Sterbehilfe:"Wann ist der freie Wille wirklich frei?"

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Wie weit hat das Recht auf selbstbestimmtes Sterben zu gehen? Viele wünschen sich eindeutigere juristische Vorgaben. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

In einer sachlich-respektvollen Debatte diskutiert der Bundestag über Sterbehilfe. Das Verfassungsgericht verlangt eine Neuregelung, drei Vorschläge liegen auf dem Tisch. Gesundheitsminister Spahn hat schon einen Favoriten.

Von Annette Zoch, München

Es gehe in der Diskussion um "den Kern unserer Verfassung", sagt die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl: um den Menschen in seiner unantastbaren Würde und Freiheit. "Und dann sehe ich im Spiegel das kleine Ich, abhängig von der Zuwendung anderer. Niemand ist nur er selbst allein. Was kann Selbstbestimmtheit sein? Wann ist der freie Wille wirklich frei?"

Selbstbestimmung - das ist der Kernbegriff dieser Debatte um Sterbehilfe, auch das Bundesverfassungsgericht hatte ihm in seinem Urteil vom Februar 2020 eine zentrale Rolle eingeräumt. "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben", hatten die Karlsruher Richter damals geurteilt und damit das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. "Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Das gilt ausdrücklich für jeden Menschen, nicht nur für unheilbar Kranke."

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Nach dem Karlsruher Urteil muss der Gesetzgeber nun eine Neuregelung schaffen. Nur noch fünf Sitzungswochen zählt die laufende Legislaturperiode - vor der Bundestagswahl wird es also wohl nichts mehr damit. Dennoch liegen inzwischen drei interfraktionelle Vorschläge auf dem Tisch, deren Vertreter am Mittwoch ihre Argumente mehr als zwei Stunden lang darlegten, in einer sehr sachlichen, respektvollen und nachdenklichen "Orientierungsdebatte". Viele Abgeordnete mit medizinischem pflegerischen oder psychiatrischen Berufshintergrund schilderten in der Diskussion ihre Eindrücke. Im Kern konkurrieren zwei liberale Vorschläge mit einem strengeren - wobei letzterer in der Debatte mehr Unterstützer zu haben schien.

"Wir sollten uns als Gesetzgeber an die Seite der Menschen stellen, die selbstbestimmt sterben wollen", sagt die Gesundheitspolitikerin Katrin Helling-Plahr (FDP). "Betroffene brauchen nicht unsere Bevormundung, nicht den erhobenen Zeigefinger, sondern unser Verständnis." "Sterbehilfe ist auch Lebenshilfe", so die Linken-Abgeordnete Petra Sitte. Das Sterben werde weniger bedrohlich, wenn Menschen mitbestimmen könnten, wie sie sterben wollen.

Ärzte sollen Medikamente zur Selbsttötung verschreiben dürfen

Helling-Plahr und Sitte gehören gemeinsam mit dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und anderen zu den Autoren für den einzigen Entwurf, der bislang auch förmlich in den Bundestag eingebracht wurde. Sie wollen das Betäubungsmittelgesetz ändern, damit es Ärzten künftig ausdrücklich erlaubt ist, Medikamente zur Selbsttötung zu verschreiben. Bedingung für das Rezept soll eine Beratung sein, mit der sichergestellt werden soll, dass der Wunsch wirklich aus freiem Willen entspringt. Dafür soll ein Netz staatlich finanzierter Beratungsstellen entstehen.

Einen ähnlichen Vorschlag machen die Grünen-Politikerinnen Katja Keul und Renate Künast. Auch sie fordern eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Eine Beratungspflicht wollen sie allerdings nur für die Sterbewilligen einführen, die nicht schwer krank sind. "Wir wissen, Sterbehilfe findet längst statt", sagt Renate Künast. "Fassen wir uns ein Herz, finden wir einen Weg, der einen Schutzrahmen bietet. Es geht nicht darum, ob wir oder die Kirchen das richtig finden oder nicht." Es gehe um den Respekt vor der Lebensentscheidung des Individuums.

Eine dritte Gruppe mit Vertretern aller Fraktionen außer der AfD wollen hingegen erneut eine Regelung über das Strafrecht erreichen: Demnach soll die Hilfe zur Selbsttötung nur erlaubt sein, wenn eine Beratung durch Ärzte stattfindet. Außerdem sollen bestimmte Wartefristen eingehalten werden - die bei schwer Kranken kürzer ausfallen sollen als bei Menschen, die aus einem anderen Grund sterben wollen. Zudem sollen die Werbung für geschäftsmäßige Suizidassistenz unter Strafe und die Suizidprävention gestärkt werden. Zu Unterstützern dieses Vorschlags gehören die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kathrin Vogler (Linke), Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Benjamin Strasser (FDP) und Stephan Pilsinger (CSU).

Er respektiere die freiwillige Entscheidung, sagt Castellucci. "Aber ich muss doch daraus kein Modell machen." Dann drohe, dass sich Menschen die Frage stellten, ob sich eine Operation noch lohne oder ob das Häuschen für die Finanzierung der Pflege draufgehen solle: "Niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen."

Spahn plädiert für einen neuen Strafparagrafen

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich für strenge Grenzen aus. Sein Ministerium habe einen Entwurf erarbeitet, der dem dritten Vorschlag sehr ähnlich zu sein scheint: Die Hilfe zur Selbsttötung solle in einem neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt werden, aber mit Ausnahmen - wie ärztliche Aufklärung, die Einbeziehung gemeinnütziger Beratungsorganisationen und Wartefristen. Auch ein Werbeverbot für Suizidbeihilfe soll es seinem Willen nach geben. Die Hürden zum assistierten Suizid müssten "sehr, sehr hoch" bleiben, sagt Spahn. Unter keinen Umständen dürfe es den sanften Druck geben, Angebote zur Selbsttötung "annehmen zu sollen". "Eine solche Entwicklung wäre für unsere Gesellschaft fatal."

Die Ärztin und Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther verwies darauf, dass ein Suizidwunsch zwar grundsätzlich Akzeptanz verdiene, die allermeisten Suizidwünsche seien aber volatil. Betroffene empfänden meist nicht den Wunsch nach dem Tod, sondern eher den Wunsch nach einer Zäsur in einer als unerträglich empfundenen Situation. Pascal Kober von der FDP nahm die Angehörigen in den Blick: Im Schnitt sechs Personen lasse ein Mensch nach Suizid zurück - "es ist für diese Angehörigen ein tiefer Einschnitt in ihr Leben, selbst dann, wenn sie den Suizidwunsch unterstützen". Der Gesetzgeber sei es den Angehörigen deshalb schuldig, jeden Sterbewunsch so sorgfältig wie möglich zu prüfen und Missbrauch so sorgfältig wie möglich zu verhindern.

Claudia Moll (SPD) ist selbst Altenpflegerin. Sie sagt, sie sei in der Frage selbst noch nicht endgültig entschieden. In ihrem Beruf habe sie Schmerz, Angst und Verzweiflung Sterbender hautnah miterlebt. Man müsse am Lebensende "nicht alles über sich ergehen lassen". Was Palliativmedizin angehe, gebe es aber ein riesiges Informationsdefizit. "Am meisten haben die Menschen Angst, dass ihr Leben an technischen Geräten endet. Aber auch Therapieabbruch gehört zu einer guten Palliativversorgung. Ich möchte keine Regelung, die die Suizidhilfe zu einer neuen Normalität des Sterbens macht."

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