SPD und die große Koalition:Unsichtbarer Dritter am Tisch

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Wenig Spielraum für SPD-Chef Sigmar Gabriel: Über Wohl und Wehe der großen Koalition entscheidet am Ende die SPD-Basis (Foto: Imago Stock&People)

Der SPD-Konvent am Sonntag wird der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU kaum im Wege stehen. Die Delegierten wissen: Kommt es zu einem Koalitionsvertrag, muss die Vereinbarung vor allem die Basis überzeugen. Das wird noch schwer genug.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Nach der Sondierung ist vor dem Parteikonvent der SPD, ist vor den Koalitionsverhandlungen, ist vor dem Mitgliederentscheid der SPD. Bevor Angela Merkel erneut zur Kanzlerin gewählt werden kann, haben die Unterhändler von CDU, CSU und SPD also noch einiges zu tun.

CSU-Chef Horst Seehofer hatte bereits angekündigt, bis Weihnachten könnte eine neue Bundesregierung stehen. Ausnahmsweise scherzte er wohl nicht. Bis Heiligabend sind es noch etwas mehr als zwei Monate. Wenig deutet darauf hin, dass die Koalition sehr viel früher steht.

An der Union liegt es dabei nicht, deren Gremien sind dabei praktisch unerheblich. Ein paar Schaltkonferenzen, ein paar Präsidiumssitzungen und am Schluss vielleicht ein kleiner Parteitag. Alle werden zustimmen, wenn die Kanzlerin es verlangt. Revolution ist nicht die Sache der Unionsparteien. Nicht nach solchen Siegen wie dem Merkel-Triumph am Wahlabend.

Für die Sozialdemokraten ist die Sache komplizierter. Am Wochenende werden sich zunächst die Delegierten des Parteikonvents mit der Frage befassen, ob sie ihren Parteichef Sigmar Gabriel überhaupt in Koalitionsverhandlungen mit Merkel und Seehofer schicken sollen. Doch es ist nahezu ausgeschlossen, dass sie den Vorschlag der Parteiführung ablehnen. Denn in diesem Falle könnten die Delegierten auf dem Bundesparteitag Mitte November in Leipzig gleich eine neue Führung wählen.

Nach den Sondierungsgesprächen
:Wie Union und SPD zusammenfanden

Die Einigung zeichnete sich bereits auf einem Balkon ab: Bereits am kommenden Mittwoch soll die erste offizielle Koalitionsrunde zwischen Union und SPD stattfinden. Auch NRW-Ministerpräsidentin Kraft, bisher größte Gegnerin von Schwarz-Rot, unterstützt den Kurs von Parteichef Gabriel. CSU-Chef Seehofer sagt: "Es passt."

Von Susanne Höll und Robert Roßmann, Berlin

Mindestlohn, aber welcher?

Aber Debatten wird es geben. Fragt sich nur in welcher Schärfe. Vor allem, weil die Union anders als gewünscht offenbar noch keine konkreten Zusagen gemacht hat. Koalitionsverhandlungen bieten der SPD zwar Chancen, doch diese können natürlich auch versemmelt werden.

Ganz oben auf der Prioritätenliste der Genossen: Der flächendeckende, gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Schon die Konstruktion bieten drei Einfallstore für die Union: Muss er flächendeckend sein? Muss er gesetzlich sein? Und muss es genau dieser Betrag sein?

Gabriel hat nach den Sondierungen klar gemacht, dass es da nichts zu rütteln gebe. Der Mindestlohn sei aus Sicht der SPD eine "zentrale Aufgabe" der neuen Regierung. Ohne ihn werde eine Koalition "keinen Sinn machen", das wisse auch die Union.

Die Botschaft ist im konservativen Lager angekommen. Diese Festlegung bedeutet jedoch zugleich, dass die SPD an anderer Stelle mehr Spielraum geben muss. Konkret, wenn es um Steuerhöhungen geht. Die wollen CDU und CSU unbedingt vermeiden. Auch deshalb signalisierten Seehofer und sein hessischer Amtskollege Volker Bouffier schon vor den letzten Sondierungen, einen Mindestlohn zu schlucken.

Ob es auf Dauer ganz ohne Steuererhöhungen geht, ist allerdings überhaupt noch nicht gesagt. Auch die Unionsparteien haben kostspielige Wahlversprechen gemacht, deren Finanzierung noch nicht steht. Die Mütterrente gehört etwa dazu. Solange die Wirtschaft brummt und die Steuereinnahmen steigen, ist alles gut. Aber sobald sich daran etwas ändert, heißt es: Steuern rauf oder Schulden rauf.

