Baden-Württemberg:Warum die Ära von Thomas Strobl bald enden könnte

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Thomas Strobl ist seit sieben Jahren auch stellvertretender Ministerpräsident in Baden-Württemberg. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Zwölf Jahre stand der Christdemokrat an der Spitze der Südwest-CDU, vom alten Glanz der selbsternannten "Baden-Württemberg-Partei" ist nicht mehr viel übrig. Ein junger Hoffnungsträger könnte ihn ablösen.

Von Max Ferstl, Stuttgart

Gleich wird Thomas Strobl auf die Bühne treten. Aber zunächst gilt die Aufmerksamkeit diesem beeindruckenden Roboter, weiße Arme, weißer Kopf, Tablet auf der Brust. Der Roboter kann sprechen, gestikulieren und wichtige Fragen zur Sicherheit im Internet beantworten. Will man zum Beispiel wissen, ob es unbedenklich ist, wenn einem der Account von Barack Obama auf der Plattform X Bitcoins schenken will, warnt der Roboter: Vorsicht! Sehr wahrscheinlich eine Falle.

Dann tritt Thomas Strobl ans Mikrofon, der als baden-württembergischer Innenminister selbstverständlich auch für kriminelle Obama-Imitatoren zuständig ist. Wie gut ist das Land gerüstet gegen digitale Attacken? Darum geht es an diesem Freitag beim Cybersicherheitsforum in Stuttgart. Entscheidend sei die "Resilienz", sagt Strobl, also die Fähigkeit, mit "erheblichen Herausforderungen" umzugehen. Da leuchten die Augen des Roboters.

Resilienz ist jene Eigenschaft, über die der Politiker Strobl in beträchtlichem Ausmaß verfügt. Keine Wahlniederlage war so bitter, keine Affäre so skandalträchtig, dass Strobl diese Herausforderung nicht überwunden hätte. Strobl ist jetzt 63, seit zwölf Jahren Landesvorsitzender der Südwest-CDU, seit sieben Jahren stellvertretender Ministerpräsident. Doch in diesen Tagen stellt sich besonders drängend die Frage, die auch der schlaue Roboter nicht beantworten kann: wie lange noch?

Im November wählt die CDU einen neuen Landesvorsitzenden. Und wenn man die Stimmungslage nicht falsch interpretiert, warten viele nur noch auf die Nachricht, dass Strobl den Posten freiräumt. Sein Ruf hat zuletzt erheblich gelitten. Da war die komplizierte Affäre um den ranghöchsten Polizisten des Landes. Da war das vertrauliche Anwaltsschreiben, das Strobl an einen Journalisten weitergab. Am Ende stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, weil Strobl eine Geldauflage zahlte. Ausgerechnet er, der Innenminister.

"Seine Zeit ist gekommen", sagt einer aus dem CDU-Landesvorstand. Strobl habe keinen Rückhalt mehr. In der Partei ist von einer "Wechselstimmung" die Rede, von einem "Generationenwechsel". Nicht so klar ist allerdings, ob der Amtsinhaber schon zu dieser Erkenntnis gekommen ist.

Ein Vormittag im August. Auf dem Rathausplatz von Kehl nahe der französischen Grenze steht die Hitze wie in einem Ofen. Journalisten und Polizisten flüchten in den Schatten, Strobl steht unbeeindruckt in der Sonne, trotz Hemd und Sakko. An diesem Tag inspiziert er die "Polizeistation der Zukunft", wie er es nennt. Streife fahren im Elektroauto, Unfallaufnahme per Smartphone. "Wir brauchen den Willen zur Innovation", sagt Strobl. Dann preist er Baden-Württemberg als "eines der sichersten Bundesländer der Republik", ach was, "des Planeten". Alle reden über seinen möglichen Abschied, Strobl redet über seine Erfolge.

Noch hat er sich nicht offiziell zu seiner Zukunft geäußert

Sollte ihn die nicht immer freundliche Debatte um seine Person belasten, lässt er sich das nicht anmerken. Noch hat sich der 63-Jährige nicht offiziell zu seiner Zukunft geäußert. Deshalb wächst in der CDU die Ungeduld.

Strobl hat die Partei nach der verheerenden Landtagswahl 2011 übernommen. Der einst so stolze Landesverband lag am Boden, geschockt und auch ziemlich beleidigt, weil die Wähler es gewagt hatten, nach Jahrzehnten christdemokratischer Hegemonie ausgerechnet einem Grünen den Einzug in die Villa Reitzenstein zu ermöglichen. Strobl musste die Scherben zusammenkehren. "Er hat den Laden in einer sehr schwierigen Lage zusammengehalten", sagt ein Abgeordneter.

