Spitzenkandidatur der Grünen:Zu viel für ein Duo

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Natürlich soll es besonders demokratisch zugehen, aber letztlich geht es auch bei den Grünen um die Macht. Seit Joschka Fischer hat kein Grüner mehr gewagt, unverhohlen danach zu greifen. Doch die Alt-68er wollen es noch einmal wissen: Jürgen Trittin, Renate Künast und Claudia Roth bewerben sich als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013.

Michael Bauchmüller, Berlin

Vorigen Mittwoch hat dann auch Franz Spitzenberger Ernst gemacht. Er reichte förmlich seine Kandidatur ein. Spitzenberger, 64, Speditionsprokurist aus dem Allgäu, will Spitzenkandidat der Grünen im nächsten Bundestagswahlkampf werden, einer von zwei Aspiranten von der Basis. "Es wird Zeit, dass wieder frisches Blut in das 'Herz' der Grünen strömt, damit wieder Leben in die Partei kommt", schrieb Spitzenberger. "Lasst uns die Verkrustung aufbrechen."

Soll es dieses Paar werden? Renate Künast und Jürgen Trittin haben sich beide für den Posten als Spitzenkandidat beworben. Welches Duo am Ende gemeinsam in den Wahlkampf zieht, ist offen. (Foto: dpa)

Verkrustung? Bei den Grünen?

Renate Künast sieht das ganz anders. Ein Wahlkampf, sagt sie, sei eben kein Kinderspiel. Erfahrung zahle sich da aus. Und wer kein Fetischist der ersten Reihe sei, also nur auf die Spitze schiele, der finde bei den Grünen reichlich junge Leute. Aber nun geht es genau darum: die erste Reihe. Denn rund um die Spitzenkandidatur der Grünen entspinnt sich mittlerweile ein Machtkampf, wie ihn die Grünen schon länger nicht mehr erlebt haben. Jedenfalls nicht in dieser Offenheit. Und es geht um weit mehr als nur die Spitzenkandidatur.

Die Quote macht den Erfolg

Als Erstes war Claudia Roth da. 1985 Pressesprecherin der Grünen-Fraktion, 1989 für die Grünen im europäischen Parlament, 2001 zum ersten Mal Parteichefin, seither mit kurzer Unterbrechung an der Spitze der Grünen. Roth, Vertreterin des linken Flügels, hatte mitbekommen, dass sich immer mehr Parteifreunde für Jürgen Trittin als einzigen Spitzenkandidaten aussprachen. Selbst der etwas konservativere Realo-Flügel der Partei äußerte bei einer Klausur Anfang März Sympathien für ein Trittin-Solo.

Wenige Tage später meldete sich Roth in der taz zu Wort, um an die Quote zu erinnern: Schließlich streben die Grünen danach, Frauen den Männern mindestens gleichzustellen. "Die Quote macht einen großen Teil unseres Erfolges aus", sagte sie. Dass ein einzelner Mann die Grünen im Wahlkampf anführt, "wird es mit mir als Parteichefin nicht geben", sagte Roth. Und: "Ja, ich stelle mich zur Wahl."

Der geborene Spitzenkandidat schweigt

Dann kam Jürgen Trittin. 1984 Pressesprecher der Landtagsfraktion in Niedersachsen, dann Abgeordneter, 1990 dortselbst Minister für Europa-Angelegenheiten. 1994 Parteichef, 1998 Bundesumweltminister. Seit 2009 Chef der Bundestagsfraktion. Lange hatte Trittin die Debatte still genießen können: Alle handelten ihn als geborenen Spitzenkandidaten, er selbst schwieg.

Erst vor einer Woche, kurz vor Beginn seines Sommerurlaubs, erklärte er sich. "Nachdem Bundesvorstand und Parteirat einmütig vorgeschlagen haben, mit einem Duo als Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2013 anzutreten, habe ich mich entschieden, für eine der beiden Positionen zu kandidieren", schrieb er.

Renate Künast zögerte nicht lange. Künast, 1985 Abgeordnete in Berlin, 1990 Fraktionschefin der grünen Alternativen Liste im Abgeordnetenhaus, 2000 Parteichefin, 2001 Verbraucherschutzministerin. Seit 2005 Fraktionschefin im Bundestag. Keine Woche war Trittins Erklärung alt, da hielt auch Künast die Zeit für gekommen: "Ja, ich bewerbe mich, eine der beiden Spitzenkandidaten zu werden", sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Dann verbreitete auch sie ihren Bewerbungsbrief.

Spitzenpersonal in spe bei den Grünen
:Roth für Grün in Ewigkeit, Amen

Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Claudia Roth und Jürgen Trittin - seit Jahrzehnten wird das Bild der Grünen von den gleichen Personen bestimmt. Gibt es wirklich niemanden sonst, der an der Spitze mitmischen könnte? Wir hätten da noch ein paar Kandidaten.