Am kommenden Mittwoch geht es wohl los, einen Tag nach der konstituierenden Sitzung des Bundestages. Die SPD wird von dem Moment an mit erheblichem Gegenwind von der Linken rechnen müssen. Die wird nichts unversucht lassen, die Basis der SPD gegen die Führung aufzubringen.

Ab Dienstag könnte theoretisch die rechnerische linke Mehrheit von SPD, Linken und Grünen sofort den Mindestlohn beschließen, eine Frauenquote einführen, Leiharbeit begrenzen und/oder das Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht reformieren. Die Linke wird das ausreizen - wissend, dass während der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD eine Art Nichtangriffspakt gilt.

Mit den Koalitionsverhandlungen schießen auch wieder die Personaldebatten ins Kraut. Wer wird was? Das ist eine spannende Frage. Aber die Erfahrung zeigt, dass sie endgültig erst zum Ende von Koalitionsverhandlungen zu beantworten ist. In der Welt wird etwa jetzt spekuliert, die SPD bereite sich darauf vor, die Schlüsselressorts Finanzen und Arbeit zu übernehmen. Eine Überraschung wäre es, wenn die SPD auf das Arbeitsressort verzichten würde. Und die Debatte Finanzen statt Außen nährt sich aus der Tatsache, dass dem Finanzministerium in Zeiten der Euro-Krise große Bedeutung zukommt. Zumindest mehr Bedeutung, als dem Außenministerium, das zwar Prestige und Öffentlichkeit genießt, aber in der Praxis zunehmend an Einfluss verliert.

Über Namen zu spekulieren, ergibt derzeit noch weniger Sinn. Natürlich versuchen sich jetzt Einzelne für Posten in Stellung zu bringen. Aber nichts fürchten die möglichen Kandidaten, als dass ihr Name öffentlich verhandelt wird. Gabriel selbst hat klar gemacht, dass so etwas die Chancen auf einen guten Posten eher sinken lässt. Noch sind ja auch die Ressorts nicht verteilt. Welche Partei welche Posten überhaupt besetzen kann, muss sich also noch herausstellen.

Scheitert der Koalitionsvertrag, scheitert Gabriel

Eines aber ist sicher: Am Ende muss ein Koalitionsvertrag stehen, der vor allem die SPD-Mitglieder überzeugt. Merkel kann ihrer Partei derzeit praktisch alles verkaufen. Gabriels gewählter Spielraum - den Mitgliederentscheid hat er selbst vorgeschlagen - ist da wesentlich geringer.

Gegen Merkel opponieren oder mit Merkel regieren? Wie die Parteibasis da tickt, weiß im Moment niemand sicher zu sagen. CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach hat das an diesem Morgen treffend im WDR-Radio formuliert: "Die SPD-Basis sitzt als unsichtbarer Dritter immer mit am Tisch." Gut möglich also, dass am Ende selbst der beste Koalitionsvertrag durchfällt.

Von einer solchen Vereinbarung sind die Parteien aber noch weit entfernt, und weiterhin gilt: Gewonnen hat die Wahl eindeutig Merkel mit ihren 42 Prozent. "Das macht die Lage, ich will das gar nicht verheimlichen, auch außerordentlich schwierig", sagte Gabriel an diesem Freitag auf dem Gewerkschaftskongress der IG BCE in Hannover. Ein bisschen sei es so, "dass die Sozialdemokratie den Auftrag hat, all diese Dinge durchzusetzen in der Regierungspolitik, obwohl sie dafür kein Mandat bekommen hat." Auch das gehört natürlich mit zum Spiel: Die Möglichkeiten der eigenen Partei kleinreden, damit die Erfolge, die sie in Verhandlungen erzielt, am Ende noch größer erscheinen.

Wenn der Koalitionsvertrag die Basis aber am Ende nicht überzeugt, dann ist die Partei ihren Vorsitzenden wieder los. Um bei Seehofer zu bleiben: Bis Weihnachten steht die große Koalition - oder gar keine. Scheitern die Verhandlungen, dann wird sich Merkel wohl erneut mit den Grünen zusammensetzen. Oder es gleich auf Neuwahlen ankommen lassen.

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