EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nichts schuldig bleiben - jedenfalls keine Antwort. Gerade einmal fünf Tage ließ er sich Zeit für die Antwort auf den Brief, den er vergangene Woche aus Budapest erhalten hatte.
"Aus ungarischer Sicht ist es höchste Zeit, dass europäische Solidarität sich auch im Bereich der Grenzsicherung durchsetzt", hatte Orbán geschrieben und gleich eine gepfefferte Rechnung mitgeschickt. Umgerechnet 440 Millionen Euro solle die EU beisteuern zu den von Ungarn zur Flüchtlingsabwehr errichteten Grenzanlangen. Das, so erläuterte Orbán, seien die Hälfte der Kosten zur Verteidigung "nicht nur unserer selbst, sondern ganz Europas gegen die Flut illegaler Migranten".
Ungarn:Zaunkönig
Premierminister Orbán will für seine Zäune gegen Flüchtlinge Geld von der EU. Das ist nicht pfiffig, sondern dreist.
Ungarn hat Solidarität auch schon abgelehnt
In seinem Antwortschreiben begrüßt Juncker, dass Ungarn Solidarität als "wichtiges Prinzip in der EU" anerkenne. Da schimmert schon Sarkasmus durch, aber Juncker wird noch deutlicher: "Solidarität ist eine Zweibahnstraße. Es gibt Zeiten, in denen Mitgliedstaaten erwarten können, Solidarität zu erfahren. Und es gibt Zeiten, in denen sie im Gegenzug bereit sein sollten, einen Beitrag zu leisten." Juncker erinnert auch an einen Vorschlag der EU-Kommission zur Umverteilung von Flüchtlingen im Jahr 2015, der neben Italien und Griechenland auch Ungarn hätte entlasten sollen. Ungarn habe "indes entschieden, dieses Angebot konkreter Solidarität abzulehnen". Es habe so darauf verzichtet, von der Verteilung von bis zu 54 000 Menschen zu profitieren.
Gegen den Verteilmechanismus hat Ungarn zusammen mit der Slowakei vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg geklagt. Das Urteil fällt an diesem Mittwoch. Die Kläger müssen sich auf eine Niederlage einstellen für den Fall, dass das Gericht dem Generalanwalt folgt. Die von den EU-Staaten mehrheitlich beschlossene Umsiedlung "aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage" stehe im Einklang mit EU-Recht, hatte dieser befunden. In Brüssel wird vermutet, dass Orbán seine Rechnung schon mit der zu erwartenden Niederlage vor Augen geschickt hat.
Ungarn: achtgrößter Nutznießer der Regionalfonds
Kommissionspräsident Juncker macht nun allerdings ein paar Gegenrechnungen auf: So habe Ungarn im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise in den Jahren 2014 und 2015 6,26 Millionen Euro Anspruch auf EU-Notfallhilfe in Höhe von 6,26 Millionen Euro gehabt, aber nur 33 Prozent genutzt. Außerdem stünden Ungarn für die Jahre 2014 bis 2020 mehr als 40 Millionen Euro aus EU-Mitteln für die Sicherung der EU-Außengrenzen zu.
Ganz abgesehen "von einer anderen Form europäischer Solidarität wie sie sich in den Regionalfonds der EU äußert". Ungarn sei derzeit der achtgrößte Nutznießer. Im Zeitraum 2014 bis 2020 erhalte es 25 Milliarden Euro. "Das sind mehr als drei Prozent des ungarischen Bruttoinlandsprodukts, der höchste Wert von allen Mitgliedstaaten", erinnert Juncker.
Ein kleines Entgegenkommen signalisiert er dann aber doch. Die EU-Kommission stelle Geld für verstärkte Grenzkontrollen in dringenden Fällen bereit. Bulgarien, Griechenland, Italien und Spanien hätten solche Mittel bereits erhalten. Treffe ein entsprechender Antrag aus Ungarn ein, werde er zügig geprüft. Voraussetzung sei allerdings, dass die Maßnahmen "im Einklang mit EU-Recht" stehen.
Der Hinweis ist entscheidend, denn Ungarn steht wegen seines rabiaten Umgangs mit Migranten massiv in der Kritik. "Wer Andersfarbige oder Andersgläubige nicht aufnehmen will, kommt aus einer Vorstellungswelt, die ich nicht für kompatibel halte mit dem Ur-Auftrag der EU", hatte Juncker im Juni der SZ gesagt. Gemeint war nicht zuletzt Orbán. Auch in seinem Brief lässt Juncker das den "lieben Viktor" ganz am Ende noch einmal durch die Blume wissen. "Ich zähle auf Ihren aktiven Beitrag auf Grundlage unserer EU-Verträge und unserer gemeinsamen Werte."