2016 führte Strobl die CDU zurück in die Landesregierung, als Juniorpartner der Grünen, was viele in der Fraktion nur unter Schmerzen erduldeten. "Da war ich der Brückenbauer. Diese Brücke hätte niemand sonst gebaut, das gilt auch für 2021", sagt Strobl. Seine Fürsprecher finden, er habe damit das totale Fiasko verhindert und die CDU für ökologische Anliegen geöffnet. Seine Gegner glauben, es sei ihm weniger um die Rettung der Natur als den eigenen Dienstwagen gegangen. Zu altem Glanz hat die selbsternannte "Baden-Württemberg-Partei" jedenfalls nicht gefunden. Die Hoffnung, dass sich das bei der nächsten Landtagswahl ändert, beruht fast ausschließlich auf der Tatsache, dass Winfried Kretschmann nicht mehr antritt.

Mit Kretschmann verbindet Strobl seit Jahren eine vertrauensvolle Beziehung. Kretschmann schätzt Strobls Verlässlichkeit. Strobl schätzt Kretschmanns ökologisch geprägten Konservatismus - und wohl auch die Tatsache, dass er ihn nie fallen ließ, wenn andere seinen Rücktritt forderten. Nun scheinen da zwei lange Karrieren auf gegensätzliche Enden zuzustreben. Kretschmann wird allseits geschätzt, Strobl bestenfalls geduldet. Oder mal wieder unterschätzt?

Nach dem Besuch in Kehl sitzt Strobl auf der Terrasse der Renchtalhütte, herrlicher Blick über die Berge im Schwarzwald. Wenn man ihn nach seinen Plänen fragt, lächelt er. Unmöglich zu sagen, was er denkt. Zu den Personaldebatten nur so viel: "Das ist draußen bei den Menschen überhaupt kein Thema. Das interessiert die Leute auf der Straße wirklich nicht."

Meint er das ernst? Oder taktiert er? Strobl hat es bislang immer geschafft, im Spiel zu bleiben. Interessen ausgleichen, Posten verteilen, das beherrscht er. Nur die höchste Weihe, die Spitzenkandidatur bei einer Landtagswahl, traute ihm die Partei nie zu. Weniger robuste Charaktere hätten wohl irgendwann hingeworfen. Aber Strobl hat in einer Mischung aus Abgebrühtheit und Gleichmut einfach weitergemacht.

So war es auch, als die Polizeiaffäre das Land erfasste und in der Strobl keine gute Figur machte. Der Untersuchungsausschuss läuft noch. Mittlerweile gilt er selbst beim grünen Koalitionspartner als "beschädigter Minister". Ein Vorwurf, dem er auf der Schwarzwaldterrasse mit demonstrativer Gelassenheit begegnet: "Man muss zwischen Kritik mit Substanz und parteipolitischen Manövern unterscheiden." Teilen der Opposition gehe es "nur um Letzteres".

Ein Machtwechsel ist immer ein sensibler Moment. Es braucht nicht nur einen geschwächten Anführer. Es braucht auch einen Neuen, der vortritt.

In der CDU glauben viele, dass diese Aufgabe Manuel Hagel übernehmen wird. Strobl machte den Abgeordneten aus Ehingen einst zum Generalsekretär. Mittlerweile ist Hagel Vorsitzender der Landtagsfraktion. Eine steile Karriere für einen 35-Jährigen, die bald noch ein bisschen steiler werden könnte. Hagel soll dem Vernehmen nach großes Interesse an Strobls Posten haben. Damit wäre er der logische Spitzenkandidat bei der nächsten Landtagswahl.

Manuel Hagel, CDU-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Baden-Württemberg. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Eine kritische Masse von Christdemokraten traut ihm zu, die Partei zurück zu alter Herrlichkeit zu führen. Gelobt werden sein strategisches Denken sowie sein Bemühen, die innerparteilichen Konflikte zu befrieden. Traditionalisten gegen Liberale, der Streit lähmt den Landesverband seit zwei Jahrzehnten. Einen Machtkampf um den Landesvorsitzenden werde es nicht geben, hat Hagel am Freitag angekündigt. In den nächsten Tagen werde man die Personalie klären.

Weniger friedfertig gibt sich der 35-Jährige im Umgang mit dem grünen Koalitionspartner. Gerade erst schloss Hagel öffentlichkeitswirksam aus, dass seine Fraktion einen anderen Grünen als Kretschmann zum Ministerpräsidenten wählen könnte. Viele Grüne hat das geärgert. Ein Amtsbonus für einen potenziellen Kretschmann-Nachfolger spielt in ihren strategischen Überlegungen eine wichtige Rolle.

In der CDU kam Hagels Vorstoß hingegen gut an. Er wird als Ausdruck für das neue Selbstbewusstsein der Partei gewertet. Und als Indiz, dass sich das Machtzentrum in der Partei nachhaltig verschoben hat. Hagel gebe jetzt die großen Linien vor, heißt es. Er sei bereit für die ganze Macht. Doch bis der resiliente Strobl seinen Verzicht offiziell verkündet, bleiben minimale Restzweifel angebracht.

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