend - fast 80 Prozent der 13 000 auszubildenden Mediziner an großen Krankenhäusern landesweit ihre Kündigung eingereicht. Über 7800 davon seien seit Dienstag nicht zur Arbeit gekommen, dabei hängen die Notfallaufnahmen von ihnen ab. Operationen fallen aus, Patienten werden abgewiesen.

Die gegenwärtige Krise ist beispiellos in Südkoreas Geschichte

Die Regierung verlängert die Öffnungszeiten an staatlichen Gesundheitseinrichtungen und ermöglicht Telemedizin-Angebote. Aber das löst natürlich nicht diese Krise, die beispiellos ist in Südkoreas Geschichte. Präsident Yoon Suk-yeol von der konservativen People Power Party (PPP) braucht eine Idee. Aber hat er eine?

Als Yoon im März 2022 mit knappem Vorsprung die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, sagte er: Alle sollten fortan zusammenarbeiten, "um eins zu werden für unser Volk und unser Land". Fast zwei Jahre später kann man sagen: Das hat nicht geklappt. Im Gegenteil. Unter Yoon wirkt Südkorea zerstrittener denn je.

Das liegt wahrscheinlich nicht nur an ihm. In der aktuellen Krise etwa wirken auch die Ärzte wie besessen von ihrem Widerstand gegen mehr Studienplätze. Als wolle man ihnen etwas wegnehmen, bestreiten sie schlicht, dass das Land wegen der rasch alternden Bevölkerung für die Zukunft mehr Mediziner benötigt.

Das Ministerium für Gleichstellung will er abschaffen

Aber Yoon scheint tatsächlich wenig Gespür für die Nöte und Interessen anderer zu haben. Er regiert konsequent nach seinen Vorstellungen und Weltbildern. Manche legen ihm das als Stärke aus, andere finden das vor allem stur, rücksichtslos und teilweise sogar undemokratisch.

Als die Fernfahrer im November 2022 für besseren Mindestlohn streikten, grätschte Yoon deren Forderungen mit einem Arbeitsbefehl nieder. Unter ihm gibt es relativ viele Verleumdungsklagen gegen kritische Journalisten. Das Gleichstellungsministerium will der Präsident abschaffen, weil er glaubt, in Südkorea "existiert strukturelle Diskriminierung gegen Frauen nicht mehr"; außerdem hat er dem Ministerium mal vorgeworfen, es behandle Männer wie "potenzielle Sexualstraftäter".

Auch in seiner Partei duldet Yoon nicht viel Widerspruch. Mit Mühe und mit unkritischen Anhängern versucht er, die PPP auf seiner Linie zu halten. Erst im Januar gab es dabei einen Rückschlag. Hintergrund war der sogenannte Dior-Taschen-Skandal. Im November 2023 hatte ein Youtube-Kanal ein Video von einer versteckten Kamera veröffentlicht, das zeigt, wie Yoons Frau Kim Keon-hee im September 2022 von einem Pastor eine teure Handtasche als Geschenk annahm.

Interims-Parteichef Han Dong-hoon, eigentlich ein Yoon-Vertrauter, unterstützte einen parteiinternen Kritiker der First Lady und sagte auch selbst vorsichtig, dass man die Affäre "aus der Perspektive der Leute bedenken" sollte. Prompt forderte das Präsidentenbüro Hans Rücktritt. Han weigerte sich. Später versöhnten sich Han und Yoon angeblich wieder.

Yoon Suk Yeol im Kabinett in Seoul. Auch in seiner Partei duldet er nicht viel Widerspruch. (Foto: AFP)

Yoon Suk-yeol war Staatsanwalt, bevor er Präsident wurde. Er ist es gewohnt, anzuklagen, aber nicht, kritisiert zu werden. Das merkt man ihm an. Doch jetzt steht er vor einer großen Prüfung. Am 10. April ist die Wahl zur Nationalversammlung, in der die Demokratische Partei die Mehrheit hat und ihm das Leben schwermacht. Yoon braucht einen Erfolg der PPP. Von Handtaschenskandalen und Streit muss er möglichst ablenken.

Wahrscheinlich reist Yoon deshalb gerade viel durch Südkorea, gibt sich volksnah und hält verheißungsvolle Reden. Am Freitag vergangener Woche versprach er der Stadt Daejeong bei einem Rathausgespräch Investitionen in Technik und Wissenschaft, nachdem er drei Tage zuvor in Busan Projekte wie die Modernisierung des Sajik-Baseball-Stadions angekündigt hatte. Am Mittwoch dieser Woche war er über eineinhalb Stunden auf dem Shinjung-Markt in Ulsan, schüttelte Hände, hörte den Menschen zu. Und bei einer Podiumsdiskussion kündigte er laxere Umweltauflagen an, damit "auch streng geschützte Grüngürtelgebiete leichter genutzt werden können, wenn es dafür eine wirtschaftliche Notwendigkeit gibt".

Die Opposition sieht in Yoons Trips illegale Wahlkampfhilfe für seine Partei

Die Opposition kritisiert die Trips als illegale Wahlkampfhilfe für die PPP. Wegen der Charmeoffensive sagte Yoon wohl auch die Reise nach Deutschland und Dänemark ab, zu der er am 18. Februar hätte aufbrechen sollen. Mit Verweis auf einen Berater des Präsidenten berichtet die Korea Times, dass es für Yoon gerade einfach wichtiger sei, im Land zu bleiben.

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Dass zwei Regierungen und diverse Wirtschaftsvertreter verprellt wurden? Egal. "Konzentration auf innenpolitische Angelegenheiten" war laut Präsidentenbüro in Seoul die Begründung, die Yoon dem deutschen Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen telefonisch mitteilte. Der Eindruck blieb: Yoon Suk-yeol macht, was er will.

Und weil viele nicht wollen, was Yoon Suk-yeol will, ist die Stimmung in Südkorea gerade schlecht. Wie unter diesen Umständen der Streit mit den Ärzten ausgeht? Ungewiss. Yoons liberaler Vorgänger Moon Jae-in wollte schon 2020 die Zahl der Medizinstudienplätze anheben. Die Ärzte streikten trotz der Pandemie. Moon gab nach. Von Yoon Suk-yeol ist das nicht zu erwarten.

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