Jusos:Gesucht: junge linke Nervensäge

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Treten für den Juso-Vorsitz an: Philipp Türmer und Sarah Mohamed. (Foto: Imago, DPA)

Jessica Rosenthal hat ihren Rückzug von der Spitze der Jusos angekündigt. Philipp Türmer und Sarah Mohamed bewerben sich um die Nachfolge. Eine Chance für den sozialdemokratischen Nachwuchs?

Von Tim Frehler, München

Seit dem Wochenende ist es wieder möglich, eine der größten Nervensägen des Landes zu werden: Die Jusos, die Nachwuchsorganisation der SPD, suchen eine neue Vorsitzende oder einen neuen Vorsitzenden. Die bisherige Chefin, Jessica Rosenthal, hat angekündigt, bei der nächsten Wahl im November nicht wieder anzutreten. Kurz darauf meldeten sich bereits zwei Interessenten: Sarah Mohamed, 31, aus Nordrhein-Westfalen und Philipp Türmer, 27, aus Hessen. Für sie und die Jusos bietet der Führungswechsel die Möglichkeit, sich zu profilieren - als Person und als Verband. Zumal, wenn es ihnen gelingt, der SPD und Kanzler Scholz bald wieder so richtig auf die Nerven zu gehen.

So haben ja viele SPD-Größen angefangen: Andrea Nahles galt zu ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende als linke Nervensäge, Kevin Kühnert führte seine Truppen in eine Abwehrschlacht gegen die große Koalition und die Parteispitze. Beide Beispiele zeigen aber auch: Die Krawallmacher entscheiden sich im Zweifel für die Karriere. Nahles wurde Parteivorsitzende und Ministerin, Kühnert dient als Generalsekretär unter Kanzler Scholz, den er einst verhindern wollte. So läuft das oft mit den Juso-Chefs. Auch Gerhard Schröder war ja mal einer.

Am Potenzial zum Aufbegehren mangelt's nicht

Die politische Lage im Moment gäbe es ja her, sich als linke Jugendorganisation ordentlich Gehör zu verschaffen: Da ist eine SPD-Innenministerin, die den Kurs in der Asyldebatte verschärft, da zofft sich eine Koalition, ob noch ein bisschen Geld da ist, um Kinder aus der Armut zu holen. Und da ist ein Kanzler der eigenen Partei, der sich aus all dem weitgehend heraushält. Ordentlich Potenzial, um die Parteioberen zu nerven. Eigentlich.

Die bisherige Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal erwartet im November ein Kind und will deshalb kürzertreten. (Foto: Roberto Pfeil/DPA)

Zur Fahndung ausgeschrieben sind sie zwar noch nicht, viel gesehen und gehört hat man von den Jusos in letzter Zeit aber auch nicht. Jessica Rosenthal hat eher den Mittelweg zwischen Rebellion und Establishment gewählt: Sie zog 2021 in den Bundestag ein, führte die Jugendorganisation aber weiter. In der Fraktion wetterte sie gegen das Sondervermögen für die Bundeswehr, konnte Kühnerts Krawallniveau aber nie erreichen. Ende des Jahres zieht sich Rosenthal vom Vorsitz zurück, sie werde im November Mutter und wolle sich auf die Familie konzentrieren, sagte sie in einem Interview mit der Rheinischen Post. Abgeordnete im Bundestag werde sie aber bleiben.

Jusos sollten mehr demonstrieren, fordert Philipp Türmer

Philipp Türmer ist gerade auf dem Weg nach Berlin, als man ihn zum Telefonat erreicht, Gespräche in der Hauptstadt seien der Anlass. Türmer kommt aus Offenbach am Main, hat zuerst Wirtschaft studiert, auf Jura umgesattelt und promoviert nun im Strafrecht. Seit elf Jahren ist er in der SPD, sechs Jahre sitzt er im Bundesvorstand der Jusos. "Eigenständiger, lauter, kritischer" solle der Verband werden. "Weniger Sitzungsraum, mehr Straße."

An die 40 Grundlagenseminare zum Thema Sozialismus hat er bereits gehalten, erzählt er. Inhaltlich geht es ihm daher darum, wie der Wohlstand in Deutschland verteilt ist. "Warum nicht Vonovia enteignen?", sagt Türmer. "So billig wie nach dem aktuellen Marktwert war das lange nicht mehr!" Vom Ökonom Thomas Piketty hat er sich die Idee eines Grunderbes abgeschaut: 120 000 Euro für jeden schweben ihm vor, auch wenn die genaue Höhe noch diskutiert werden müsse. Finanziert werden soll das über eine Erbschaftsteuer von 90 Prozent auf das Vermögen von Multimillionären.

Auf dem Bundeskongress im November in Braunschweig tritt Türmer gegen Sarah Mohamed an. Die 31-Jährige lebt in Bonn, hat Geschichte und Philosophie studiert und arbeitet für die SPD-Bundestagsabgeordnete Sanae Abdi.

Sarah Mohamed ist "enttäuscht von der Ampel"

Mit Blick auf die derzeitige Situation der Jusos stelle sich die Frage, was eigentlich deren Rolle sei, sagt Mohamed. Nach der Bundestagswahl 2021 seien viele Junge aus der SPD in den Bundestag eingezogen, da habe man Einfluss. Doch die seien in erster Linie Abgeordnete und eingebunden in die Fraktion. Daher sollten die Jusos, findet Mohamed, stärker "im Kampf auf der Straße" unterwegs sein - zusammen mit Gewerkschaften, der Klimabewegung, "antirassistischen und feministischen Bündnissen".

Im Gegensatz zu Türmer setzt Mohamed auf Themen wie Klima und Migration. Die Koalition habe im Bereich Einwanderung einen Paradigmenwechsel versprochen. "Stattdessen macht sie eine eher restriktive Migrationspolitik", sagt Mohamed. "Ich bin enttäuscht von der Ampel." Die SPD verliere sich in der Koalition in Kompromissen, da brauche es die Jusos als Korrektiv.

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Die Nachwuchspolitiker sind zwar jung, aber politisch erfahren. Es ist davon auszugehen, dass keiner der beiden kandidieren würde, ohne die Siegchancen vorher ausgelotet zu haben. Sarah Mohamed tritt für die Jusos NRW an und dürfte die 59 Delegierten des Landes beim Bundeskongress hinter sich haben. Ein Pfund, angesichts von insgesamt 300 abzugebenden Stimmen. Allerdings kommt Mohamed nicht nur aus dem gleichen Verband wie Jessica Rosenthal, sondern auch aus dem gleichen Unterbezirk. Zwei Mal hintereinander eine Frau aus Bonn an der Juso-Spitze? Diese Überlegung bewegt womöglich einige Delegierte, doch lieber für Türmer zu stimmen.

Erstmals seit Langem gibt es wieder einen Wettbewerb um den Juso-Vorsitz. Es könnte nerviger werden.

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