Sozialdemokraten:Fliegen lernen von Dreyer

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Gefeiert in Berlin: Malu Dreyer am Montag im Willy-Brandt-Haus. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Malu Dreyer holt fast 36 Prozent, die Bundes-SPD steht bei 16. In Berlin fragt man sich: Was kann sich Kanzlerkandidat Scholz vom Wahlerfolg in Rheinland-Pfalz abschauen?

Von Mike Szymanski, Berlin

Es ist Montag, 12.20 Uhr, als Olaf Scholz im Willy-Brandt-Haus einen Eindruck davon bekommt, wie sein Tag nach der Bundestagswahl im Herbst aussehen könnte. Schaut er nach rechts, blickt er auf eine Siegerin. Auf Malu Dreyer. Sie hat am Sonntag in Rheinland-Pfalz mit fast 36 Prozent so kraftvoll für die SPD gewonnen, dass sich heute alles besonders anfühlt. Über die Blumen, die Parteichef Norbert Walter-Borjans ihr überreicht, sagt sie: "Die riechen total intensiv und gut." Sie lächelt, sie scherzt. Man sieht es ihr an: Dieser Moment - Genuss pur.

Schaut Scholz nach links, dann sieht er Andreas Stoch, Spitzenkandidat der SPD in Baden-Württemberg. Stochs Landes-SPD hat noch einmal an Rückhalt verloren. Die SPD dort ist jetzt eine Elf-Prozent-Partei. Vielleicht lässt sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Ländle auf eine Ampelkoalition ein. Aber auch wenn er sich von der Union abwenden sollte, mit der Ampel, die Dreyer wahrscheinlich in Mainz fortsetzen wird, hätte dieses Bündnis nicht viel zu tun. Die SPD wäre darin nur ein Juniorpartner, einen Hauch stärker als die FDP.

Scholz schaut mal nach rechts, mal nach links. An diesem Montag im März 2021 ist politisch viel in Bewegung gekommen. Eine Bundesregierung ohne die Union? Denkbar. Nur, welche Rolle Scholz am 27. September, am Morgen nach der Wahl, zufallen wird, ist völlig unklar. Zwischen rechts und links liegen nur wenige Schritte.

Über Monate hatte die SPD eine Aufholjagd hingelegt und die CDU überrundet

Die Bundes-SPD bräuchte eigentlich ganz dringend eine Malu Dreyer. Was sie in Rheinland-Pfalz geschafft hat, ist sensationell. Über Monate hatte sie mit ihrer Partei eine Aufholjagd hingelegt und die CDU, die in Umfragen lange führte, überrundet. Auf den letzten Metern machte sie sogar noch einen Satz über die 35-Prozent-Marke, den keine Umfrage vorhergesehen hatte.

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Die SPD im Bund dagegen steht wie festgenagelt bei 16 Prozent. Dabei ist Olaf Scholz, der Bundesfinanzminister, nun auch schon ein gutes halbes Jahr Kanzlerkandidat. Er hofft, am Wahlabend auf mehr als 20 Prozent zu kommen. Zusammen mit den Grünen und der FDP oder mit den Grünen und den Linken im Bündnis könnte es reichen, damit er Kanzler wird. Er will an die Macht, irgendwie. Dieser Wahlsonntag, diese Frau Dreyer hätten seiner Partei "Flügel verliehen".

Als die Bürger in Rheinland-Pfalz von Infratest Dimap zu ihren Ansichten über die SPD gefragt wurden, gaben 62 Prozent der Leute dort an, man wisse im Moment nicht, wofür die SPD stehe. Bei der Kompetenz in Sachen soziale Gerechtigkeit büßte die SPD zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2016 ein, sie verlor teils dramatisch bei jungen Wählern. Dass die SPD dennoch so stark dasteht, geht allein auf Malu Dreyer zurück. Die Hälfte der Befragten gab an, Malu Dreyer sei der wichtigste Grund, SPD zu wählen. Unter SPD-Wählern denken 74 Prozent so. Das D in SPD könnte heute auch für Dreyer stehen.

Scholz hatte auch seine großen Momente. In Hamburg hatte er die SPD 2011 zurück an die Macht geführt. Bei seiner Wiederwahl 2015 erreichte er mit seiner SPD knapp 46 Prozent. Damals hieß es in den Wahlanalysen der Umfrageinstitute: "SPD-Triumph dank Scholz und Volkspartei-Qualitäten." Nur warum zündet dieses Mal der Scholz-Turbo nicht?

Scholz und Dreyer sind recht unterschiedliche Persönlichkeiten

Die Parteiführung dürfte dafür eine Mitverantwortung tragen. Als die heutigen Chefs, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, 2019 gegen Scholz und seine damalige Teampartnerin im Mitgliederentscheid um den Parteivorsitz antraten und sich durchsetzen, war damit auch das Signal verbunden, dass die SPD Scholz nicht zutraut, die Partei in die Zukunft zu führen. Aber als Kanzlerkandidat soll er nun der richtige Mann sein? Mit diesem Widerspruch startete Scholz in die Kampagne. Wahlanalysen aus Rheinland-Pfalz zeigen, dass gerade einmal die Hälfte der SPD-Wähler glaubt, dass sich die Partei für den richtigen Kanzlerkandidaten entschieden habe.

Es ist aber auch die Persönlichkeit, die Scholz von Dreyer unterscheidet. Dreyer denkt bei ihrem Auftritt im Willy-Brandt-Haus daran, die Mitarbeiter, die von den Stockwerken aus ihrem Auftritt zuschauen, zu begrüßen. "Schön, mal wieder hier zu sein", sagt sie. Nach dem Rückzug von Andrea Nahles 2019 von der Parteispitze hatte sie als kommissarische Chefin ausgeholfen. Scholz ist auch immer in der Parteizentrale ein und aus gegangen. Aber so viel Herzenswärme kommt bei seinen Auftritten nie auf. Als Scholz gefragt wird, ob womöglich ein Ampelbündnis im Bund zu seinem Profil passen würde, sagt er nüchtern: "Zu meinem Profil passt ein gutes Ergebnis für die SPD." Scholz eben.

Bei früheren Wahlkämpfen wollten sie sich in der SPD-Spitze ihren Kandidaten zurechtbiegen, aber das ging jedes Mal schief. Scholz soll bleiben, wie er ist. Spröde - aber authentisch. Der Kandidat trägt jetzt seltener Krawatte und bemüht sich, mehr zu lächeln. Das ist sein Zugeständnis.

Am Wahlabend erinnerte Parteichefin Esken an Malu Dreyers Wahlslogan in Rheinland-Pfalz: "Wir mit ihr." Seit diesem Montag gelte nun: "Wir mit ihm." Er muss anfangen zu fliegen.

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