SPD-Parteitag:"Scholz ist eher ein zurückhaltender Typ, der redet nicht so wie ich"

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Axel Schäfer ist einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. (Foto: Friedrich Bungert)

Seit 50 Jahren nimmt Axel Schäfer an Bundesparteitagen der SPD teil. Was sich aus seiner Sicht verändert hat und wie es um die Sozialdemokraten steht.

Von Georg Ismar und Sina-Maria Schweikle, Berlin

Da sitzt er wieder. Hinten an einem Tisch im City Cube in Berlin. Den roten Schal, der bei ihm im Winter nie fehlen darf, um den Hals geschlungen. Axel Schäfer ist nicht zum ersten Mal auf einem Bundesparteitag der SPD. Es ist sein 50. Mal, anfangs als Gast, dann als Delegierter. Er dürfte da Rekordhalter unter den 600 Delegierten sein. 1969 trat Schäfer der Partei wegen Willy Brandt bei. Seit Jahrzehnten ist Bochum seine Heimat, ein Sozialdemokrat der alten Schule aus dem Ruhrgebiet.

In den 1990er-Jahren gehörte Schäfer für eine Legislaturperiode dem Europäischen Parlament an, seit 21 Jahren ist er Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Da kommt einiges an Parteigeschichte zusammen. "Olaf Scholz ist eher ein zurückhaltender Typ, der redet nicht so wie ich", sagt Axel Schäfer, lehnt sich gelassen in seinem Stuhl zurück und fügt hinzu: "Das wäre ja furchtbar."

Schäfer fordert Klartext vom Kanzler

Deutlichere Worte wünscht er sich vom Kanzler aber trotzdem. Viele an der Basis sähen Scholz als Vermittler, sagt Schäfer, als jemanden, der zu wenig kommuniziere. Sie hätten nicht den Eindruck, dass er entschlossen genug kämpfe. In der Bundestagsfraktion zeigen sich viele Abgeordnete unzufrieden mit der Koalition. Schäfer gehört zur Abteilung Klartext, hat nach dem Urteil aus Karlsruhe zum verfassungswidrigen Nachtragshaushalt von Scholz gefordert, Fehler einzugestehen und eine große Rede an die Nation zu halten - seine Regierungserklärung im Bundestag empfanden viele in der Partei als enttäuschend.

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Die Sympathiewerte des Kanzlers sind laut ARD-Deutschlandtrend auf einem Rekordtief und seine SPD liegt in Umfragen nur bei 14 Prozent. "Wir wirken halt nicht so kämpferisch, wie das hier auf den Parteitagsreden vor allem von Klingbeil und Heil demonstriert worden ist", sagt Schäfer.

Wie genau seine Partei wahrgenommen wird, erfährt der Sozialdemokrat im Alltag. Beim Einkaufen zum Beispiel. Wie neulich, als ihn eine Verkäuferin gefragt habe, warum sich die SPD das in der Bundesregierung gefallen lasse. Warum man "Cowboy und Indianer" spiele. Der SPD sei es bisher nicht gelungen, so sei die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger, in der Koalition das durchzusetzen, was der Partei wichtig sei. "Wir haben auch an einigen Stellen unseren Koalitionspartnern zu wenig klare Grenzen aufgezeigt", so Schäfer.

Sein erster Parteitag vor 50 Jahren war der Eindrucksvollste

Gleich sein erster Bundesparteitag sei auch der Spektakulärste von allen gewesen. Er fand 1977 im Schatten des Deutschen Herbstes in Hamburg statt. Schatzmeister Wilhelm Dröscher starb während des Parteitags überraschend im Alter von nur 57 Jahren, kurz bevor er seinen Bericht als Schatzmeister im Plenum vortragen sollte.

Schäfer erinnert sich an eine Rede des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Es sei um Intellektuelle und Sozialdemokratie in Zeiten eingeschränkter Freiheitsrechte gegangen, erinnert sich der heute 71-Jährige. Dass Frisch Forderungen an die Parteiführung stellte, ist Axel Schäfer noch gut in Erinnerung. "Das war unfassbar."

Willy Brandt, Helmut Schmidt und Johannes Rau saßen damals in der ersten Reihe. "Nur leider keine Frau." Doch das hat sich seit dem Parteitag 1988 in Münster geändert. Dort beschloss die SPD eine verbindliche Frauenquote, Schäfer stimmte dafür. Und auch sonst habe sich seit 1977 viel getan: Die SPD zähle nur noch halb so viele Mitglieder. Die Medien spielen eine größere Rolle. Die Menschen würden mehr aufs Handy blicken, "damals musste man sich viel mehr in die Augen schauen". Und: Früher seien mehr Kommunalpolitiker und Leute aus den Verbänden auf den Parteitagen gewesen. "Die fehlen natürlich."

Zurück in der Gegenwart beschreibt der Sozialdemokrat die Ampelkoalition als "Experiment des Alltags". Ob das Wort der Koalitionspartner früher mehr gegolten habe als heute? Dem könne er leider nicht grundsätzlich widersprechen. Schließlich sei der Eindruck manchmal auch Realität. Zum Beispiel, dass am zweiten Tag nach einer Einigung alles wieder infrage gestellt werde, worauf man sich vorher verständigt oder geeinigt habe. "Das ist eine Form von Profilierungsversuch", fasst Schäfer zusammen.

Dass die FDP mit diesem Verhalten einen Bruch der Koalition provozieren wolle, hält der Sozialdemokrat für unwahrscheinlich. Das würde sie nur tun, wenn sie wie damals Genscher eine Alternative hätte und zur CDU springen könnte. Am 1. Oktober 1982 wurde der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum im Bundestag gestürzt. Wenige Wochen zuvor war die sozialliberale Koalition von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) zerbrochen, damals hatte die FDP in der Tat den Bruch provoziert. Mit dem berühmten Lambsdorff-Papier, auch bekannt als Scheidungspapier. Der damalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff machte darin Vorschläge zur Überwindung der Wachstumsschwäche und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die voll auf der Linie der Union lagen.

Eine letzte Frage an Axel Schäfer: Ob es je einen Moment gab, in dem er der Partei den Rücken kehren wollte. Ein Lachen. In den 51 Jahren, in denen er mit seiner Frau verheiratet ist, habe es keinen Moment gegeben, in dem er sich trennen wollte. "Und da meine Frau glaubt, dass ich meine Partei mehr liebe als sie, können Sie sich vorstellen, dass das für mich nicht vorstellbar ist".

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