Naturschutz in der SPD:Aufstand der Rotkehlchen

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Als "Rotkehlchen" bezeichnet sich eine Gruppe von SPD-Mitgliedern im Nabu. Sie sind nicht zufrieden mit der Naturschutzpolitik ihrer Partei. (Foto: Florian Peljak)

Der Kanzler und seine SPD haben zuletzt viel getan, um Bauvorhaben zu beschleunigen - auch auf Kosten des Naturschutzes. Bei manchen in der Partei löst das Unmut aus.

Von Michael Bauchmüller und Georg Ismar, Berlin

Mit Vögeln kennen sich die Leute beim Naturschutzbund Nabu aus, schließlich hieß der früher mal Bund für Vogelschutz. Und so heißt es beim Nabu über das Rotkehlchen, es sei "berühmt für seine in Europa einmalige Unerschrockenheit". Listig halte es Ausschau nach großen Tieren, "weil diese für gewöhnlich einige Insekten aufwirbeln, die dann vertilgt werden können". Doch nun legen sich die Rotkehlchen direkt mit den großen Tieren an. Namentlich mit denen in der SPD.

Denn als "Rotkehlchen" bezeichnet sich auch eine Gruppe von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten innerhalb des Nabu, und die haben gerade einen geharnischten Brief an die Parteispitze geschrieben - Betreff: "Das Versagen der SPD in der Naturschutzpolitik". Die Partei konzentriere sich zwar auf den Klimaschutz, vergesse dabei aber die Natur - dabei stecke auch die in der Krise. Adressiert ist er an die Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil, Generalsekretär Kevin Kühnert und Fraktionschef Rolf Mützenich. Im Willy-Brandt-Haus hatte man von dieser Rotkehlchen-Gruppe in der SPD bisher noch nichts gehört. Aber sie erheben Vorwürfe, die die Führung nicht einfach ignorieren kann.

"Wir können (...) leider nicht erkennen, dass aus der SPD Anzeichen und Impulse kommen, die Doppelkrise der Umwelt gleichermaßen zu bekämpfen", heißt es in dem Brief. Stattdessen setzten SPD-Politiker mitunter "noch einen drauf", wenn es um den Abbau von ökologischen Standards gehe. "Uns empört die katastrophale Naturschutzpolitik der SPD auf Bundesebene", schreiben die Rotkehlchen - zu den 16 Unterzeichnern gehören auch die ehemaligen SPD-Parlamentarier Petra Bierwirth und Friedhelm Julius Beucher, dazu mehrere Vorstandsmitglieder des Nabu.

Seit dem Bundestagswahlsieg 2021 werden Harmonie und Geschlossenheit als die neuen Erfolgsrezepte in der SPD gepriesen, früher gab es mehr diskursiven Streit. Dem Kurs des Kanzlers wird entsprechend, wenn auch manchmal mit Murren, gefolgt. Das hat schon zu internen Vorwürfen gegen den Umwelt- und Klimaflügel in der Bundestagsfraktion geführt, zu leise zu sein. Der Brief bringt nun ein zunehmendes Unbehagen zum Ausdruck, dass im Zuge der Bemühungen, russisches Erdgas zu ersetzen, die Windkraft rasant auszubauen und die Industrie auf mehr Wasserstoff umzustellen, der Natur- und Artenschutz unter die Räder kommen könnte.

Die Naturschützer vermissen den Geist von Willy Brandt

Tatsächlich hat der Naturschutz in der Ampelkoalition nicht den besten Stand. Im Zeichen der Energiekrise ging es zuletzt vor allem um die Beschleunigung von Bauvorhaben, sei es für neue Windräder oder für schwimmende und feste Terminals für Flüssigerdgas. Zuletzt hatte die EU auch befristete Ausnahmen von europäischen Naturschutzvorgaben zugelassen, damit neue Stromleitungen und Windparks rascher gebaut werden können. Vieles davon gehe auf die Kappe der Grünen, werde aber von der SPD mitgetragen. "Das ist für uns und für die vielen Naturschützer, die Hoffnungen auf eine sozial-ökologische Politik der SPD gesetzt haben, kaum noch zu ertragen", schreiben die Nabu-Rotkehlchen - und erinnern an Willy Brandt.

Der hatte zu Beginn der Siebzigerjahre das erste deutsche Umweltprogramm auf den Weg gebracht, damals mit tatkräftiger Unterstützung seines Koalitionspartners FDP. Schon 1961 hatte Brandt verlangt, der Himmel über dem Ruhrgebiet müsse "wieder blau werden". Von diesem Geist sei nicht mehr viel zu spüren, sagt Heinz Kowalski, seit 56 Jahren SPD-Mitglied und einer der Initiatoren des Briefes. "Der Kanzler will nur noch beschleunigen, beschleunigen, beschleunigen." Es sei "katastrophal, was da gerade läuft".

In der SPD ist es in der Tat ruhiger um diese Themen geworden, der Umwelt- und Naturschutzflügel in der Bundestagsfraktion begehrt nicht groß auf. Für Kanzler Olaf Scholz wirken beim Ausbau von Windkraft und LNG-Terminals Naturschutzinteressen eher sekundär.

Die Partei will nun auf "die geschätzten Absender" zugehen

Bei einem Koalitionsausschuss hatte er kürzlich erst durchgesetzt, dass die Kompensation für Eingriffe in die Natur vereinfacht wird. Das muss zwar keinen Abbau an Naturschutz bedeuten, birgt aber nach Auffassung von Kritikern zumindest diese Gefahr. Und die Hamburger Grünen erinnern dieser Tage gern daran, dass bei Scholz in diesen Fragen oft Wort und Tat auseinanderfallen. So habe der einstige Erste Bürgermeister während der SPD-Alleinregierung in Hamburg den Umwelthaushalt "systematisch als Steinbruch für die Haushaltskonsolidierung genutzt", wird intern betont.

Doch der Ruf der Rotkehlchen findet Gehör in der Partei. "Ich kann den Unmut verstehen", sagt etwa die SPD-Umweltpolitikerin Franziska Kersten. Allerdings hätten der Angriffskrieg Russlands und die Energiekrise schnelle Entscheidungen auch in Bezug auf Naturschutzvorgaben verlangt, "denen wir zähneknirschend nach heftigen Diskussionen zugestimmt haben".

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Im Übrigen seien die aber auch von den Grünen mitgetragen worden. Die SPD bleibe die Partei des sozialen Ausgleichs. "Wir müssen am Ende viele Interessen unter einen Hut bringen wie den Klimaschutz und den Biodiversitätsschutz", sagt Kersten. "Wir müssen aber auch die Menschen auf diesem Weg mitnehmen." Fraktionsvize Matthias Miersch wiederum verteidigt den Ausbau der erneuerbaren Energien: Diese seien der Schlüssel zum Klimaschutz. Auch die Pläne für eine neue, strategischere Kompensation von Eingriffen könnten am Ende für den Klima- und Artenschutz zu einer "Win-win-Situation" führen, wirbt Miersch.

Auch Kevin Kühnert, als SPD-Generalsekretär einer der Adressaten des Briefs, will keinen Ärger mit der Singvogel-Gruppe. Man teile deren Einschätzung, "dass Deutschland eine starke und eigenständige Naturschutzpolitik braucht, die unsere planetaren Grenzen respektiert", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Partei wolle nun "zeitnah auf die gleichermaßen versierten wie geschätzten Absender zugehen".

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