Dreimal fast 30 Jahre grüne Karrieren; drei Kandidaten, für die es bei der Bundestagswahl wohl letztmalig um ein hohes Regierungsamt geht. Im Herbst 2013 marschieren alle drei stramm auf die 60 zu. Und vor allem: In jedem Fall sind drei einer zu viel für eine Doppelspitze. Also werden die Kandidaten gegeneinander antreten müssen, entweder in einer Urwahl oder auf dem Parteitag im November. "Jetzt bekommen wir einen Vorwahlkampf wie in den USA", bangt eine aus der grünen Fraktionsspitze. "Das wird nicht unbedingt schön."

Auch Grünen-Chefin Claudia Roth kandidiert für das Spitzenduo. (Foto: dapd)

Denn faktisch geht es längst nicht nur um die Bundestagswahl. Es ist das Vorspiel für einen Generationenwechsel, den die Partei nicht mehr lange aufschieben kann. Längst gibt es eine ganze Reihe von Grünen in der zweiten Reihe, die mehr wollen. Leute wie die stellvertretende Fraktionschefin Kerstin Andreae, oder den Finanzpolitiker Gerhard Schick.

Andere bewähren sich derzeit in der Landespolitik, wie der schleswig-holsteinische Regierungs-Vize Robert Habeck, die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke, oder der hessische Fraktionschef Tarek Al-Wazir. Offensiv gegen die Spitze zu stänkern, traut sich allerdings bisher keiner.

Plan B der Künast-Gegner

Stattdessen geht es ein letztes Mal um die Machtbalance zwischen den Führungs-68ern, die Bedeutung der alten Flügel, die Vormacht innerhalb der Realos. Künast etwa, selber eine Reala, ist im eigenen Lager mittlerweile schwer angeschlagen. Hätte sie jetzt nicht noch einmal Ambitionen angemeldet, hätte sie vermutlich nach der Bundestagswahl kaum noch Einfluss in der Partei gehabt.

Künasts Gegner in den eigenen Reihen aber haben schon einen Plan B vorbereitet: Katrin Göring-Eckardt. Die Kirchenfrau und Bundestags-Vizepräsidentin reichte ebenfalls vorigen Freitag ihre Bewerbung ein. Da war gerade ruchbar geworden, dass Renate Künast sich erklären wollte. "Ein Team mit Trittin und Göring-Eckardt finde ich gut", sekundierte umgehend Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, einer der schärfsten Widersacher Künasts. "Das wird viele Menschen ansprechen."

Magere Werte bei Umfragen

Wie viele Menschen sich aber von den anstehenden Auseinandersetzungen angesprochen fühlen, bleibt dahingestellt. In den Umfragen nähern sich die Grünen wieder dem Niveau der letzten Bundestagswahl - sie dümpeln zwischen 13 und 15 Prozent. Vor Jahren wäre das noch ein hocherfreulicher Wert gewesen. Nach einem Jahr wie 2011, in dem die Grünen unverhofft einen Ministerpräsidenten stellten und erstmals in allen Landtagen vertreten sind, wirken 13 Prozent schon eher mager.

Inhaltlich liegen die Kandidaten ohnehin nicht allzu weit auseinander. Trittin profilierte sich zuletzt als Schatten-Finanzminister, der über die Lösung der Euro-Krise ganz Europa retten will. Künast will die Verbraucher schützen und darunter ganz besonders die Kinder. Göring-Eckardt plädiert für "Frieden, Gerechtigkeit, demokratisches Miteinander und die Bewahrung der Schöpfung", und Claudia Roth kämpft unverdrossen für die Menschenrechte - jeder Kandidat könnte die Ziele jedes anderen vorbehaltlos unterschreiben.

Alle haben Sympathien für ein rot-grünes Regierungsbündnis. Unterschiede liegen am Ende in Beliebtheit, Bekanntheit - und der Fähigkeit, den eigenen Flügel zu mobilisieren. Für die Grünen, die sich in den vergangenen Jahren stets so geschlossen zeigten, ist das nicht ungefährlich: Sie müssen nun mehr über Köpfe streiten als über Ziele.

Schon warnt Göring-Eckardt, eine Urwahl bedeute nur "Beschäftigung mit uns selbst". Sie sei "auch keine Mutprobe". Stattdessen solle die Partei sich im Einvernehmen auf ein Spitzenteam verständigen. Doch dafür dürfte es schon zu spät sein. Wollten doch gerade die Grünen beweisen, dass es auch bei der Besetzung der Spitzenpositionen ganz offen und demokratisch zugeht. Ein Team aber, so heißt es aus der Parteizentrale, "riecht schon wieder nach Hinterzimmer".

© SZ vom 20.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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